"Wie ich euch sehe" zu Linkshänderin:"Macht mal einen Tag alles mit links"

Linkshänderin

Linkshänderin „Versuch‘ es doch mal mit der richtigen Hand“ - für diese Frau ist die linke die richtige.

(Foto: Illustration Jessy Asmus/SZ)

Jeanne T. ist Linkshänderin. Was sie sich wünscht, um in unserer rechtsorientierten Welt besser zurechtzukommen, erzählt sie in einer neuen Folge von "Wie ich euch sehe".

Von Juri Auel

In unserer Serie "Wie ich euch sehe" kommen Menschen zu Wort, mit denen wir im Alltag zu tun haben, über die sich die meisten von uns jedoch kaum Gedanken machen: chronisch Kranke, eine Kontrolleurin, ein Pfarrer, eine Verkäuferin. Sie erzählen, wie es ihnen ergeht, wenn sie es mit uns zu tun bekommen - als Kunden, Patienten, Mitmenschen. Diesmal beschreibt Jeanne T. ihren Alltag als Linkshänderin.

Ihr wisst ja gar nicht, wie gut ihr es habt. Über die Probleme, die mir in meinem Alltag begegnen, habt ihr euch vermutlich noch nie Gedanken gemacht. Warum auch? Ihr seid in der Mehrheit, unsere ganze Welt ist auf eure Bedürfnisse ausgerichtet. Dabei wäre es manchmal so einfach, die Dinge so anzuordnen, dass man sie mit beiden Händen gut bedienen kann - egal, welche man benutzt.

Zum Beispiel beim Einkaufen: Es wäre total simpel, das Teil am Einkaufswagen, in das man die Münzen steckt, in die Mitte zu setzen. Schiebt man den Wagen, hat man die Hände ohnehin links und rechts am Griff. In der Mitte wäre also genug Platz dafür.

Auch bei Geldautomaten ließe sich der Kartenschlitz bestimmt mittig anbringen. Wenn ich bei meiner Bank Geld abhebe, kann jeder hinter mir meinen verbleibenden Kontostand auf dem Display sehen. Weil ich die Karte mit links herausziehe, stehe ich etwas versetzt nach rechts vor dem Automaten und gebe so den Blick auf den Bildschirm frei. Die Bank sagt, ich solle das Display einfach mit der rechten Hand zuhalten - aber wie soll das gehen, ohne meine Arme zu verknoten?

Dasselbe gilt für Waschmaschine, Kaffeemaschine und Spülmaschine - den Einstellknopf an diesen Geräten von rechts in die Mitte zu versetzen, wäre mit Sicherheit möglich - und würde mir das lästige Überkreuz-Greifen ersparen. Es gibt auch nahezu keine Kameras für Linkshänder. Der Auslöser und die Rädchen für die Einstellungen sind immer - richtig geraten ­- rechts.

Das sind alles keine dramatischen Dinge, aber ein bisschen mehr Verständnis von euch Rechtshändern für unsere Bedürfnisse wäre schön. Ich würde mir wünschen, dass ihr einen Tag mal alles mit Links macht - dann wüsstet ihr, wie wir uns täglich fühlen. Versucht mal, die Tasten eures Smartphones gut zu erreichen oder probiert einen Korkenzieher zu verwenden oder mit einem Schälmesser ein halbwegs annehmbares Ergebnis zu erzielen. Ihr werdet dabei grandios scheitern.

"Ein Linkshänder kann eine Rechtshänderschere nicht bedienen"

Dann würde der Kellner im Restaurant mein Glas, das ich mir links hingestellt habe, auch nicht mehr ungefragt wieder zurück auf die rechte Seite stellen, damit alles seine Ordnung hat.

Ihr würdet auch nicht mehr verdutzt schauen, wenn ich einmal versehentlich beim Begrüßen die linke Hand vorstrecke. Oder euch bitte, ein Pflaster für mich abzuschneiden. Ach, das wusstet Ihr nicht? Eine Linkshänderin kann eine Rechtshänderschere nicht bedienen, das funktioniert nicht.

Es hat eine Weile gedauert, bis ich meine Identität als Linkshänderin anerkannt und als etwas Normales empfunden habe. Als etwas, für das ich mich nicht minderwertig fühlen muss. Heute bin ich stolz darauf, eine zu sein. Es macht mir nichts mehr aus, wenn Leute es amüsant finden, mich mit Links schreiben zu sehen.

Früher war das nicht so. Ich bin in den Fünfzigern geboren, mein Vater war ein konservativer Mann, der keine Widersprüche duldete. Für ihn war es ein Unding, wenn ich meiner Mutter ein Stück Seife mit der linken Hand reichen wollte. Ich hatte das Gefühl, von meinen Eltern nur geliebt zu werden, wenn ich so funktionierte, wie sie es wollten. Das hat tiefe Narben in mir hinterlassen.

Viele Eltern neigen heute noch dazu, ihrem Kind den Stift in die rechte Hand zu geben, wenn es ihn mit der linken greift. Die Linkshändigkeit, so hoffen sie, sei nur eine Phase, die wieder vorüber geht. Ich finde, man sollte der Natur mehr Freiheit lassen. Der Satz "Versuch es doch mal mit der richtigen Hand", den viele Kinder immer noch zu hören bekommen, geht gar nicht. Das ist komplett gemein. Für uns Linkshänder ist die linke nun mal die richtige Hand.

Das soll jetzt nicht arrogant klingen, aber als Linkshänderin komme ich mir heute manchmal sogar vor wie ein bunter Vogel unter Spatzen. Ich glaube, weil ich im Alltag auf so viele Dinge achten muss, bin ich feinfühliger für Details und kann mich besser in andere Menschen hineinversetzen als viele Rechtshänder.

Anderen Linkshändern würde ich raten, solche typischen Situationen mit Humor zu nehmen. Was wir nicht gebrauchen können, ist eine Art Konkurrenzkampf zwischen Rechts- und Linkshändern. Im Grunde sind wir alle gleich und unterscheiden uns nur in einer Kleinigkeit. Und wenn wir uns umarmen, tun wir das mit beiden Armen - und der Mund ist in der Mitte.

Wie nehmen Sie die Menschen wahr, mit denen Sie sich aufgrund Ihrer persönlichen Lebenssituation oder Ihres Berufes tagtäglich auseinandersetzen? Was wollten Sie in der Hinsicht schon immer einmal loswerden? Senden Sie ein paar Sätze mit einer kurzen Beschreibung per E-Mail an: leben@sueddeutsche.de. Wir melden uns bei Ihnen.

In dieser Serie kommen Menschen zu Wort, mit denen wir täglich zu tun haben, über die sich die meisten von uns jedoch kaum Gedanken machen. Sie teilen uns mit, wie es ihnen im Alltag ergeht und welche Rolle wir dabei spielen - als nervige Kunden, ungeduldige Patienten, ignorante Mitmenschen.

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