"Wie ich euch sehe" zu Transgender:"Ich bin nicht im falschen Körper"

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Lara B. wäre gern eine ganz normale Frau. (Foto: Illustration Jessy Asmus für SZ.de)

Ihr größter Wunsch: Frau sein zu können, ohne andere damit zu irritieren. Eine Transgender-Frau erzählt von ihren Erfahrungen im Alltag, im Job - und in der Ehe.

Protokoll von Violetta Simon

Mein Körper ist der eines Mannes, doch ich bin eine Frau - und als Frau möchte ich mein Leben leben. In unseren Köpfen herrscht die Vorstellung, dass der Körper uns zu dem macht, was wir sind: Mann oder Frau. Das macht mich zu einer Person, die es eigentlich nicht geben darf. Viel zu lange habe ich das nicht hinterfragt und mich selbst abgelehnt. Inzwischen ist mir klar geworden: Ich muss und ich will mit diesem Körper leben.

Die meisten Transgender tun alles dafür, ihre biologische Natur zu verbergen. Doch mit meinen knapp zwei Metern Körpergröße, der kräftigen Statur und den großen Händen werde ich als Frau immer Aufsehen erregen. Daher bleibt mir nur die Wahl, ein verzweifelter Mann oder eine auffällige Frau zu sein.

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Obwohl mein Geschlecht nur eine von vielen Facetten meiner Persönlichkeit ist, muss ich mich ständig damit auseinandersetzen. Alles kreist darum, wer oder was ich bin, immer wieder muss ich mich vor euch rechtfertigen. Dabei gibt es neben der Verwirklichung der eigenen Geschlechtsidentität auch noch andere wichtige Aspekte in meinem Leben. Dafür gehe ich Kompromisse ein und lebe beide Geschlechter.

Da wäre zum Beispiel meine Ehe: Ich liebe meine Frau und weiß, dass die Situation für sie unerträglich wäre, wenn ich komplett die Seiten wechseln würde. Seit mehr als 15 Jahren lebt sie mit dem Wissen, dass ich mich als Frau fühle, und bis heute war und ist es ein langer, zuweilen schmerzhafter Prozess, unseren gemeinsamen Weg auszuloten und unsere Partnerschaft zu gestalten. Doch unsere Beziehung ist uns beiden wichtig, wir wollen sie nicht aufgeben.

In meinem Job ziehe ich es vor, in die Rolle des Mannes zu schlüpfen. Da darf man sich keine Illusionen machen - andernfalls würde ich beruflich sofort kaltgestellt werden. Selbst Arbeitgeber mit einer fortschrittlichen Unternehmenskultur würden nicht so weit gehen, leitende Positionen mit Transgendern zu besetzen, aus Angst, Geschäftspartner vor den Kopf zu stoßen: Führungskräfte dürfen nicht irritieren.

Nicht der Körper entscheidet über das Geschlecht

Ich weiß, es ist viel verlangt, mein Konzept zu verstehen: dass man beides haben will. Selbst andere Transgender kritisieren, dass ich nicht die letzte Konsequenz auf mich nehme und meinen Körper operativ verändern lasse. Im Grunde haben sie aber auch nur dieselben Denkmodelle wie ein Großteil der Gesellschaft: Sie glauben, der Körper entscheidet über das Geschlecht.

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Für Menschen wie mich gibt es ja die schöne Erklärung, dass Transgender "im falschen Körper gefangen seien" - eine Interpretation, die alle glücklich machen könnte. Doch so ist es nun einmal nicht. Nicht mein Körper ist falsch, sondern die gesellschaftlichen Normen und ihre Vorstellung. Das Geschlecht eines Menschen erschöpft sich nicht in seinen Genitalien, und Transidentität ist weitaus mehr als ein körperlicher Aspekt. Geist, Verstand und Psyche gehören ebenso dazu, auch wenn man sie nicht sehen kann. All das macht uns zu dem, was wir sind. Niemand würde ernsthaft behaupten, dass Menschen allein über ihren Körper definiert werden - warum sollte das bei transidentitären Menschen anders sein?

Wir sind nicht nur Individuen mit bestimmten Eigenschaften, sondern soziale Wesen mit Bedürfnissen und Beziehungen. Wir treffen doch nicht alle Lebensentscheidungen ausschließlich unter dem Blickwinkel unseres Geschlechts! Wir haben emotionale, körperliche, intellektuelle Bedürfnisse, die davon unabhängig sind. Wozu also soll ich meinen Körper oprativ verändern lassen, nur um irgendwelche wildfremden Leute zufriedenzustellen?

Viele von euch wissen nichts von meiner Identität als Frau, sie erleben mich nur als Mann. Manche wiederum kennen mich nur als Frau - und eine kleine Gruppe kennt mich in beiden Versionen. Unabhängig von meiner äußeren Erscheinung behandeln mich die meisten meiner Freunde und Bekannten so, wie ich mich gebe: als Frau. Diesen Menschen bin ich dankbar, weil sie mir das Gefühl vermitteln, akzeptiert zu werden.

Wenn ich mich in Frauenkleidung in der Öffentlichkeit zeige, wünsche ich mir, dass man mich entsprechend behandelt, also mich mit "Frau ..." anspricht oder akzeptiert, dass ich die Damentoiletten benutze. Natürlich freue ich mich auch, wenn man mir in den Mantel hilft oder die Türe aufhält, doch das ist dann schon die Zugabe. Am liebsten wäre mir, wenn ihr euch mir gegenüber so verhaltet, als wäre nichts Besonderes an mir. Das absolute Glücksgefühl empfinde ich, wenn ihr mich kurz anschaut und ohne weitere Reaktion weitergeht. In so einem Moment denke ich: Hey - ich kann eine Frau sein!

Nachts, wenn mir auf einer einsamen Straße eine Gruppe Menschen entgegenkommt, habe ich manchmal Angst. Ich weiß, dass Transpersonen ein erhöhtes Risiko haben, Opfer von Hassverbrechen zu werden. Aber ich lasse mich von dieser Angst nicht beherrschen. Und ich will anderen nicht die Chance geben, mich zu verletzen - weder psychisch noch physisch.

Einige von euch werden immer versuchen, auf meine Kosten ihren Spaß zu haben. Doch solche Erfahrungen mache ich zum Glück selten. In erster Linie bin ich froh, dass ich in Deutschland lebe, wo mich das Gesetz schützt und man mich nicht steinigen darf. Und dass ich als Frau und Mensch weitgehend akzeptiert werde. Ich möchte daher nicht jammern, sondern lieber Danke sagen.

Es hat übrigens durchaus Vorteile, erkennbar "trans" zu sein. So weist uns zum Beispiel kaum ein Türsteher ab, weil wir so etwas wie Exotik und Sensation mitbringen. Besonders schön finde ich, dass ich durch meine erzwungene Selbstoffenbarung schnell Zugang zu anderen Menschen bekomme. Viele öffnen sich und erzählen Dinge über sich, die sonst nur enge Freunde erfahren.

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Manche sagen, sie finden mich und was ich tue mutig. Ich muss tatsächlich mutig sein und habe lange dafür gebraucht. Deshalb freue ich mich, dass das anerkannt wird. Andererseits macht mir diese Aussage klar, dass mein eigentlicher Wunsch, eine ganz normale Frau zu sein, für mich nie in Erfüllung gehen wird. Ich werde weiterhin Mut brauchen, weil ich immer auffällig sein werde. Weil man mir trotz aller Mühe immer ansehen wird, dass ich nicht als Frau geboren wurde.

Ich wünsche mir, eines Tages nicht mehr mutig sein zu müssen. Ich wünsche mir, mit meiner Besonderheit nicht aufzufallen. So wie auch niemandem auffällt, dass ich Linkshänderin bin.

Ich weiß, dass ich nicht so bin, wie ihr euch eine Frau vorstellt. Trotzdem bin ich eine - und ich bin dankbar dafür, dass ihr das weitgehend akzeptiert.

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