Winter:Kunsteislaufen

Zum Schlittschuhfahren braucht man vor allem eins: Eis, am besten spiegelglatt, richtig dick und am See. Aber was tun, wenn der Winter mau bleibt? Unsere Autorin und ihre Tochter Delia, 7, haben Schlittschuhfahren ganz ohne Eis ausprobiert - auf Plastik.

Von Jasmin Siebert

Winter: Ja, auf Plastik geht es ein bisschen langsamer voran. Vorteil für Anfänger: Man fällt auch nicht so schnell hin.

Ja, auf Plastik geht es ein bisschen langsamer voran. Vorteil für Anfänger: Man fällt auch nicht so schnell hin.

Regen, schon wieder. Wie so oft fühlt sich dieser Winter eher nach Herbst an - grau, fies, nass. Als wir bei der Eislaufbahn ankommen, glitzern große Pfützen auf der Fläche, Tropfen malen Kreise hinein. Ob wir, meine siebenjährige Tochter Delia und ich trotzdem fahren können? "Kein Problem", sagt die Mitarbeiterin und schiebt mit einem riesigen Besen Wasserlachen und kleine Zweige von der Bahn. Noch schnell die Schlittschuhe anziehen. Wir sind die Ersten.

Winter: Delia, 7, bei ihren ersten Schlittschuhschritten

Delia, 7, bei ihren ersten Schlittschuhschritten

(Foto: privat)

Auf dem Sportplatz in Nürnberg kann man bei jedem Wetter Schlittschuhfahren. Theoretisch sogar im Hochsommer. Man fährt hier nämlich nicht auf Eis, sondern auf Plastik. Kunsteislaufen statt Eiskunstlaufen? Solche Schlittschuhbahnen gibt es in immer mehr Städten, Ludwigsburg, Sigmaringen, Marburg. Auch viele Weihnachtsmärkte haben dieses Jahr darauf gesetzt. Denn genau wie Skifahren, Rodeln und alles auf Kufen hat auch Eislaufen ein Problem: Es ist zu warm geworden.

Ein bisschen skeptisch sehen wir uns erst einmal um. Das falsche Eis sieht komisch aus. Es ist keine große weiße Fläche am Stück, sondern es sind viele aneinandergelegte Platten. Auch die kleinen Wasserpfützen irritieren, lassen Alarmglocken im Gehirn klingeln: bei Regen auf eine Eisfläche? Wir denken an "das Büblein auf dem Eise", ein altes Gedicht, das Delia gerade in der Schule auswendig gelernt hat: "Ich will es einmal wagen / das Eis, es muss doch tragen ..."

Winter: Die Pfützen gehören halt zum Regen dazu: auf der Plastikbahn auch auf dem Eis.

Die Pfützen gehören halt zum Regen dazu: auf der Plastikbahn auch auf dem Eis.

Einbrechen kann man auf Plastikeis zum Glück nicht. Also los, rauf auf die Bahn. Erste Überraschung: Die Pfützen machen beim Fahren wenig Unterschied. Man gleitet einfach durch. Dafür scheint uns der Plastikboden zu bremsen. Wenn man mit den Fingern darüber fährt, fühlt er sich zwar glatt an wie ein fast neues Schneidebrettchen, trotzdem komme ich schwer in Fahrt. Für Anfänger wie Delia ist das praktisch. Denn nicht so glatt bedeutet auch: Man fällt nicht so schnell hin. Ich erzähle aus meiner Kindheit, in der die gefrorene Seeoberfläche so glatt war, dass man Mühe hatte, überhaupt auf dem Eis zu stehen. Delia kann das gar nicht glauben, macht mühelos ihre ersten Schritte. Sie fällt erst mal nicht hin, kommt aber auch nicht so recht vorwärts: "Ich kann das nicht."

Auch ich bin erst enttäuscht. Das Fahren fühlt sich anders an als auf echtem Eis. Doch weil es endlich aufgehört hat zu regnen und wir die Bahn immer noch ganz für uns allein haben, geben wir nicht auf. Bald schlittern wir kreuz und quer übers Plastik und werden schneller dabei. Ich habe mich daran gewöhnt, dass es anstrengender ist vorwärtszukommen, es einfach ein bisschen mehr Schubs braucht. Und Delia, die es gar nicht anders kennt, hat bald richtig Freude daran. "Das macht Spaß", ruft sie, auch wenn sie immer wieder auf Hintern oder Arme plumpst. Zum Glück ist das Plastik nicht ganz so hart wie echtes Eis - und natürlich auch weniger kalt, dafür heute leider nass. Etwas, was gar nicht geht, ist Rückwärtsfahren. Das ist schon auf echtem Eis schwierig, auf Plastik scheint es unmöglich zu sein. Ob Profis hier Pirouetten drehen und tanzen könnten?

Das können sie tatsächlich. Viele Eishockeyspieler und Eiskunstläufer nutzen die Platten zum Training. Weil das Kunsteis langsamer ist als echtes Eis, ist der Trainingseffekt umso größer. "Wie Joggen mit Hanteln", beschreibt es der Sprecher einer Kunsteisfirma. Deshalb sind die Platten im Training beliebt, obwohl sie nicht für Wettkämpfe zugelassen sind.

Mikroplastik Abrieb durch Kunstoff-Eisbahnen

Nein, das sind keine Schneeflocken, die da auf dem Handschuh kleben, sondern Plastikabrieb von der Kunststoffbahn.

(Foto: Kristina Stemmer / WWF)

Als wir Stunden später die Bahn verlassen, weht der Wind weiße Flocken umher. Die Planen rund um die Eisbahn sind damit bedeckt, auch an unseren Hosen und Schuhen kleben ein paar Flocken. Schneit es jetzt doch noch? Kommt der Winter? Aber es ist kein Schnee, der da liegt, sondern Plastikspäne, die von den scharfen Kufen der Schlittschuhe aus dem Plastikeis gefräst werden.

Naturschutzorganisationen kritisieren genau das an den künstlichen Eisbahnen: Dass Plastikabrieb entsteht, der in die Umwelt gelangt. Dass es nicht gut ist, wenn Plastikflocken in der Natur herumfliegen, weiß auch Delia. Aber deswegen aufs Schlittschuhlaufen verzichten? Mikroplastik verursachen doch zum Beispiel auch Autoreifen. "Wir Kinder können nichts dafür, dass die Welt immer wärmer wird und kein echter See mehr zufriert." Delia findet: Solange Autos herumfahren, sollten Kinder auch auf Plastikeis Schlittschuhlaufen dürfen. Immerhin muss es nicht mit viel Energie gekühlt werden.

Und vielleicht kommen ja doch noch ein paar knochenkalte Wintertage? Dann könnten wir über den zugefrorenen Weiher bei uns um die Ecke sausen. Ja, das Hinfallen dort würde mehr wehtun. Andererseits: über Seeeis gleiten, dazu das geheimnisvolle Unken, das von tief unten irgendwo vom Seegrund zu kommen scheint, Atemwölkchen vor dem Mund, dazu ein paar Schneeflocken von oben, die man getrost schlucken kann ...

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