"Wie ich euch sehe": Schauspieler über Publikum:"Wir merken, wenn ihr aufs Handy schielt"

"Wie ich euch sehe": Schauspieler über Publikum: Der Schauspieler findet: Wäre schön, wenn Sie ihm zuschauen beim Spielen.

Der Schauspieler findet: Wäre schön, wenn Sie ihm zuschauen beim Spielen.

(Foto: Illustration: Jessy Asmus/SZ.de)

Glauben Sie wirklich, der Mann auf der Bühne bekommt das nicht mit? Ein Schauspieler erzählt, wie er mit unaufmerksamem Publikum umgeht.

Protokoll: Karin Janker

In unserer Serie "Wie ich euch sehe" kommen Menschen zu Wort, mit denen wir täglich zu tun haben, über die sich die meisten von uns jedoch kaum Gedanken machen: eine Polizistin, ein Zahnarzt, eine Kassiererin oder ein Hochbegabter. Sie teilen uns mit, wie es ihnen im Alltag ergeht, wenn sie es mit uns zu tun bekommen - als Kunden, Patienten, Mitmenschen. Diesmal erzählt der Münchner Schauspieler Michael H., wie er mit einem unaufmerksamen Publikum umgeht.

Ich merke, wenn ihr auf eure Handys schaut. Ihr fühlt euch vielleicht unbeobachtet, aber die Schauspieler auf der Bühne sehen eure erleuchteten Gesichter im dunklen Zuschauerraum. Am kuriosesten war das bei einer zentralen Szene in einem Stück, das ich zuletzt gespielt habe. Meine Figur geht an den Bühnenrand und spricht direkt ins Publikum, gleichzeitig wechselt die Lichtstimmung und der Zuschauerraum ist schlagartig fast komplett dunkel. Da seht ihr im Schein eurer Displays aus wie Bergfeuer nachts im Gebirge. Könnt ihr euch vorstellen, wie irritierend das ist, wenn ich auf der Bühne stehe und euch gerade eine Geschichte erzählen will?

Ich finde, man könnte es wenigstens für die zwei Stunden einer Vorstellung ohne Handy aushalten. Ist das nicht der Deal, wenn man ins Theater geht? Für mich auf der Bühne ist die Wechselwirkung mit dem Publikum total wichtig. Darum gehe ich überhaupt da raus, mich fasziniert, dass es live ist. Ihr sitzt eben nicht im Kino - vor euch stehen echte Menschen. Und die merken es, wenn ihr tuschelt, wegdämmert oder ständig am Handy herumspielt. Sogar, wenn jemand den ganzen Abend mit verschränkten Armen dasitzt - das ist eine unheimlich laute Geste. Auch wenn ich nicht weiß, ob der sich jetzt ärgert oder ob er einfach so am bequemsten sitzt, beschäftigt es mich.

Wenn ich Szenen habe, bei denen ich ins Publikum spreche, suche ich mir Komplizen. Zwei, drei nette Gesichter auf jeder Seite der Bühne, in die man immer wieder blickt. Aber wehe, der Augenkontakt wird zu intensiv! Einmal hätte ich beinahe meinen Text vergessen, weil ich eine Bekannte im Publikum entdeckt habe. Augenkontakt geht nur, wenn ich wirklich textsicher bin, das ist wie freihändig Radfahren.

Ähnlich gefährlich für Schauspieler sind Gags, die man mit der Zeit einfach nur noch macht, um sich einen Lacher abzuholen. Theater ist mehr als eine Kalauer-Veranstaltung. Aber natürlich dürft ihr als Zuschauer auch lachen. Am liebsten wäre es mir ohnehin, wenn ihr ganz entspannt ins Theater geht. So ähnlich, wie ihr auf ein Konzert gehen würdet. Da kann man auch hinterher darüber sprechen, ob es einem gefallen hat oder nicht. Ganz ohne den Druck, etwas verstehen zu müssen. Wenn ich mich nach dem Stück im Foyer aufhalte, höre ich manchmal Leute herumdrucksen, weil sie nicht wissen, wie sie über Theater sprechen sollen. Andere geben nur Floskeln von sich. Spart euch doch die ganze Theorie! Redet lieber darüber, was das Stück mit euch gemacht hat, wie ihr es erlebt habt, ob es euch gepackt hat.

Wenn alle im Raum die Luft anhalten

Für mich ist Theater ein ganz besonderer Ort: Es verbindet Phantasie und Denken, Magie und Träume. Ich selbst war früher sehr selten im Theater, als Schüler fast nie, als Student dann etwas häufiger. Jetzt betreibe ich phasenweise Theater-Binge-Watching, dann gehe ich 14 Tage hintereinander jeden Abend. Sitzfleisch muss man sich antrainieren. Das wäre mein Rat an alle, die sich selten ins Theater trauen.

Wenn ihr im Publikum sitzt und euch auf das Stück einlasst, spüre ich das auf der Bühne. Das spornt an. Die Schauspieler werden besser, wenn das Publikum aufmerksam ist. Manchmal gibt es dann Momente absoluter Stille. In den zwei Sekunden nach Ende des Stücks, bevor der Schlussapplaus einsetzt, zum Beispiel - ich liebe diesen Moment. In diesen Sekunden, wenn das Stück nachklingt, halten alle im Raum kurz die Luft an.

Der Applaus am Ende ist für Schauspieler wie ein Bonbon, das man sich nach der Vorstellung abholt. Ich gehe da als ich selbst hinaus, nicht mehr in meiner Rolle. In diesem Moment bin ich verletzlich. Man bekommt als Schauspieler ein gutes Barometer dafür, wie enthusiastisch ihr klatscht. Hat es euch gefallen? Wart ihr gelangweilt? Oder mit dem Stück überhaupt nicht einverstanden? Wenn das Publikum begeistert ist, ist das der schönste Augenblick des Abends.

Wenn ihr einen langen Tag hattet, müde seid und einschlaft während des Stücks, ist das schon okay. Manchmal gehen Zuschauer auch während der Vorstellung. Dann die Tür vor Wut zuzuschlagen, könnte man sich vielleicht sparen. Andererseits verstehe ich es aber auch, wenn Leute ihren Ärger kundtun wollen. Sobald der erste gegangen ist, ändert sich die Atmosphäre im Zuschauerraum: Jetzt ist allen klar, dass ihm weitere folgen könnten, wenn sie das wollen. Es gibt die Option zu gehen, das ist die Freiheit des Publikums. Wer dann noch bleibt, der bleibt freiwillig.

Was ich hingegen überhaupt nicht verstehe, sind Zuschauer, die während des Schlussapplauses gehen. Klar, mancher muss vielleicht seinen Zug erwischen. Am Anfang war ich jedes Mal irritiert: Sind das jetzt tatsächlich stehende Ovationen? Und dann die Enttäuschung: Ach, nee, die gehen einfach schon nach Hause.

In dieser Serie kommen Menschen zu Wort, mit denen wir täglich zu tun haben, über die sich die meisten von uns jedoch kaum Gedanken machen. Sie teilen uns mit, wie es ihnen im Alltag ergeht und welche Rolle wir dabei spielen - als nervige Kunden, ungeduldige Patienten, ignorante Mitmenschen.

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