"Wie ich euch sehe" zum Tierarzt:"Viele sind von ihren Tieren abhängig"

"Wie ich euch sehe" zum Tierarzt: Für den Tierarzt ist es nicht immer leicht, mit anzusehen, wie Menschen ihre Tiere halten.

Für den Tierarzt ist es nicht immer leicht, mit anzusehen, wie Menschen ihre Tiere halten.

(Foto: Illustration Jessy Asmus)

Warum Kaninchen nicht für Kinder geeignet sind und was für Probleme "Modehunde" haben, lesen Sie in einer Folge von "Wie ich euch sehe" - heute: beim Tierarzt.

Von Ruth Schneeberger

In unserer Serie "Wie ich euch sehe" kommen Protagonisten unseres Alltags zu Wort - Menschen, denen wir täglich begegnen, über die jeder eine Meinung, aber von denen die wenigsten eine Ahnung haben: eine Wiesnbedienung, ein Pfarrer, die Frau an der Supermarktkasse. Sie erzählen uns, wie es ihnen ergeht, wenn sie es mit uns zu tun bekommen - als Kunden, Gäste, Mitmenschen. Diesmal erklärt Tierarzthelferin Katrin M., wie es beim Tierarzt zugeht.

Zuletzt hatten wir den Besitzer eines Dackels da, der rührend um die Gesundheit seines Hundes besorgt war. Dann erzählt er mir, dass er am Abend zuvor ein halbes Schwein gegrillt hätte. Da musste ich mir schon auf die Zunge beißen, um nicht zu sagen: Da könnten Sie ebenso gut ihren Dackel grillen. Dieses Tier hat genauso eine Würde wie Ihres, aber die wird nicht beachtet.

Großen Tieren kann ich persönlich nicht helfen - außer, sie nicht zu essen. Ich bin seit meiner Kindheit Vegetarierin. Aber bei kleinen Tieren kann ich dafür sorgen, dass es ihnen besser geht. Ich wollte immer schon mit Tieren arbeiten.

In unserer Praxis haben wir vorwiegend mit Hunden zu tun, das ist mir ganz recht. Andere Praxen haben einen größeren Anteil an Heimtieren wie Kaninchen und Meerschweinchen. Um es gleich zu sagen: Weder Kaninchen noch Meerschweinchen sind für Familien mit Kindern geeignet. Beides sind Fluchttiere, die in der Natur in großen Verbänden leben. Die meisten von euch wissen das nicht, aber Einzelhaltung ist Tierquälerei. Und ein Kind, das ein Kaninchen oder Meerschweinchen auf den Arm nimmt, löst Todesangst bei dem Tier aus. Das will aber niemand hören.

Ich verstehe ja, wenn ihr eurem Kind etwas Kuscheliges als Gefährten geben wollt, etwas Kleines zum Streicheln. Zugleich sehe ich das Elend, in dem das Tier lebt. Kein Kaninchen würde freiwillig bei einem Menschen bleiben, wenn es nicht in diesem Käfig gefangen wäre - der auch noch die völlig falsche Art der Haltung ist. Durch die fehlende Bewegung entstehen Verdauungsprobleme, die bis zum Tod führen können. Und warum haltet ihr Vögel in Käfigen?

Euer Unwissen bezüglich der artgerechten Haltung ist ein echtes Problem für Tierärzte. Denn wenn sie euch das so erklären, gelten sie als Spielverderber. Viele werden über dieses Dilemma - denn sie wollen den Tieren ja helfen - zynisch. Ihr geht dann vielleicht zum nächsten Tierarzt und beschwert euch, dass der andere so zickig war. Anstatt euch vor der Anschaffung zu informieren, ob das Tier überhaupt zu euren Lebensumständen passt. Dabei wäre es so einfach: Früher musste man sich dazu Fachliteratur über bestimmte Rassen besorgen, heute müsst ihr nur ein bisschen googeln!

Wenn euch eine bestimmte Rasse gefällt und ihr seht so einen Hund auf der Straße, fragt bitte den Besitzer, wie es sich mit ihm lebt. Wenn der dann erzählt, dass er schon 5000 Euro beim Tierarzt gelassen hat, überlegt euch bitte noch einmal die Anschaffung dieser Rasse.

"Bitte kauft keinen Modehund!"

Ich kann euch nur davor warnen, einen Modehund zu kaufen. Die französische Bulldogge ist ein entzückendes Tier mit sehr viel Charme, sie vergöttert ihren Besitzer und gibt ihm das Gefühl, der tollste zu sein. Aber diese Überzüchtung ist Tierquälerei. Das betrifft alle Hunde mit extrem verkürzten Schnauzen, auch Möpse. Ihr kauft sie, weil sie so goldig sind oder weil ihr sie in der Werbung mit dem lustigen Rentiergeweih gesehen habt - und wir müssen euch dann erklären, dass euer Liebling einen Wasserkopf hat.

Ihr solltet wissen, dass so ein Hund häufig sein Leben lang mit massiven Gesundheitsproblemen zu kämpfen hat. Er wird Zeit seines Lebens Schmerzen haben. Viele Tiere haben neurologische Probleme, Fehlstellungen im Gebiss, eine verformte Wirbelsäule, Bandscheibenvorfälle; sie kippen im Sommer reihenweise um, weil sie keine Luft bekommen. Außerdem werden sie ständig von anderen Hunden gebissen, weil sie keine Mimik haben und keinen Schwanz.

Aber dann kommt ihr als stolze Besitzer mit eurem Hundewelpen zu uns - und wir sollen euch sagen, dass ihr Tierquäler seid? Das ist sehr schwierig. Wenn das Tier bei uns ist, ist es nun mal da, und wir müssen alle irgendwie damit umgehen. Ich verstehe eure Wünsche und auch die Probleme sehr gut, ich bin auch ein Mensch. Aber bitte informiert euch vor der Anschaffung besser, ob das Tier zu euch passt - das kann sehr unterschiedlich sein.

Manche Hunde sind zum Beispiel nicht für das Familienleben geeignet, etwa der sehr beliebte Border Collie. Oder der Rhodesian Ridgeback: Diese Hunde stammen aus Afrika, sie wurden für die Löwenjagd gezüchtet und können dort kilometerweit rennen. Hier sitzen sie in einer kleinen Wohnung mit drei schreienden Kindern und fangen an zu beißen.

Wenn ihr einen Familienhund wollt, schafft euch lieber einen Pudel an. Die sind zwar gerade nicht in Mode, dafür völlig problemlos in der Haltung. Genau wie der Labrador: ein bisschen minderbemittelt, dafür aber total glücklich, wenn er mit einem Stofftier im Maul neben euch sitzen darf. Und warum muss es immer ein Welpe sein? Wenn ihr euch einen Hund aus dem Tierheim holt, bekommt ihr einen, der bereits an Menschen gewöhnt ist - und dankbar für ein neues Zuhause.

Es ist auch immer wieder schwer für mich, mitanzusehen, wie abhängig viele von ihren Tieren sind. Für manche geschiedene Frauen mittleren Alters etwa ist der Hund oder die Katze der einzige Gefährte, sie wäre sonst ganz alleine. Wenn dann noch das Geld knapp ist, wie bei vielen noch älteren Damen, und das Tier krank wird, ist das für beide ein echtes Drama. Viele können sich das Honorar für den Tierarzt von ihrer kläglichen Rente nicht leisten. Andererseits können wir eine Katze, die angefahren wurde, nicht einfach aus Kostengründen einschläfern - wenn sie durch Therapien wieder aufgepäppelt werden kann. Das ist gesetzlich nicht erlaubt. Also stehen wir wieder vor einem Dilemma: Überlassen wir der ohnehin schon einsamen Großmutter das Problem - oder bieten wir die Behandlung günstiger an?

Auf der anderen Seite gibt es junge Frauen, die für ihre Paris-Hilton-Chihuahuas jede Woche ein neues Glitzerhalsband kaufen. Dabei aber nicht merken, wie der Hund beim Schaufensterbummel immer apathischer wird, weil er so schlecht Luft bekommt durch seine verkürzte Schnauze. Viele von euch denken nicht an das Tierwohl, sondern zuerst an sich selbst.

Trotz all diesen Erfahrungen finde ich es zunehmend interessant und wichtig, auch mit euch Menschen umzugehen. Das macht mindestens die Hälfte unserer Arbeit aus. Denn nur wenn ich eure Sorgen oder Lebensumstände verstehe, kann ich eurem Tier helfen. Deshalb erzählt uns ruhig alles, was euch auf dem Herzen liegt - solange es irgendwie mit dem Tier zu tun hat. Wir finden schon eine Lösung. Eine, die für beide Seiten richtig ist. Denn die Tiere können ja nicht mit uns reden. Dazu brauchen sie euch, ihre Besitzer.

Überhaupt wünsche ich mir, dass ihr mehr mit uns zusammenarbeitet und auch im Alltag mehr darauf achtet, wie es eurem Tier in bestimmten Situationen geht. Dann müsstet ihr seltener zu uns kommen. Glaubt mir: Wir haben genügend Patienten und wollen euch nicht mit jeder Behandlung abzocken. Denn wir sind Tierärzte und -helfer geworden, weil wir wollen, dass es den Tieren bei euch gut geht. Und auch dass ihr mit euren Tieren glücklich seid.

Wie nehmen Sie die Menschen wahr, mit denen Sie sich aufgrund Ihrer persönlichen Lebenssituation oder Ihres Berufes tagtäglich auseinandersetzen? Was wollten Sie ihnen schon immer einmal sagen? Senden Sie uns eine kurze Beschreibung per E-Mail an: violetta.simon@sueddeutsche.de. Wir melden uns bei Ihnen.

In dieser Serie kommen Menschen zu Wort, mit denen wir täglich zu tun haben, über die sich die meisten von uns jedoch kaum Gedanken machen. Sie teilen uns mit, wie es ihnen im Alltag ergeht und welche Rolle wir dabei spielen - als nervige Kunden, ungeduldige Patienten, ignorante Mitmenschen.

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