Oktoberfest-Bedienung:"Revanchiert euch, wenn's ums Trinkgeld geht!"

Oktoberfest-Bedienung: Wie ich euch sehe aus der Sicht einer Wiesn-Bedienung

Wie ich euch sehe aus der Sicht einer Wiesn-Bedienung

(Foto: Illustration Jessy Asmus für SZ.de)

Bea arbeitet als Wiesn-Bedienung in einem großen Festzelt und kann Geschichten erzählen: von Deutschen, die beim knausern, und Frauen, die den Masskrug zweckentfremden.

Protokoll von Johanna Bruckner

In unserer Serie "Wie ich euch sehe" kommen Protagonisten unseres Alltags zu Wort: Menschen, mit denen wir täglich zu tun haben, über die sich die meisten von uns jedoch kaum Gedanken machen: eine Polizistin, ein Hausmeister, die Frau an der Supermarktkasse. Sie teilen uns mit, wie es ihnen ergeht, wenn sie es mit uns zu tun bekommen - als Kunden, Gäste, Mitmenschen. Diesmal erzählt Bea von ihren Erlebnissen als Wiesnbedienung.

Nach meinem allerersten Wiesn-Tag dachte ich: "Oh Gott, noch 15 Tage!" Meiner Erfahrung nach sind Untrainierte spätestens nach dem dritten Tag am Ende. Ich selbst bin ein Gastronomiekind. Meine Oma hatte ein Lokal, meine Mutter hat eines. Seit ich 14 bin, helfe ich aus - hauptberuflich arbeite ich allerdings als selbstständige Podologin, also medizinische Fußpflegerin. Ich bin jetzt 31, dieses Jahr mache ich meine sechste Wiesn mit. Mein schönster Moment: Wenn ich zur Einschreibung komme und sehe, wie viele Bedienungen aus dem vergangenen Jahr wieder dabei sind.

Unter der Woche fange ich zwischen zehn und elf Uhr an, am Wochenende um acht. Da stehen vor den Zelten bereits Riesenschlangen. Nach Zeltöffnung machst du dir die Arme voll, nimmst gleich mal zwölf Mass auf. Eine volle Mass Bier wiegt 2,4 Kilo. Aber wer nur mit sechs Mass losläuft, verdient nichts. Mein persönlicher Rekord sind 14, wenn ich oben noch zwei drauf stelle. Aber da schmeißt dir im Gedränge schnell mal jemand zwei Krüge runter oder klaut sie einfach weg.

Als Wiesn-Bedienung arbeitest du auf eigene Rechnung, das bedeutet: Ich muss mir meine Dirndl selbst anschaffen, kaufe die Mass am Ausschank zum Einkaufspreis ein und verkaufe sie dann zum Verkaufspreis. Von jeder Mass bleiben mir zwischen 80 und 90 Cent, davon muss ich noch etwas an die Sozialversicherung abdrücken. Das klingt erst mal wenig, aber bei zwei-, dreihundert Mass, die du am Tag verkaufst, rechnet es sich. Und natürlich kommt das Trinkgeld obendrauf! In der Regel mache ich zwischen 5000 und 10 000 Euro Gewinn.

Am unfreundlichsten sind oft die Deutschen

Gerade Ausländer sind spendabel. Die Amerikaner zum Beispiel mögen keine "coins", kein Kleingeld. In den vergangenen Jahren hat eine Mass um die zehn Euro gekostet - die sagen dann direkt: "15." Am unfreundlichsten sind oft die Deutschen. Die sind ganz genau mit dem Bier. Wenn das nicht bis zum Eichstrich reicht, meckern sie: "Da ist nicht richtig eingeschenkt!" Beim Trinkgeld hingegen halten sie sich lieber zurück - bloß nicht zu viel drauflegen.

Einmal habe ich eine Gruppe bedient, die am Ende eine Riesenrechnung hatte, um die 700 Euro. Und die Frau gibt mir 15 Euro Trinkgeld! Da bin ich hin und habe ganz freundlich gefragt, ob irgendwas nicht gepasst hat. Sie war total entsetzt: Sie wusste einfach nicht, dass es sich bei so einem Betrag gehört, mehr Trinkgeld zu geben. Sie dachte, sie tut uns einen Gefallen. Die Runde hat dann noch mal für uns gesammelt.

Wir Wiesn-Bedienungen machen einen Knochenjob und versuchen, uns das nicht anmerken zu lassen. Wir wollen, dass ihr eine gute Zeit habt. Also revanchiert euch, wenn's ums Trinkgeld geht! Bei anderen Dingen seid ihr doch auch so korrekt, Stichwort Tracht. Besonders Bayern nehmen es damit ganz genau und machen sich lustig, wenn Ausländer daneben greifen. Das finde ich total unangebracht. Die wollen sich nur anpassen und kaufen sich ihr Outfit oft schon zu Hause. Wenn sie im Faschingsdirndl mit Overknee-Stiefeln auf die Wiesn kommen, denken sie, dass sie passend angezogen sind. Ist doch nett!

"Schlimm ist es, wenn Mädels zu faul sind, auf die Toilette zu gehen"

Ich habe mittlerweile viele Stammgäste. Die schreiben mich aus Belgien oder Australien an, ob ich dieses Jahr wieder auf der Wiesn bin. Und wenn sie kommen, bringen sie mir Geschenke mit. Ich verbringe selbst meine Pause im Servicebereich bei den Gästen, gesetzliche Pausenregelung hin oder her. Gerade am Wochenende will man nicht einfach eine Stunde verschwinden - was einem da an Geld rausgeht! Außerdem sind manche Gäste wirklich süß. Die sagen: "Du arbeitest zu viel! Was willst du essen? Was willst du trinken?" Und dann laden sie mich ein.

Aber klar, wir brauchen nicht darum herumreden: Auf der Wiesn zu arbeiten, ist höllisch anstrengend. Viele Kolleginnen und Kollegen bekommen nach der Hälfte einen Wiesn-Koller. Das ist mir auch schon passiert: Das permanente Gedränge im Zelt, dazu der Lärmpegel von morgens bis abends - da ist dein Nervenkostüm irgendwann so dünn, dass du bei der kleinsten Sache heulen könntest. Da reicht es, wenn dich ein Gast dumm anredet.

Sind Frauen oder Männer die schlimmeren Betrunkenen? Ich würde sagen: Es gibt überall Deppen. Schlimm ist es, wenn Mädels zu faul sind, auf die Toilette zu gehen. Ich denke: "Was kniet die sich denn mit ihrem Dirndl auf den dreckerten Boden?" Und dann sehe ich, dass sie in einen Masskrug pinkelt. Der wird dann einfach unter den Tisch geschoben und ich darf die Schweinerei wegräumen. Bodenlos! Normalerweise lasse ich bei sowas direkt die ganze Gruppe aus dem Zelt werfen. Letztes Mal hat mir allerdings ein Typ 20 Euro zugesteckt, da habe ich dann gesagt: "Okay, ich hab' nix gesehen."

Ich bin nicht die Frauenbeauftragte der Wiesn, sondern Bedienung

Klar gibt es besoffene Männer, die zudringlich werden - allerdings eher gegenüber den weiblichen Gästen. Nicht, dass ich das gut finde, aber ganz ehrlich: Ich bin nicht die Frauenbeauftragte der Wiesn, sondern Bedienung. Ich muss nach mir schauen, sonst halte ich nicht bis zum Ende durch. Die Betrunkenen haben Respekt vor uns, wir bringen ihnen ja das Bier. Wenn mir doch mal einer dumm kommt, rufe ich sofort die Security. Diskutieren bringt da nichts.

Es gibt aber auch Erlebnisse, die so absurd sind, dass man nur darüber lachen kann. Arschritzen-Biersaufen, zum Beispiel. Da liegt einer am Boden, über ihm stehen mit heruntergelassenen Hosen seine beiden Freunde und drücken die Ärsche aneinander - und ein Vierter schüttet von oben das Bier rein. Der, der unten liegt, trinkt es. Oder die Schotten: Die haben wirklich nichts an unter ihren Röcken und lassen schon mal die Frau drunter gucken. Oder sogar hinlangen. Es ist der Wahnsinn!

Ihr denkt jetzt wahrscheinlich: Wie kann sie sich das jedes Jahr wieder antun? Schwere Masskrüge durch Horden von Betrunkenen schleppen, die am Zelteingang sämtliche Manieren abgegeben haben. Ich kann es selbst nur schwer erklären. Das Gemeinschaftsgefühl unter den Bedienungen spielt natürlich eine Rolle. 16 Tage Wiesn - das schweißt zusammen. Und auch wenn Ihr es womöglich nicht versteht, es ist einfach so: Auf der Wiesn blüht mein Herz auf.

In dieser Serie kommen Menschen zu Wort, mit denen wir täglich zu tun haben, über die sich die meisten von uns jedoch kaum Gedanken machen. Sie teilen uns mit, wie es ihnen im Alltag ergeht und welche Rolle wir dabei spielen - als nervige Kunden, ungeduldige Patienten, ignorante Mitmenschen.

  • "Brauchen wir länger, tut uns das genauso weh"

    Ständig unter Strom und trotzdem meist zu spät: Ein Pizzabote erzählt, was er riskiert, um seine Lieferung möglichst schnell zum Kunden zu bringen. Und warum er sich oft wie ein Detektiv vorkommt.

  • "Die meisten wollen mich anfassen"

    Zum Jahreswechsel werden wieder kleine Schornsteinfeger-Figuren verteilt. Ein Kaminkehrer erzählt in einer Folge von "Wie ich euch sehe", wie es sich als rußüberzogener Glücksbringer lebt.

  • "Manchmal muss ich regelrecht die Tür verteidigen"

    Frauen, die sich um Ausscheidungen sorgen, Familien, die den Kreißsaal stürmen, Männer, die plötzlich umfallen: Eine Hebamme erzählt in einer Folge von "Wie ich euch sehe", was sie bei Geburten erlebt.

Wie nehmen Sie die Menschen wahr, mit denen Sie sich aufgrund Ihrer Lebenssituation oder Ihres Berufes tagtäglich auseinandersetzen? Was wollten Sie schon immer einmal loswerden? Senden Sie ein paar Sätze mit einer kurzen Beschreibung Ihrer Situation per E-Mail an: leben@sueddeutsche.de. Wir melden uns bei Ihnen.

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