Windsor-Clan:Seelische Grausamkeit als Erziehungsmittel

Die britische Königsfamilie kultiviert ihre legendäre Gefühlskälte seit Generationen, wie der Film "The King's Speech" zeigt.

Wolfgang Koydl

Zu den Nachteilen einer Ehe gehört es, dass man zum jeweiligen Partner meist noch einen Schwung fremder Menschen als Zugabe bekommt - die Schwiegerleute mit all ihren Macken und Marotten. Das gilt für niemanden mehr als für Catherine Middleton, die Ende April in den Windsor-Clan einheiraten wird, dessen bekannte familiäre Probleme mit ungewöhnlich nur unzureichend beschrieben sind.

Britische Königsfamilie, 1937

Die Windsors: "Es war nie vorgesehen, dass wir menschenähnlich sind."

(Foto: AP-SZ)

Nicht, dass die Braut noch einen Rückzieher machen würde oder dürfte. Aber schaden könnte es wohl nichts, wenn sich die künftige Ehefrau des künftigen englischen Thronfolgers den soeben in britischen Kinos angelaufenen Film "The King's Speech" ansehen würde; mit dem Schauspieler Colin Firth in der Rolle von König Georg VI., Prinz Williams Urgroßvater. Das würde ihr einen Einblick gewähren, worauf sie sich einzulassen entschlossen hat.

Denn der Film ist das vorläufig jüngste Indiz dafür, dass es sich bei den Windsors um eine Familie handelt, in der häufig seelische Grausamkeit als Mittel der Kindererziehung verwendet und Gefühlskälte zur Tugend verklärt wird. Die Liste zieht sich von Edward, Königin Victorias Ältestem, bis hin zu den Prinzen William und Harry. Bei Georg VI., dem Vater von Königin Elizabeth und zentraler Figur des Filmes, schlugen sich die seelischen Misshandlungen, die er als Junge durchlebte, in quälendem Stottern nieder. Es grenzt fast an ein Wunder, so zeigt ein Blick in die Familiengeschichte, dass sich psychische Störungen nicht bei mehr Angehörigen des Clans ähnlich sichtbar niedergeschlagen haben.

Der Film beschreibt die bis vor einigen Monaten nur wenigen Eingeweihten bekannte Begegnung und spätere lebenslange Freundschaft zwischen dem König und dem unorthodoxen australischen Sprachtherapeuten Lionel Logue. Mühsam entlockt Logue seinem Patienten, wie er von seinem Vater, von seinem älteren Bruder und sogar von seiner Gouvernante gemaßregelt, gedemütigt und geduckt worden war und wie dies das lähmende Stottern auslöste. Überraschen konnte das eigentlich niemanden. Georgs Vater, dem von 1910 bis 1936 regierenden GeorgV., wird die dunkle Drohung zugeschrieben: "Mein Vater (Edward VII.) hatte Angst vor seiner Mutter (Königin Victoria), ich hatte Angst vor meinem Vater, und ich werde verdammt noch mal dafür sorgen, dass meine Kinder Angst vor mir haben."

Alte Geschichten, Historie gar? Nicht, wenn man weiß, dass sich das Terrorregiment des alten Herren auch auf seine Enkeltöchter erstreckte: Die heutige Königin und ihre Schwester Margaret waren abends gezwungen, sich rückwärts schreitend und ständig knicksend von ihrem Großvater mit den Worten zu verabschieden: "Wir wünschen Eurer Majestät eine friedliche Nachtruhe." Immerhin bekamen sie den Opa mitunter zu sehen.

Seinen jüngsten Sohn John sperrte Georg V. kurzerhand auf einem Cottage auf dem Gut Sandringham weg, weil der unter Epilepsie litt. Nicht einmal seinen Geschwistern war Kontakt zu ihm gestattet. Als Spielkameradin besorgte man ihm, bis zu seinem Tod mit 13 Jahren, eine gleichaltrige Bauernmagd aus Yorkshire. Ihre Qualifikation: Sie war an Asthma erkrankt.

Tradition wird fortgesetzt

Elizabeth scheint nicht viel aus diesen Fehlern gelernt zu haben. Ihre Kinder dürfen die Monarchin bis heute nicht mit Mutter anreden. Wenn Dritte anwesend sind heißt es Ma'm (Madam) und nicht Mum (Mama), und in der dritten Person reden sie von ihr als Ihrer Majestät. Aber warum sollte die Königin es anders halten als ihre eigene Mutter: Die bestand ebenfalls darauf, von ihren Töchtern mit Queen tituliert zu werden. Charles, Andrew, Anne und Edward können auch nicht einfach so bei ihrer Mutter hereinschneien. Selbst als sie noch alle unter einem Dach im Buckingham Palace wohnten, mussten sie ordentlich um einen Termin nachsuchen.

PRINCE CHARLES SMILES AS HE STANDS WITH HIS TWO SONS AT BUCKINGHAM PALACE

Prince Charles versuchte bei der Kindererziehung seiner beiden Söhne Williams und Harry die Fehler seiner Vorfahren zu vermeiden.

(Foto: REUTERS)

Was den Körperkontakt untereinander angeht, so werden die Windsors derartig nachhaltig entmutigt, dass man sich mitunter fragt, mit Hilfe welcher Mittel sich diese Familie je fortgepflanzt hat. Der Film "The King's Speech" zeigt eine Szene, in welcher Georg - gerade vom Kronrat als neuer König bestätigt - seine kleinen Töchter umarmen will. Die aber sinken vor ihm wie erstarrt in einem Knicks zusammen und hauchen ergriffen: "Your Majesty".

Als sie später selbst Mutter geworden war, sprang Elizabeth mit ihrem Nachwuchs auch nicht viel anders um. Vor allem Charles, der nach Aussagen seiner Nanny, die gleichsam die Mutterstelle an ihm vertrat, ein sehr sensibles Kind gewesen sein soll, litt unter der Kälte, die ihm entgegen schlug. Drei Jahre war er alt, als seine Eltern auf eine sechsmonatige Weltreise gingen. Nach ihrer Rückkehr befasste sich die Frau Mama noch vier Tage lang mit Staatspapieren und verbrachte einen weiteren Tag beim Pferderennen, bevor sie sich ihres Sohnes entsann. Selbst dann musste der Kleine sich brav in einer Reihe anstellen, bis er seiner Mutter - die Hand schütteln durfte.

Als Erwachsener beklagte sich Charles gegenüber seinem Biographen Jonathan Dimbleby über seine, wie er es bezeichnete, furchtbare Kindheit. Vor allem sein Vater Philip, so schrieb Dimbleby, "schien den Prinzen offenbar nicht nur korrigieren, sondern auch verspotten zu wollen, so dass er vor Freunden und Familienmitgliedern oft als dumm und tölpelhaft dastand".

Beistand von anderen Verwandten konnte der Thronfolger nicht erwarten. Onkel Louis Mountbatten bemerkte einmal schnippisch, dass "Königskinder immer einsam waren und immer einsam sein werden", und konstatierte kaltblütig: "Da kann man nicht viel machen." Und Großmama Elizabeth, die Witwe des stotternden Monarchen, lebte ohnehin nach ihrem wie ein Mantra verkündeten Grundsatz: "Es war nie vorgesehen, dass wir menschenähnlich sind." Ihren Töchtern verbat sie von frühester Jugend an zu weinen. Ein Royal zeigt keine Emotionen, war ihr Grundsatz, nach dem Königin Elizabeth bis heute lebt.

Diana: Bruch mit der Tradition

Prinz Charles ist zugute zu halten, dass er offensichtlich alles versucht hat, die Fehler seiner Eltern und Großeltern bei der Erziehung seiner Söhne William und Harry zu vermeiden. Ein Glücksfall für die beiden war zudem ihre Mutter Diana, die sich ebenfalls bemühte, den beiden so viel menschliche Wärme und Liebe sowie ein größtmögliches Maß an Normalität zukommen zu lassen.

Umso schlimmer war es für William und Harry, als nach dem Unfalltod ihrer Mutter 1997 Großmutter Elizabeth das Kommando übernahm. Vor allem der damals 15-jährige William wollte so schnell wie möglich aus dem schottischen Balmoral, wo die Familie die Sommerferien verbrachte, nach London zurückkehren, um den Menschen dort für ihre Anteilnahme in irgendeiner Form persönlich zu danken. Doch die Queen vergatterte den gesamten Clan zum Bleiben. "Er hat ihr das nie verziehen", erklärte ein Freund Williams später. "Für ihn hat sie damals das Wohl der Monarchie über das Wohl ihrer eigenen Enkel gestellt."

Dianas Bruder Charles Spencer hatte bewusst die Königin im Blick, als er bei seiner Trauerrede gelobte, dass er Dianas "phantasiereiche und liebevolle" Erziehung beider Jungen fortsetzen wolle, "damit ihre Seelen nicht nur in Pflicht und Tradition versinken, sondern offen singen können, so wie du es geplant hast".

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