Süddeutsche Zeitung

Small Talk übers Wetter:Heißes Thema

Wetter war immer Small-Talk-Thema Nummer 1. Doch in Zeiten der Klimakrise wird aus dem bisher so sicheren Boden meteorologischer Plauderei mehr und mehr schwieriges Gelände. Das hat aber auch seine Vorteile.

Von Alexander Menden

Gespräche über das Wetter seien "die letzte Zuflucht der Fantasielosen", urteilte Oscar Wilde. Harsch, aber auf den ersten Blick zutreffend. Wem gar nichts mehr einfällt, sei es beim Bäcker oder bei der Soiree, der kann ja wirklich notfalls immer zu Phrasen greifen wie: "Mein Gott, ist das heiß heute!" oder "Hoffentlich hört es irgendwann noch mal auf zu regnen!" Aber das Reden übers Wetter hat eine wichtige gesellschaftliche Funktion. Die britische Sozialanthropologin Kate Fox hat bei ihren Forschungen Hunderte Wettergespräche belauscht und vergleicht sie mit dem Lausen bei Primaten. Sie seien eine Art Code, den wir entwickelt haben, um soziale Hemmungen zu überwinden und miteinander in Kontakt zu treten.

Wetter war für Small Talk so gut geeignet, weil es als ebenso universelles wie unverfängliches Thema galt. Es umgibt uns ununterbrochen. Vieles hängt vom Wetter ab - welche Kleider man trägt, worauf man Appetit hat, wie man sich fühlt. Jeder hat eine Meinung dazu, und sei sie noch so banal. Und selbst, wenn man nicht übereinstimmt, ist die Meinungsverschiedenheit so belanglos, dass daraus nie ein wirklicher Konflikt entsteht.

Doch aus dem bisher so sicheren Boden meteorologischer Plauderei wird mehr und mehr schwieriges Gelände. Während Wetter bisher als höhere Gewalt durchging, die zwar uns beeinflusste, auf die wir umgekehrt aber keinerlei Einfluss hatten, betrachten viele Menschen es mittlerweile vor allem als Symptom und Konsequenz menschlichen Verhaltens und menschlicher Gedankenlosigkeit. Kurz: Bemerkungen übers Wetter werden zunehmend gleichgesetzt mit Stellungnahmen zum Klima, beziehungsweise zur menschengemachten Klimakrise. Was gerade deshalb unverfänglich schien, weil es der Sphäre purer Meinungsäußerung zugerechnet werden durfte, wird nun Teil eines fundamentalen Richtungsstreits zwischen Meinung und wissenschaftlicher Erkenntnis. Kaum sagt man: "Schön draußen", schon ist man in eine Diskussion über das Für und Wider der "Fridays for Future" verstrickt.

Soll man mitlachen oder zurechtweisen?

Oft ist der Konflikt nur implizit. Beschwert sich jemand über den Regen, und ein anderer erwidert: "Sei doch froh, ist dir mal aufgefallen, dass es in den Sommermonaten immer weniger regnet?", dann deutet so ein kleiner Austausch die Möglichkeit tief greifender weltanschaulicher Differenzen an. Manchmal wird es offen konfrontativ. Wenn Schneemassen ganze Wintersportregionen von der Außenwelt abschneiden, begegnet man garantiert einem Menschen, der sagt: "Kann ja nicht weit her sein mit der Erderwärmung, wenn es so schneit." Soll man mitlachen? Oder darauf hinweisen, dass die direkte Gleichsetzung von Klima und einzelnen Wetterphänomenen viele Variablen außer Acht lässt?

Auch wenn der Wetter-Small-Talk sicher weiterlebt - sein politisches Element wird das Thema nicht mehr los. Aber das muss nichts Schlechtes sein. Im Gegenteil, statt es als Zuflucht der Fantasielosen zu schmähen, sollte man es als Chance begreifen. In einer Zeit, in der es einer Hälfte der Bevölkerung immer schwerer fällt, sich in die Gedankenwelt der anderen Hälfte hineinzuversetzen, ist das Wetter womöglich der beste Ansatzpunkt. Denn egal, was und wen wir dafür verantwortlich machen, bei 40 Grad schwitzen wir weiterhin gemeinsam, bei Frost frieren wir weiterhin gemeinsam, und wenn es regnet, werden wir alle nass. In dieser Hinsicht bleibt das Wetter also, was es immer war: ein Gleichmacher.

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SZ vom 02.09.2019/wib
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