"Wie ich euch sehe":  Alltag einer Kopftuchträgerin:"Stellen Sie sich vor - ich trage das Kopftuch freiwillig!"

"Wie ich euch sehe":  Alltag einer Kopftuchträgerin: Findet Fragen zu ihrem Kopftuch in Ordnung: die Muslima Nazra K.

Findet Fragen zu ihrem Kopftuch in Ordnung: die Muslima Nazra K.

(Foto: Illustration: Jessy Asmus/SZ.de)

Nasra K. ist gebürtige Münchnerin. Weil man ihr das offenbar nicht ansieht, wird sie oft von Fremden gefragt, wo sie herkomme. Die 29-Jährige nutzt das, um Vorurteile abzubauen.

Protokoll von Hannah Beitzer

In der Serie "Wie ich euch sehe" kommen Protagonisten des Alltags zu Wort: Menschen, denen wir immer wieder begegnen, über die die meisten von uns aber kaum etwas wissen: eine Polizistin, eine Rollstuhlfahrerin, ein Zahnarzt. Sie teilen uns mit, wie es ihnen ergeht, wenn sie es mit uns zu tun bekommen - als Kunden, Patienten, Mitmenschen. Diesmal erzählt uns Nasra K. von ihrem Alltag. Die 29-Jährige trägt seit ihrem 14. Lebensjahr ein Kopftuch.

"'Woher kommst du?" Das fragen mich Leute oft, wenn sie mich kennenlernen. Ich bin in München geboren, mein Vater kommt aber aus Palästina. Ich bin also ein südländischer Hauttyp und noch dazu Kopftuchträgerin. Viele Menschen denken erst einmal nicht, dass eine Deutsche so aussehen kann. Ich finde die Frage aber nicht schlimm. Im Gegenteil: Daraus entstehen oft sehr spannende Gespräche. Überhaupt finde ich es gut, wenn Menschen aufeinander zugehen, sich füreinander interessieren.

Lieber sprechen als komisch gucken

Zum Beispiel, wenn ich hier in München im Bus mit meiner Tochter Arabisch spreche und sie antwortet auf Deutsch. Kürzlich hat sie einen gelben Bagger gesehen und gerufen: 'Bagger!' Und: 'Gelb!' Ich habe ihr die Wörter auf Arabisch erklärt, sie hat es nachgesprochen. Mir gegenüber saß ein älterer Herr, der mich sehr neugierig ansah. Irgendwann meinte er: 'Das ist doch schön, so lernen Sie mit Ihrer Tochter Deutsch.' Ich habe gelacht und gesagt: 'Nein, so lerne ich mit ihr Arabisch.' Daraus entspann sich eine Unterhaltung, und ich habe richtig gemerkt, wie er einige Vorurteile aufgab.

So ein Gespräch ist mir viel lieber, als wenn Leute einfach nur komisch gucken. Also fragen Sie ruhig nach, wenn Sie neugierig sind! Wenn Sie als Tourist in einem anderen Land unterwegs sind, dann wollen Sie doch auch alles über die fremde Kultur erfahren - warum sollte dasselbe nicht auch hier gelten?

Manche Menschen sprechen mich auch erst einmal auf Englisch an, weil sie nicht davon ausgehen, dass jemand, der so aussieht wie ich, Deutsch spricht. Das passiert besonders häufig, seit das Flüchtlingsthema in den Köpfen so präsent ist. Ich weiß ja, dass es nett gemeint ist. Aber ich finde es auch ein wenig schade. Denn wäre ich tatsächlich ein Flüchtling - dann wäre es doch eine wichtige Gelegenheit für mich, Deutsch zu sprechen. Daher rate ich Ihnen: Versuchen Sie es erst einmal auf Deutsch, seien Sie geduldig, wenn der andere mit den Worten ringt - aber lassen Sie es ihn versuchen.

Insgesamt habe ich das Gefühl, dass der Umgang mit anderen Kulturen in Deutschland in den vergangenen Jahren offener geworden ist. Einige negative Erfahrungen habe ich aber auch gemacht. Ich kann daher gut verstehen, wenn manche Frauen, die ein Kopftuch tragen, ihrer Umwelt nicht so offen begegnen wie ich. Zum Beispiel war es mir nicht möglich, nach meinem Abitur 2006 eine Ausbildung zur medizinisch-technischen Assistentin oder zur Optikerin zu machen - trotz meiner guten Noten. Einmal hieß es ganz unumwunden: 'Wir würden Sie ja nehmen, aber ohne Kopftuch.'

Warum das Kopftuch kein Zwang ist

Ich hatte das Gefühl, bestraft zu werden, weil ich mich nicht verstellen will. Das fand ich sehr traurig. Meine Bitte an alle Menschen in verantwortlichen Positionen: Lassen Sie uns unseren Traum leben! So viele Frauen mit Kopftuch bekommen nicht die Chance, sich zu entfalten. Denken Sie zum Beispiel an Lehrerinnen, die in Bayern kein Kopftuch tragen dürfen. Dabei sollte uns niemand unsere Chancen nehmen!

Ich habe danach erst einmal Medizin studiert, aber schließlich gemerkt, dass ich lieber therapeutisch und sozial arbeiten möchte. Heute bin ich in der Ausbildung zur Logopädin und habe einige gute Erfahrungen gemacht. Dazu muss man aber mitunter auch zu Kompromissen bereit sein. Zum Beispiel habe ich einem Chef während eines Medizin-Praktikums, der ebenfalls skeptisch wegen meines Kopftuchs war, vorgeschlagen: Wir probieren es einmal und sehen, wie die Patienten reagieren - und wenn es gar nicht geht, überlegen wir noch einmal. Er hat sich darauf eingelassen. Das fand ich gut. Und die Patienten waren reizend zu mir! Ein Mann, bei dem ich morgens Blut abnehmen musste, begrüßte mich immer mit 'Mein Sonnenschein'.

Und wissen Sie was? Als angehende Logopädin ist es sogar von Vorteil, dass ich zweisprachig bin. Zum Beispiel bei Patienten mit Migrationshintergrund, die nach einem Schlaganfall plötzlich kein Deutsch mehr sprechen. Oder im Umgang mit traumatisierten Flüchtlingskindern.

Trotzdem ist das Kopftuch natürlich häufig Thema. Gerade im Sommer sprechen mich viele Menschen an und fragen: 'Du Arme, ist dir nicht heiß?' Ich entgegne dann: 'Die Menschen in der Sahara verhüllen sich auch, Männer wie Frauen. Das schützt sogar vor der Sonne.' Manche sagen: 'Sie können das Kopftuch ja in Ihrer Heimat tragen - aber hier müssen Sie das doch nicht.'

Aber mit Zwang hat das Kopftuch gar nichts zu tun. Leider verwechseln da manche Menschen den Islam, den sie aus reißerischen Medienberichten kennen, mit der Religion als Ganzes. Der Islam als friedliche Religion kennt keinen Zwang! Stellen Sie sich vor - ich trage das Kopftuch freiwillig, genau wie viele andere Frauen. Mein Vater, der ein gläubiger Mensch ist, hat sogar einmal zu mir gesagt: 'Wenn dir das Kopftuch hier Probleme bereitet, dann leg es doch ab.' Das konnte ich mir aber nicht vorstellen, es ist für mich eine Verbindung zu Gott und ein Ausdruck meiner Identität.

Immer direkt fragen!

Dennoch ist es für mich okay, wenn Sie mich direkt fragen: 'Ist es bei euch wirklich so, wie ich es neulich im Fernsehen gesehen habe?' Solange Sie sich hinterher auch auf eine echte Diskussion einlassen. Schade ist es nur, wenn Menschen ihren Tunnelblick einfach nicht aufgeben wollen. Ich verabschiede mich dann höflich aus dem Gespräch.

Ich finde es falsch, Menschen auf ihr Äußeres zu reduzieren - und erwarte auch von Ihnen, dass Sie mich so akzeptieren, wie ich bin. Unser Prophet Mohammed hat gesagt: 'Allah schaut nicht auf euer Äußeres, er schaut auf eure Herzen.' Das ist die Botschaft, nach der ich zu leben versuche."

Wie nehmen Sie die Menschen wahr, mit denen Sie sich aufgrund Ihrer Lebenssituation oder Ihres Berufes tagtäglich auseinandersetzen? Was wollten Sie schon immer einmal loswerden? Senden Sie ein paar Sätze mit einer kurzen Beschreibung Ihrer Situation per E-Mail an: leben@sueddeutsche.de. Wir melden uns bei Ihnen.

In dieser Serie kommen Menschen zu Wort, mit denen wir täglich zu tun haben, über die sich die meisten von uns jedoch kaum Gedanken machen. Sie teilen uns mit, wie es ihnen im Alltag ergeht und welche Rolle wir dabei spielen - als nervige Kunden, ungeduldige Patienten, ignorante Mitmenschen.

  • "Brauchen wir länger, tut uns das genauso weh"

    Ständig unter Strom und trotzdem meist zu spät: Ein Pizzabote erzählt, was er riskiert, um seine Lieferung möglichst schnell zum Kunden zu bringen. Und warum er sich oft wie ein Detektiv vorkommt.

  • "Die meisten wollen mich anfassen"

    Zum Jahreswechsel werden wieder kleine Schornsteinfeger-Figuren verteilt. Ein Kaminkehrer erzählt in einer Folge von "Wie ich euch sehe", wie es sich als rußüberzogener Glücksbringer lebt.

  • "Manchmal muss ich regelrecht die Tür verteidigen"

    Frauen, die sich um Ausscheidungen sorgen, Familien, die den Kreißsaal stürmen, Männer, die plötzlich umfallen: Eine Hebamme erzählt in einer Folge von "Wie ich euch sehe", was sie bei Geburten erlebt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: