Winterdepression:Mehr Licht!

Last minute Malediven? Bei manchen Menschen legt sich in den Wintermonaten ein dunkler Schatten über die Seele. Hans Förstl, Professor für Psychiatrie, weiß Rat.

Birgit Lutz-Temsch

Wenn der Himmel im Winter tagelang voller Wolken hängt, sinkt die Stimmung. Das hat wohl jeder schon an sich selbst beobachtet. Aber woran liegt das? Und wann wird aus einer Stimmungsschwankung eine Depression? Und was kann man dagegen tun? Hans Förstl, Direktor der Münchner Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie rechts der Isar, beschreibt Tricks, wie man der trüben Laune beikommen und sich selbst helfen kann.

Winterdepression

Alles grau, alles schlecht: Gerade im Winter ist Licht wichtig, um sich selbst bei Laune zu halten.

(Foto: Foto: dpa)

sueddeutsche.de: Was ist eine Winterdepression?

Hans Förstl: Das ist zunächst einmal genau das, was der Name sagt. Eine Depression, die bevorzugt in den Wintermonaten, in der dunklen, kalten Jahreszeit auftritt. Man kann aber nicht bei jeder depressiven Erkrankung, die zufällig erstmals im Winter auftritt, von einer Winterdepression sprechen. Man kommt zu dieser Diagnose unter anderem, wenn der Patient berichtet, dass es ihm nun im zweiten oder dritten Jahr hintereinander so schlecht geht.

sueddeutsche.de: Was unterscheidet eine Winterdepression von einer normalen Depression?

Förstl: Neben der zeitlichen Koppelung gibt es noch einige andere Eigenschaften. Man bezeichnet die Winterdepression auch als atypische Depression. Denn bei dieser kann es so sein, dass der Appetit sogar gesteigert ist, während der Patient bei der normalen Depression unter Appetitlosigkeit leidet. Bei der Winterdepression können die Leute auch richtig lange schlafen, und liegen nicht grübelnd im Bett. Sie wachen dann aber nicht erholt auf, sondern verstimmt.

sueddeutsche.de: Das Gefühl, in den trüben Monaten nicht so gut drauf zu sein, kennen viele Menschen. Ab wann aber spricht man wirklich von einer Depression?

Förstl: Einen klipp und klaren Unterschied zwischen dem Winter-Blues und der Winterdepression kann ich nicht liefern. Es gibt kein Kardinalmerkmal, was die noch normalen Verstimmungen von den ganz klar behandlungsbedürftigen unterscheidet. Einfach gesagt: Es ist mehr. Der Mensch ist in seiner Leisungsfähigkeit deutlich eingeschränkt, ist nicht mehr arbeitsfähig. Das kann gravierende Ausmaße annehmen, bei denen der Patient psychotisch oder suizidal wird.

sueddeutsche.de: Was sind die Ursachen für eine Winterdepression?

Förstl: Da ist viel Spekulation dabei. Aber es ist für den Menschen wohl sehr wichtig, dass er richtig belichtet wird. Der moderne Mensch in unseren Breiten oder in Skandinavien wird nicht mehr so viel belichtet. Wir halten uns meistens in geschlossenen Räumen auf, und dadurch wird die Lichteinstrahlung deutlich reduziert.

sueddeutsche.de: Warum ist Licht so wichtig?

Förstl: Wir brauchen das Licht als biologischen Zeitgeber. Daneben gibt es noch soziale Zeitgeber. Das Zusammenspiel beider hilft uns, unseren inneren Rhytmus aufrechtzuerhalten. Wenn wir uns nun im Winter zurückziehen, bekommen wir durch diesen Rückzug einerseits weniger Sonne ab. Das führt in unserem Inneren zu Veränderungen des komplexen Zusammenspiels der menschlichen Hormone und Organe, die alle einen mehr oder weniger ausgeprägten 24-Stunden-Rhythmus haben. Andererseite entziehen wir uns mit diesem Rückzug auch den sozialen Zeitgebern. Also Zeiten, in denen man sich ernährt, Bewegung und Kontakt mit anderen Menschen hat.

sueddeutsche.de: Könnte man auch sagen, wir fallen in einen Winterschlaf?

Förstl: Es ist allgemein anerkannt, dass sich bei einer Winterdepression in unserem Gehirn, unserem Geist etwas breitmacht, das früher in polaren Regionen sinnvoll war - nämlich tatsächlich eine Art Winterschlaf, auch beim Menschen. Früher hat man sich in die Höhle zurückgezogen und von Vorräten gelebt. Und biologisch sind wir ja von Artverwandten, die einen richtigen Winterschlaf halten, gar nicht so weit entfernt.

sueddeutsche.de: Wie kann man Menschen in der Winterdepression helfen?

Förstl: Wichtig ist, dass man etwas findet, dass den Menschen aus dieser Winterdepression wieder herausholt - das Problem ist nur, dass diese Menschen dann nicht mehr so gerne mitmachen. Man könnte viele gute Ratschläge geben: Nicht so viel essen, dann werden sie nicht so dick. Nicht so viel schlafen, denn dadurch erholen sie sich auch nicht besser - aber die Betroffenen haben dieses Verhalten dann schon internalisiert. Sie haben Heißhunger auf Süßes, denn die Befriedigung dieses Heißhungers kurbelt Vorgänge an, die kurzfristig mit Wohlbefinden zu tun haben. Man isst gleich eine ganze Tafel Schokolade, oder zwei, und kuschelt sich dann ins Bett rein.

Enttäuscht von sich selbst

sueddeutsche.de: Was ist daran falsch?

Winterdepression: Hans Förstl.

Hans Förstl.

(Foto: Foto: oh)

Förstl: So versuchen sich die Patienten zu trösten oder das Leiden erträglicher zu machen. Unmittelbar ist das ja nicht übel. Das Problem ist nur: Man verliert zum Beispiel wanhnsinnig viel Zeit. Das Gehirn braucht diese Zeit nicht, die man da im Bett herumliegt. Das Gehirn grantelt in dieser Döserei also richtig herum. Man beschäftigt sich nicht sinnvoll und ärgert sich auch hinterher darüber, dass man so viel Zeit mit unnützer Grübelei verbracht und nicht frisch andere Sachen erledigt hat. Dann kommt das schlechte Gewissen, die Selbstenttäuschung hinzu.

sueddeutsche.de: Wie wird die Winterdepression behandelt?

Förstl: Man behandelt die saisonale, atypische Depression mit genau den gleichen Antidepressiva, die man bei anderen Depressionen auch verwendet. Es gibt mittlerweile wirklich gut funktionierende Mittel. Daneben gibt es aber bei der Winterdepression noch andere Möglichkeiten, zum Beispiel hat sich der gezielte Einsatz von Melatonin bewährt.

sueddeutsche.de: Spaziergänge im Licht reichen also nicht aus?

Förstl: Das Problem ist: Natürlich wäre das Wichtigste, raus ins Licht zu gehen. Aber man bekommt die Leute meistens nicht dazu, wenn sie in der depressiven Phase sind. Auch im Winter scheint bei uns viel Sonne, auch wenn der Himmel trüb ist. Sobald die Leute marschieren, ist das die halbe Miete. Die Bewegung kurbelt zum Beispiel das Serotonin-System an, synchronisiert die ganzen Systeme und es kommt wieder Schwung rein. Der Patient merkt selbst, dass etwas passiert. Das Gehirn wird wieder anders eingestellt, ist nicht mehr in der Defensive, sondern agiert. Morgens und mittags eine halbe Stunde spazieren gehen, das reicht häufig, die Leute wieder einigermaßen hinzubekommen. Aber um sie überhaupt so weit zu bekommen, muss man meistens mit viel guten Worten und Medikamenten vorarbeiten.

sueddeutsche.de: Es gibt auch Licht-Therapien ...

Förstl: ... das ist die zweitbeste Möglichkeit. Man setzt die Leute dabei vor einen hellen Lichtkasten, und die Patienten haben das Gefühl, das ist moderne Medizin, das tut mir gut, langweilen sich dabei aber fürchterlich. Stattdessen einfach rauszugehen, ist viel besser. Da bekommt man deutlich mehr Licht ab.

Malediven statt Gedankenrillen

sueddeutsche.de: Welche anderen Behandlungsmöglichkeiten gibt es?

Förstl: Bei der kognitiv-behavioralen Therapie wird versucht, bestimmte negative Gedanken aufzugreifen, die sich beim Patienten unwillkürlich einstellen, und diese mit ihm aufzuarbeiten. Dazu gehören negative Selbstkonzepte und Überzeugungen von der Welt, die nicht realistisch sind. Das ist sehr konstruktiv korrigierbar. Man spricht mit dem Patienten darüber, wie er zu der Ansicht kommt, und dann ist er auch imstande, diese Ansicht zu hinterfragen, trotz der Depression. Solche Behandlungsansätze kann man während der depressiven Phase einüben, der Patient kann sich geistig dabei ertappen, wenn er sehr problematische Gedanken entwickelt - und dann kann er selbst verhindern, dass er diese vertieft und richtige "Gedankenrillen" einschleift.

sueddeutsche.de: Wie wird über eine Behandlung entschieden?

Förstl: Es passt nicht für jeden Patienten die gleiche Therapie. Ich kann eine 82-Jährige, die noch nie über ihre Gefühle geredet hat, nicht auf einmal zum Psychotherapeuten schicken, weil sie eine Winterdepression hat. Das ist undenkbar. Auch viele Menschen in der Arbeitswelt müssen so mobil sein, dass sie für eine Psychotherapie gar keine Zeit haben. Und wenn sie sich Zeit nehmen, können sich viele sowieso nicht auf eine Therapie einlassen. Weil sie eh alles besser wissen. Da gibt es mehr Widerstände und Probleme bei der Durchführung als man so glaubt. Der moderne Patient will wesentlich häufiger Tabletten haben, um seine Probleme zu reparieren, als gemeinsam mit einem Psychotherapeuten zu reflektieren.

sueddeutsche.de: Manche Menschen schwören auf Johanniskraut ...

Förstl: Da muss man aufpassen. Johanniskraut ist kein Allheilmittel. Dass es hilft, ist unbestritten. Bei jüngeren Patienten, die ansonsten keine Medikamente einnehmen, und bei denen die Depression nicht allzu schwer ist, kann es sinnvoll sein. Aber es kann Probleme geben bei Patienten, die noch andere Medikamente einnehmen. Mit diesen kann es extreme Wechselwirkungen geben, vor denen man eindringlich warnen muss.

sueddeutsche.de: Zu welchem Arzt sollte man gehen?

Förstl: Die erste Station ist immer der Hausarzt. Bei gravierenden Problemen kann man auch den direkten Weg zum Spezialisten wählen. Aber der Hausarzt kennt einen meistens besser, hat Überblick über das Sammelsurium an medizinischen Problemen oder Medikamenten, die man schon mitbringt. Das hat auch den Vorteil, dass der Hausarzt dann nach dem zweiten oder dritten Auftreten einer saisonalen Depression sagen kann, im kommenden Winter beugen wir vor: Wir überlegen, ob sie nicht mal im November auf die Malediven fliegen sollten, um den Prozess zu unterbrechen. Das kann sehr sinnvoll sein! Oder man verabreicht die Medikamente schon präventiv, vor den ersten Anzeichen.

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