Süddeutsche Zeitung

"Wie ich euch sehe" zu Baumarkt-Mitarbeiter:"Manchmal sind eure Ideen irrsinnig"

Christian D. blickt den Menschen beim Dübel- und Schraubenkauf in die Seele. Was er da entdeckt, verrät der Baumarkt-Mitarbeiter in einer neuen Folge von "Wie ich euch sehe".

Von Julian Dörr

In unserer Serie "Wie ich euch sehe" kommen Menschen zu Wort, mit denen wir im Alltag zu tun haben, über die sich die meisten von uns jedoch kaum Gedanken machen: chronisch Kranke, eine Kontrolleurin, ein Pfarrer, eine Verkäuferin. Sie erzählen, wie es ihnen ergeht, wenn sie es mit uns zu tun bekommen - als Kunden, Patienten, Mitmenschen. Diesmal beschreibt Christian D., wie er als Mitarbeiter in einem Baumarkt mit den utopischen Ideen und der Ungeduld seiner Kunden umgeht.

Der Baumarkt ist ein sehr interessanter, weil sehr demokratischer Ort. Hier kommen von der einfachsten Schicht bis zum Professor alle zusammen.

Wenn ich durch die Gänge gehe, schaue ich nicht nur, ob die Regale voll sind. Ich sehe auch die Menschen. Dabei sehe ich oft sehr weit in euch hinein. Hilflosigkeit erkenne ich sofort, das ist jahrelange Erfahrung. Die Besonderheit liegt aber darin, ob und wie man die Menschen anspricht. Ich als Mitarbeiter muss ein Gefühl dafür haben. Was für mich dabei aber immer wichtig ist: ein Lächeln, Witz, Freundlichkeit, Humor.

Wenn zum Beispiel ein Ehepaar darüber diskutiert, in welchem Gang etwas stehen könnte, dann mische ich mich ganz frech in das Gespräch ein. Das lockert die Stimmung. Viele kommen frustriert und gestresst in den Baumarkt. Zum Beispiel habe ich immer wieder Kundinnen, die von ihrem Mann geschickt werden, um irgendwelche Schrauben zu besorgen, aber nicht genau wissen, was sie brauchen. Dann telefoniere ich einfach mit dem Handy der Kundin mit ihrem Mann und finde heraus, worum es geht. Mit einem kleinen Späßchen kriegt man die Leute oft. Ein Grinsen, ein Schulterklopfen, ein Händeschütteln, schon seid ihr besser drauf.

Der Schraubengang ist mein Bereich, da kenne ich mich aus. Manchmal steht ihr da herum und sucht eine Schraube oder einen Dübel, aber wisst nicht einmal, aus welchem Material eure Wand ist. Es gibt Kollegen, die blocken dann schon ab. Ich versuche, euch so weit wie möglich zu helfen - Schritt für Schritt. Dann dauert es eben mal eine halbe Stunde, doch die Zeit nehme ich mir.

Eure Ideen sind manchmal utopisch

Manchmal sind eure Ideen aber so irrsinnig, dass ich euch einbremsen muss. In Schwabing wollte einer mal in einer Altbauwohnung mit sehr hohen Decken eine Ebene einziehen, um sie als Kinderzimmer zu nutzen. Ohne irgendwelche Vorplanung sollte ich für ihn eine Zwischendecke konstruieren. "Da braucht man einen Statiker", habe ich ihm gesagt. Zufälligerweise stand ein anderer Kunde neben uns, der war Statiker. Der hat ihm dann gleich von diesem Projekt abgeraten.

Einige von euch haben wirklich utopische Vorstellungen. Sie wollen alles selber machen, informieren sich aber nur im Internet - über Youtube-Videos zum Beispiel. Vielen fehlt es jedoch an der praktischen Erfahrung. Sie wissen nicht, was man alles berücksichtigen muss. Baut ihr zum Beispiel eine Pergola für den Garten, denkt ihr dann auch an das zusätzliche Gewicht von Schnee und Eis im Winter? Und an die Sicherung gegen Sturm oder Gewitter?

Der Baumarkt ist ein echter Mikrokosmos, hier gibt es wirklich viel - aber nicht alles. Letzten Sommer kam einer und wollte ein Segelboot kaufen. Ein richtiges großes Segelboot. Dann hatte ich mal eine Kundin, eine Dame aus gutem Hause, die hatte wohl ein bisschen mehr Geld. Und wollte anscheinend auch von mir ein bisschen mehr. Sie hatte ein handwerkliches Problem zu Hause und fragte mich, ob ich sie denn einmal besuchen könnte.

Im Baumarkt wird es mitunter auch schnell mal hitzig. Oft werden Kunden aggressiv und manchmal sogar gewalttätig. Es kommt vor, dass ich mit jemandem im Gespräch bin und dann von einem anderen Kunden gestört werde, der sich in das Gespräch einmischt. Manche Leute können einfach nicht warten, bis sie dran sind. Ich hatte mal eine ältere Dame da, die mich unterbrach, weil sie ein Kind dabei hatte und deshalb unbedingt zuerst bedient werden müsse. Ein anderer Kunde meinte einmal, er sei Geschäftsmann und habe keine Zeit. Und wieder ein anderer meinte, weil er ein älterer Herr sei, habe er Vorrang und alle anderen müssten eben warten oder später wieder kommen.

Es kommt auch manchmal vor, dass sich Kunden gegenseitig angreifen. Da hatten wir mal einen Vorfall im Sanitärbereich. Ein Kunde wartete bei einem Verkäufer, weil dieser gerade noch nicht frei war. Ein zweiter Kunde kam hinzu und drängelte sich vor. Ein heftiger Streit brach aus, erst verbal, dann handgreiflich. Ein weiterer Kunde machte ein Handyfoto von den zwei kämpfenden Männern. Daraufhin sprang ihn einer der beiden an und schlug ihm das Handy aus der Hand, das am Boden zerbrach. Mein Kollege hat dann die Polizei gerufen.

Letzten Sommer hat mich jemand tätlich angegriffen. Es war kurz vor 20 Uhr, ich war in einem Beratungsgespräch, zwei weitere Kunden warteten. Der Mann kam aus dem Sanitätsbereich und wollte sofort beraten werden. Als ich ihm signalisierte, dass ich gerade in einem Gespräch bin, schrie er rüber: "Du kleiner Zwerg, jetzt mach mal hin, ich brauch Hilfe!" Ich blieb ruhig - auch als er weiter mit Schimpfwörtern um sich warf. Aber er wurde aggressiv und ist mit der Faust auf mich los. Bis die Kollegen kamen, war der Typ schon verschwunden.

Man braucht wirklich starke Nerven in diesem Job. Ich vergleiche den Baumarkt gerne mit dem Straßenverkehr. Wenn man da auch mal zurücksteckt, nett ist und jemanden rein lässt, dann kommt man ein großes Stück weiter. Weshalb ich mir auch wünschen würde, dass ihr etwas mehr Zeit und Ruhe in den Baumarkt mitbringt. Man kommt oft aus der Hektik, ich weiß ja, wie es ist. Aber man kann auch nicht immer nur fordern. Oder gleich mit dem Chef drohen.

Wenn nur drei Mitarbeiter da sind von sieben, wegen Krankheit oder Urlaub, dann muss man halt einfach mal warten. Doch das können viele nicht. Sie wollen sofort und gleich, eben genau wie im Straßenverkehr. Ein paar denken mit, andere drängeln sich rein. So spielt sich das hier auch ab. Manche von euch kommen mit einer gewissen Ruhe in den Baumarkt und haben Geduld. Andere nicht. Da spiegelt sich unsere ganze Gesellschaft wider.

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