"Wie ich euch sehe" - die Yogalehrerin:"Es ist okay, wenn ihr schnarcht"

"Wie ich euch sehe" - die Yogalehrerin: Auch Yogis sind Menschen - berichtet die Yogalehrerin.

Auch Yogis sind Menschen - berichtet die Yogalehrerin.

(Foto: Illustration: Jessy Asmus/SZ.de)

Von wegen immer entspannt: Manche Dinge bringen auch einen Yogi aus der Ruhe. Eine Yogalehrerin berichtet.

Protokoll: Carolin Gasteiger

In unserer Serie "Wie ich euch sehe" kommen Menschen zu Wort, mit denen wir täglich zu tun haben, über die sich die meisten von uns jedoch kaum Gedanken machen: eine Polizistin, ein Zahnarzt, ein Stotterer oder eine Kassiererin. Sie teilen uns mit, wie es ihnen im Alltag ergeht, wenn sie es mit uns zu tun bekommen - als Kunden, Patienten, Mitmenschen. Diesmal erzählt eine Yogalehrerin aus ihrem Alltag mit den Schülern.

Ihr denkt wahrscheinlich, ein Yogalehrer ist immer ausgeglichen und souverän. Aber das stimmt nicht - es gibt so einiges, was mich aus dem Gleichgewicht bringt, ich zeige es nur nicht.

Ehrlich gesagt nervt es mich total, wenn in einem kleinen Studio wie meinem schon eine halbe Stunde vor Beginn eine Traube Leute vor der Tür warten. Dann habe ich kaum Zeit, selbst anzukommen.

Die Leute erwarten viel, für manche ist die Stunde bei mir der Wellnessfaktor eines harten Arbeitstages. Aber sie vergessen, dass auch ich mich entsprechend darauf vorbereiten muss. Dass ich in Ruhe den Raum lüften, Kerzen anzünden, mich umziehen möchte, ohne dass die Ersten schon ihre Matte ausrollen. Als Yogalehrerin in Teilzeit verbringe ich ebenso wenig wie Ihr den ganzen Tag mit Mantra singen, Meditieren und Asanas zusammenstellen. Auch mein Job ist oft erst kurz vor der Yogastunde zu Ende. Also gebt mir bitte ein bisschen Zeit und steht mir nicht schon gleich auf den Füßen!

Wenn ich dann so weit bin, freue ich mich, wenn Schüler ihre Matten in der ersten Reihe auslegen. Viele zögern da am Anfang, weil sie glauben, alle anderen schauen auf sie. Aber es ist völlig egal, wo im Raum Ihr liegt; schließlich sollt Ihr für Euch üben und nicht auf die anderen achten. Also traut Euch ruhig und kommt nach vorn.

Es gibt auch Ausnahmen: Vor allem Männer lassen sich für ihre Handstände und Muskeln gerne feiern: Matte in die erste Reihe, T-Shirt aus und losposieren. Was denkt Ihr Euch dabei? Eure verschwitzten Oberkörper will ich jedenfalls nicht gern anfassen. Wie wäre es mit ein bisschen mehr Demut? Eine Yogastunde ist schließlich kein Showroom.

Trotzdem ist es mir lieber, wenn nicht nur Frauen in meine Stunden kommen. Denn kaum betritt ein Mann den Raum, herrscht gleich eine andere Atmosphäre: Die Ladies strengen sich mehr an, achten auf ihre Bewegungen und lächeln viel mehr.

Bitte duscht Euch!

Wo allerdings kein Lächeln der Welt mehr hilft, ist mangelnde Hygiene. Versteht mich nicht falsch: Schwitzen ist völlig in Ordnung. Aber bei Käsefüßen oder stinkenden T-Shirts muss ich mich schon sehr überwinden, Euch zu assistieren. Das ist einfach unappetitlich. Verständlich, wenn Ihr nach einem langen Tag direkt in die Stunde kommt und Euch nicht mehr umziehen könnt - aber nicht umsonst gibt es in jedem Studio Duschen. Nutzt die doch bitte auch!

Ebenso rieche ich übrigens, wenn Ihr Alkohol getrunken oder Knoblauch gegessen habt. Unabhängig davon, dass viele Yogis sowieso darauf verzichten - tut das doch bitte nicht kurz vor der Stunde.

Bitte nicht nach meinem Privatleben fragen

Ich weiß, viele von Euch finden Partnerübungen ganz schrecklich. Aber sie sind sinnvoll, weil Ihr so viel tiefer in Haltungen kommt und auch mal was ausprobieren könnt, was Ihr alleine nicht machen würdet. Viele würden sich auch gern das Shavasana sparen, aber die Entspannung am Ende der Stunde bildet den Abschluss und ist wichtig, damit Ihr runterkommt und sich das, was Ihr die Stunde über getan habt, setzen kann. Oft lösen sich auch erst hier ganz viel Stress und Probleme; bei einigen kullern dann sogar Tränen.

Manche trauen sich auch nicht zu entspannen, weil sie fürchten, einzuschlafen. Hin und wieder kommt es sogar vor, dass jemand schnarcht - davor müsst Ihr wirklich keine Angst haben. Wenn jemand einschläft, ist mir das lieber, als wenn er aufsteht und geht.

Nicht jeder will massiert werden, das ist auch in Ordnung. Manche wiederum sind froh, dass sie überhaupt mal jemand anfasst. Dann entspannen sich ihre Gesichtszüge, sie legen sich richtig in meine Hände und genießen die Berührung. Also keine falsche Scheu, das ist gut und zeigt, dass sich etwas löst.

Zum Yoga gehört auch eine eigene Philosophie, die viele für affig oder esoterisch halten. Aber lasst Euch doch erst mal darauf ein. Ihr müsst ja nicht ungefiltert annehmen, was ich in der Stunde erzähle. Ob es um Ernährung, den Umgang mit anderen oder unser Konsumverhalten geht - hört es Euch einfach an, versucht es wenigstens. Meist geht es ohnehin nur um ein paar Aspekte, mit denen ich mich auch identifizieren kann. Alles andere wäre gelogen.

Als Yogalehrer bin ich mitunter auch Seelentröster. Vor allem nach der Stunde haben viele das Bedürfnis, sich mit mir über ihre Job- oder Beziehungsprobleme auszutauschen. Kommt da gern auf mich zu. Aber bitte fragt mich umgekehrt nicht nach meinen Problemen. In meiner Lehrerrolle fällt es mir schwer, mit Schülern über Privates zu sprechen. Da ist mir ein bisschen Abstand lieber.

Wenn Ihr meint, ich schüttele eine Yogastunde aus dem Ärmel, habt Ihr Euch getäuscht. Ich muss mir wie jeder Lehrer vorher Gedanken machen, mir einen Fokus überlegen und das aufschreiben. Anfangs hat das mindestens zwei Stunden gedauert, inzwischen geht es schneller. Aber es sind nicht nur die Asanas, die ich mir überlegen muss, sondern auch die Musik und vielleicht einen philosophischen Aspekt. Darum ist es toll, wenn ich in einer Yogastunde, in die ich viel Liebe und Energie investiert habe, auch etwas zurückkriege. Wenn Ihr also konzentriert mitübt, nicht ständig den Raum verlasst oder bei jeder neuen Übung die Augenbrauen hochzieht.

Es ist nicht leicht, immer ausgewogen und entspannt aufzutreten. Auch wir Yogis sind Menschen, und damit fehlbar. Es ist ein Irrtum, zu glauben, wir verstehen uns alle prächtig. Wie überall gibt es auch unter Yogalehrern Sympathien und Abneigungen. Yoga zu unterrichten, kann schon dazu verleiten, sich in eine Blase zu hüllen und sich für etwas Besseres zu halten als man ist. Da bin ich oft froh, dass ich noch einen anderen Job habe und dadurch auf dem Boden bleibe.

In dieser Serie kommen Menschen zu Wort, mit denen wir täglich zu tun haben, über die sich die meisten von uns jedoch kaum Gedanken machen. Sie teilen uns mit, wie es ihnen im Alltag ergeht und welche Rolle wir dabei spielen - als nervige Kunden, ungeduldige Patienten, ignorante Mitmenschen.

  • "Brauchen wir länger, tut uns das genauso weh"

    Ständig unter Strom und trotzdem meist zu spät: Ein Pizzabote erzählt, was er riskiert, um seine Lieferung möglichst schnell zum Kunden zu bringen. Und warum er sich oft wie ein Detektiv vorkommt.

  • "Die meisten wollen mich anfassen"

    Zum Jahreswechsel werden wieder kleine Schornsteinfeger-Figuren verteilt. Ein Kaminkehrer erzählt in einer Folge von "Wie ich euch sehe", wie es sich als rußüberzogener Glücksbringer lebt.

  • "Manchmal muss ich regelrecht die Tür verteidigen"

    Frauen, die sich um Ausscheidungen sorgen, Familien, die den Kreißsaal stürmen, Männer, die plötzlich umfallen: Eine Hebamme erzählt in einer Folge von "Wie ich euch sehe", was sie bei Geburten erlebt.

Wie nehmen Sie die Menschen wahr, mit denen Sie sich aufgrund Ihrer Lebenssituation oder Ihres Berufes tagtäglich auseinandersetzen? Was wollten Sie schon immer einmal loswerden? Senden Sie ein paar Sätze mit einer kurzen Beschreibung Ihrer Situation per E-Mail an: leben@sueddeutsche.de. Wir melden uns bei Ihnen.

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