Süddeutsche Zeitung

Winterschlaf:Klinik der Stacheltiere

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Manche Igel sind zu schwach, um schlafend zu überwintern. Auf einer Spezialstation werden sie gepäppelt. Zu Besuch in einer voll belegten Berliner Igelklinik.

Von Tim Neshitov

Im Karton, in dem Anna schläft, raschelt es. Das heißt, Anna schläft doch nicht - obwohl sie es sollte! Sie ist ein Igel, und Igel schlafen im Winter, da sind sie nicht anders als Bären. Ohne Winterschlaf geht es diesen Tieren nicht gut: Igel, die im November immer noch wach sind, finden sich in der Natur nicht mehr zurecht. Viele verhungern.

Damit das nicht zu oft passiert, gibt es in Deutschland sogenannte Igelstationen, so etwas wie Kliniken für Igel. Findet man im Winter einen kränkelnden Igel (das kann im Park passieren oder auf dem Spielplatz oder unter einem parkenden Auto), dann sollte man das Tier zu so einer Igelstation bringen.

Anna, die in ihrem Karton raschelt, ist auf der Station Berlin-Hermsdorf untergekommen. Sie langweilt sich ein bisschen vor dem Einschlafen und hat ein Loch in eine Ecke des Kartons gemacht. Man sieht immer wieder ihre feuchte schwarze Nase. Dann sieht man eine Pfote.

Auf der Station werden 27 Igel gepflegt. Jeder hat sein eigenes Zuhause: Einen Karton, vor dem Schüsselchen mit Wasser und Trockenfutter stehen. Viele Menschen glauben, dass Igel gerne Milch trinken, aber Milch darf man Igeln auf keinen Fall hinstellen, und auch kein Obst. Sie können es nicht verdauen.

Der Verein Pro Igel empfiehlt als Futter: "Katzen- oder Hundedosenfutter oder Hackfleisch (kurz anbraten, nie roh geben!) oder Rührei (ohne Gewürze, aber mit etwas Öl in der Pfanne garen, mit der Gabel zerkleinern)". Man kann auch einfach ein Ei hart kochen.

Die Igel, die auf der Station im Norden Berlins ankommen, werden zuerst mit einem Spray entfloht. Sie bekommen eine Spritze hinten an der Pfote. Dann werden sie gewogen: Wer weniger als 500 Gramm wiegt, wird erst mal aufgepäppelt. Erst nachdem sie dieses Gewicht erreicht haben, können die meisten Igel in den Winterschlaf.

Baustellen, warme Winter und Laubbläser machen Igeln das Leben schwer

Es ist kalt auf der Station, acht Grad. Das brauchen die Igel zum Einschlafen. Kinder, die hier, warm angezogen, beim Füttern und Saubermachen aushelfen, haben den Tieren Namen gegeben: Sibele, Rudolf, Anna. Die Namen stehen auf bunten Zetteln. Igel, die bereits einschlafen konnten, bekommen den Zettel: Bitte nicht stören! Ich schlafe! Sie dürfen auf keinen Fall geweckt werden.

Die Leiterin der Igelstation heißt Gabriele Gaede. Sie ist bereits in Rente, früher hat sie in einem Labor gearbeitet. Aber sie hat schon immer neben ihrem Beruf Igeln geholfen. Sie tut das seit fast 40 Jahren.

Angefangen hat es, als ihre eigenen beiden Kinder noch klein waren. Eines Tages waren sie aus dem Kindergarten gekommen und hatten gefragt: "Mama, können wir einen Igel bei uns aufnehmen?" Jemand im Kindergarten hatte ihnen erklärt, dass schlaflose Igel im Winter Hilfe brauchen. Es war eine Frau, die selber eine Igelstation betrieb. Die Frau suchte zusätzliche Helfer, weil sie keine freien Ställe mehr auf der Station hatte.

Frau Gaede stimmte damals zu. Bald wurden aus einem Igel zwei, dann immer mehr. Ihr Mann half ihr beim Bauen der Ställe. Mittlerweile pflegt sie neben den 27 Igeln auf der Station noch weitere 25 bei sich zu Hause im Keller. "Es ist ein 24-Stunden-Job", sagt sie. "Sieben Tage die Woche. Ohne Wochenende."

Manchmal ist Gabriele Gaede müde davon. Aber sie denkt nicht ans Aufhören. Im Frühling wildert sie ihre Igel aus und sieht sie dann nie wieder. Weil jeder Igel irgendwann in die Natur zurückkehrt, will Frau Gaede sich an keinen binden. Sonst würde ihr der Abschied jedes Mal wehtun.

Das ist natürlich nicht immer einfach, ein hilfsbedürftiges Wesen, dem man hilft, nicht zu lieben. Letztes Jahr landete bei ihr ein wirklich winziger Babyigel: 14 Gramm. Frau Gaede konnte ihn auf 50 Gramm hochpäppeln, mit Muttermilchersatz für Hundewelpen. Aber der kleine starb schließlich an einem Infekt. Frau Gaede war sehr traurig.

Igel leiden, wenn Häuser oder Straßen gebaut werden. Oder wenn die Menschen das Laub wegblasen, in dem die Igel ihre Nester bauen. Auch wegen der Erderwärmung sind die Tiere im Winter verwirrt. Sie warten auf die Kälte, um einzuschlafen. Jetzt haben sie erst mal Ruhe - je nach Wetter, bis März. Beneidenswert

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Quelle:
SZ vom 04.02.2017
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