"Wie ich euch sehe" zu Altenpflegerin:"Irgendwann seid ihr angewiesen auf Menschen wie mich"

"Wie ich euch sehe" zu Altenpflegerin: "Wie ich euch sehe" aus der Sicht einer Altenpflegerin

"Wie ich euch sehe" aus der Sicht einer Altenpflegerin

(Foto: Illustration Jessy Asmus für SZ.de)

Immer im Wettlauf mit der Zeit und zwischen den Stühlen: Eine Altenpflegerin erzählt aus ihrem Alltag. Und was sie sich von Angehörigen wünscht.

Von Gianna Niewel

In unserer Serie "Wie ich euch sehe" kommen Menschen zu Wort, denen wir täglich begegnen, über die sich die meisten von uns jedoch kaum Gedanken machen. Sie teilen uns mit, wie es ihnen im Alltag ergeht, wenn sie es mit uns zu tun bekommen - als Kunden, Patienten, Mitmenschen. Diesmal erzählt Martina, 26, von ihren Erfahrungen als Altenpflegerin.

Eigentlich wollte ich nicht Altenpflegerin werden, es hat sich so ergeben. Ich habe in der Schule ein Praktikum in einem Seniorenheim gemacht, das fand ich gut. Ich ließ die Alten beim Mau-Mau gewinnen und spielte mit ihnen ein Spiel, bei dem sie das Ende von Sprichwörtern ergänzen mussten. Ich sagte: "Kommt Zeit" und jemand aus der Gruppe antwortete: "... kommt Rat". Dann lachten sie. Dass das nicht alles ist, habe ich erst in der Ausbildung gelernt. Und ich lerne es noch immer, jeden Tag.

Manchmal sind wir morgens nur zu zweit auf einer Station, um 20 Menschen zum Frühstück fertig zu machen. 20 Menschen, die unterschiedliche Pflegestufen haben. Für jeden bleiben uns nur ein paar Minuten. Selbstverständlich fühlt sich das nicht gut an, dieses Schnell-Schnell. Aber wir können nichts dafür, dass es zu wenig Personal gibt.

Was würden Sie tun, wenn Sie zum Beispiel in ein Zimmer kommen und die alte Dame am Boden liegt, weil sie selbst aufstehen wollte und dabei gefallen ist? Natürlich kümmern wir uns erst einmal um sie und schauen nach, ob es ihr gut geht, ob sie verwirrt ist und ob sie sich wirklich nichts gebrochen hat. Im nächsten Zimmer sind wir dann eben nicht um acht Uhr, wie eigentlich geplant. Sondern vielleicht erst um 8.15 Uhr.

Nachmittags steht dann die Tochter der Frau im Büro, die wir eine Viertelstunde zu spät zum Frühstück gefahren haben, und beschwert sich darüber. Als hätte ihre Mutter Termine! Ich würde in so einem Moment gern sagen: Gute Frau, wenn Ihre Mutter gefallen wäre, würden Sie dann nicht auch wollen, dass wir uns zuerst um sie kümmern? Tue ich aber nicht. Ich entschuldige mich für die Verspätung, ich erkläre, wieso es dazu kam. Und gehe weiter.

Einmal hat die Tochter einer Frau den Rufknopf gedrückt, als ich gerade dabei war, die Medikamente zu verteilen. Ich habe die Medikamente weggestellt und bin sofort zu ihrer Mutter ins Zimmer. Ich habe sie gegrüßt. Die Tochter hat geantwortet: "Na endlich". Sie wollte, dass ich ihrer Mutter einen neuen Pullover anziehe, sie hatte sich Orangensaft drüber gekippt.

Sicher sind wir irgendwo Dienstleister und das kommt von Dienst leisten, und klar habe ich ihr geholfen. Aber Umziehen, das ist doch wirklich nicht so schwer: Arme hoch, Pulli aus, einen Arm in den neuen Pulli, zweiter Arm in den neuen Pulli, überziehen, fertig. Manchmal habe ich das Gefühl, sobald ich meine weißen Sachen überziehe und mir das Schild mit meinem Namen anhefte, denken die Verwandten, sie könnten mich herumscheuchen.

Unsere Arbeit ist nicht selbstverständlich

Für mich hat sich durch den Beruf viel verändert - dadurch, dass ich andere oft hilflos sehe. Menschen, die sich einnässen, die sabbern, die vergessen haben, wo sie sind und wie sie heißen. Ich weiß meine Gesundheit viel mehr zu schätzen, ich gehe jetzt zum Beispiel joggen, zwei Mal die Woche, um mich fit zu halten.

Eine Frau auf unserer Station ist erst 65, das ist ja heute kein Alter. Ihr Mann ist gestorben, die Kinder wohnen weit weg und kommen selten. Das ist ja schon schlimm genug. Seit ein paar Tagen denkt sie, wir Altenpfleger würden sie belügen. Natürlich meint sie es nicht böse, wenn sie sagt: "Sie lügen mich doch an" oder: "Alle lügen hier". Und trotzdem bleibt bei mir ein schales Gefühl zurück. Ich will nicht, dass andere so über mich denken. Aber je mehr ich auf sie einrede, desto stärker beharrt sie auf ihrem Standpunkt. Ich habe schon ein paar Mal mit den Kollegen darüber gesprochen - wir wissen wirklich nicht, was wir tun sollen, damit sie uns wieder vertraut.

Oft wünsche ich mir, dass die Menschen nicht so auf uns Altenpfleger herabschauen würden. Wir arbeiten Schicht und werden nicht gut bezahlt dafür, dass wir uns um die Alten und Schwachen kümmern. Gerade für mich als Frau ist der Job auch körperlich anstrengend, wenn ich zum Beispiel jemanden aus dem Sessel hieven muss, der viel größer und schwerer ist als ich und selbst kaum Kraft hat. Das ist das eine.

Das andere ist: Wir füttern den Vater oder die Mutter, wir helfen beim Duschen, wir sind oft die, die als erste zuhören, wenn jemand nachts schlecht geträumt hat oder von früher erzählen will. Das alles bedenken die Verwandten oft nicht. Ihr kommt und erwartet, dass eure Mutter oder euer Vater satt ist, eine frische Windel trägt und gute Laune hat, damit Ihr sie eine Stunde im Rollstuhl spazieren fahren könnt, ehe Ihr sie für die nächsten Tage wieder bei uns abgebt - zum Füttern und zum Windelnwechseln.

Für euch ist das selbstverständlich. Doch irgendwann braucht Ihr, die Kinder, vielleicht auch jemanden, der euch beim Aufstehen hilft. Dann seid Ihr angewiesen auf Menschen wie mich, dann ist unsere Arbeit nicht mehr selbstverständlich. Das vergisst man nur leicht, solange es einem gut geht.

Wie nehmen Sie die Menschen wahr, mit denen Sie sich aufgrund Ihrer persönlichen Lebenssituation oder Ihres Berufes tagtäglich auseinandersetzen? Was wollten Sie schon immer einmal loswerden? Senden Sie ein paar Sätze mit einer kurzen Beschreibung per E-Mail an: leben@sueddeutsche.de. Wir melden uns bei Ihnen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: