"Wie ich euch sehe" - Taxifahrer:"Warum habt ihr so wenig Vertrauen?"

"Wie ich euch sehe" - Taxifahrer: Fährt lieber nachts: Taxifahrer Amir F.

Fährt lieber nachts: Taxifahrer Amir F.

(Foto: Illustration Jessy Asmus)

Amir F. fährt Taxi, am liebsten nachts. Er wundert sich über Fahrgäste, die meinen, den Weg besser zu kennen als er. Warum, erklärt er in einer neuen Folge von "Wie ich euch sehe".

Von Ruth Schneeberger

In unserer Serie "Wie ich euch sehe" kommen Menschen zu Wort, mit denen wir im Alltag zu tun haben, über die sich die meisten von uns jedoch kaum Gedanken machen: chronisch Kranke, eine Kontrolleurin, ein Pfarrer, eine Verkäuferin. Sie erzählen, wie es ihnen ergeht, wenn sie es mit uns zu tun bekommen - als Kunden, Patienten, Mitmenschen. Diesmal beschreibt Amir F. seinen Alltag als Taxifahrer.

Ich fahre immer nachts. Dann gibt es die angenehmeren Gäste, die Leute sind entspannter. Sie müssen nicht um Punkt acht Uhr im Meeting sein. Natürlich fährt man nachts auch viele Betrunkene, aber mit denen komme ich prima klar. Ich trinke selber ganz gerne mal was, deshalb weiß ich, wie man mit Betrunkenen umgeht: Bloß nicht provozieren! So hatte ich noch nie Probleme.

Ich will ja keinen Streit. Manche Gäste schon, aber das Gute daran ist: Ich sehe die Leute für 15 Minuten und danach nie wieder. Warum soll ich mich mit denen anlegen? Deshalb unterhalte ich mich auch nicht über Politik oder Religion. Das lernen wir schon in der Taxifahrerschule. Bei diesen Themen kommt es fast immer zu Streit. Also lieber meiden.

Allerdings wollen die Kunden in letzter Zeit verstärkt über Religion reden. Seit den Anschlägen von Paris und besonders seit den Vorfällen an Silvester 2015 in Köln haben viele Deutsche Angst vor muslimischen Männern.

Ich komme aus Afghanistan und habe es selber zweimal erlebt, erst gestern: Ich stand am Flughafen als Zweiter in der Reihe, ein Freund und Kollege stand mit seinem Taxi vor mir. Eine Mutter mit Kind wollte bei ihm einsteigen, sah seinen Bart - und stieg stattdessen bei mir ein. Ich fragte sie, warum, denn ich fahre ein Großraumtaxi, das wollen viele eher nicht. Sie sagte: Sie habe Angst vor Islamisten.

Weil ich keinen Bart trage, haben die Leute vor mir nicht direkt Angst, aber in letzter Zeit ist es so, dass zwölf von 15 Fahrgästen als Erstes fragen, wo ich herkomme. Das kommt direkt nach der Anweisung, wo es hingeht. Ich verstehe, dass man sich nach Anschlägen Sorgen macht, aber alle muslimischen Männer unter Generalverdacht zu stellen, das geht nicht.

Ich will auch nicht jedes Mal gefragt werden, ob ich auch wirklich gut integriert bin - ja, ich bin integriert. Ich habe Familie, Kinder, die haben einen Weihnachtsbaum, ich interessiere mich wenig für Religion. Aber muss ich darüber wirklich jedem Fahrgast Auskunft geben? Versetzt euch mal in mich hinein: Wollt ihr ständig von Fremden über eure Wertvorstellungen ausgefragt werden?

"Die Fahrgastroute ist nie die kürzeste Route"

Anfangs habe ich mich am meisten geärgert über Fahrgäste, die den Weg besser kannten als ich. Natürlich macht man ein paar Anfängerfehler - aber warum habt ihr nicht ein bisschen mehr Vertrauen? Manche fragen bei jeder Abzweigung und bei jeder Ampel, ob das jetzt gut für sie oder gut für das Taxameter ist. Ich erkläre dann gerne, wie das mit dem Taxientgelt funktioniert.

Glaubt ihr wirklich, dass wir für 20 Cent mehr an einer Ampel einen Umweg fahren würden? Das macht pro Strecke vielleicht einen Euro aus - wir haben anderes zu tun, als ständig zu überlegen, wie wir euch übers Ohr hauen können. Man hat ja als Taxifahrer auch seine Ehre.

Das habe ich auch von meinem Fahrlehrer gelernt: Die Fahrgastroute ist nie die kürzeste Route. Auch darüber lohnt es sich nicht zu streiten. Wir fahren dann eben die Strecke, die der Kunde fahren will. Aber dieses ständige Reinreden: links, rechts, schneller - das nervt.

Am liebsten sind mir die Fahrgäste, die ich zum Lachen bringen kann und die beim Aussteigen ein gutes Gefühl haben. Wenn das gelingt, war das eine gute Fahrt.

Was das Trinkgeld angeht, ist man in München ein bisschen verwöhnt, gerade nachts. Betrunkene sind großzügiger und geben schon mal 40 Euro Trinkgeld - für eine Zehn-Euro-Fahrt. Oder auch am Abend jemand, der so dankbar ist, dass das einzig verfügbare Taxi ihn schnell mitnimmt. Viele wollen das gleich großzügig belohnen.

Das höchste Trinkgeld, von dem ich je in München gehört habe, hat ein Freund von einem arabischen Touristen bekommen. Der wollte im Auto rauchen, der Taxifahrer sagte nein. Der Tourist bot ihm 50 Euro - nein. 100 Euro? Nein! Bei 250 Euro hat mein Freund eingewilligt. Der Araber hatte offenbar genug Geld, und beide waren froh.

Oft steigen nachts bei mir Partygänger ein und wollen das Radio ganz laut aufgedreht haben. Ihr könnt gerne aus meinem Großraumtaxi einen Partybus machen, aber ihr müsst euch dabei hinsetzen und anschnallen. Sonst kommt die Polizei.

Wie nehmen Sie die Menschen wahr, mit denen Sie sich aufgrund Ihrer persönlichen Lebenssituation oder Ihres Berufes tagtäglich auseinandersetzen? Was wollten Sie in der Hinsicht schon immer einmal loswerden? Senden Sie ein paar Sätze mit einer kurzen Beschreibung per E-Mail an: leben@sueddeutsche.de. Wir melden uns bei Ihnen.

In dieser Serie kommen Menschen zu Wort, mit denen wir täglich zu tun haben, über die sich die meisten von uns jedoch kaum Gedanken machen. Sie teilen uns mit, wie es ihnen im Alltag ergeht und welche Rolle wir dabei spielen - als nervige Kunden, ungeduldige Patienten, ignorante Mitmenschen.

  • "Brauchen wir länger, tut uns das genauso weh"

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  • "Die meisten wollen mich anfassen"

    Zum Jahreswechsel werden wieder kleine Schornsteinfeger-Figuren verteilt. Ein Kaminkehrer erzählt in einer Folge von "Wie ich euch sehe", wie es sich als rußüberzogener Glücksbringer lebt.

  • "Manchmal muss ich regelrecht die Tür verteidigen"

    Frauen, die sich um Ausscheidungen sorgen, Familien, die den Kreißsaal stürmen, Männer, die plötzlich umfallen: Eine Hebamme erzählt in einer Folge von "Wie ich euch sehe", was sie bei Geburten erlebt.

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