Werbung:Umstrittener Edeka-Spot: Extrem unrealistisch, dennoch ein Lehrstück

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Edeka sorgt mit einem umstrittenen Werbespot für Gesprächsstoff. Inzwischen wurde das Video bei Youtube mehr als neun Millionen Mal abgerufen. (Foto: dpa)

Ist es niederträchtig, so emotional für Lebensmittel zu werben, wie es Edeka tut? Man kann den Weihnachts-Clip richtig blöde finden. Oder man versucht, etwas daraus zu lernen, findet unsere Autorin.

Von Barbara Vorsamer

Ein alter Mann wartet jedes Jahr an Weihnachten vergeblich auf seine erwachsenen Kinder. Statt Besuch zu bekommen, muss er sich mit Nachrichten auf dem Anrufbeantworter und Weihnachtskarten zufrieden geben. Bis er seinen Kindern eine Todesanzeige schickt: Zur vermeintlichen Beerdigung reisen natürlich alle sofort an - und feiern dann ein fröhliches, harmonisches Weihnachtsfest mit dem sehr lebendigen Großvater.

Dieser emotionale Werbespot einer Supermarktkette treibt gerade erwachsenen Kindern im ganzen Land die Tränen in die Augen, sie fühlen sich ertappt: Sind ihnen nicht auch ihre Jobs, ihre Freunde, ihre Hobbys oft viel wichtiger als die alten Verwandten? Sollten sie nicht gerade an Weihnachten mal wieder Zeit mit Oma und Opa verbringen?

Manche finden es nun niederträchtig, so emotional für eine Supermarktkette zu werben. Andere finden die erwachsenen Kinder niederträchtig, denen eine Werbeagentur sagen muss, dass Weihnachten ein Familienfest ist. Die meisten Internetnutzer schauen den Spot ein zweites oder drittes Mal an und bekommen ein noch schlechteres Gewissen.

Sagen wir, wie es ist: Der Film berührt - aber der Film ist extrem unrealistisch. In einer Familie, in der sich alle so blendend verstehen und so köstlich miteinander amüsieren wie in der letzten Szene dargestellt, gäbe es wohl kaum einen Grund, sich vor Weihnachten zu drücken. Hätte eine Enkelin, die dem Opa derart freudig in die Arme hüpft, nicht auch schon die Jahre vorher auf einen Besuch bestanden?

Nicht jeder Opa tischt ein Mehr-Gänge-Menu

Doch in der Realität begrüßen nicht alle alleinstehenden Opas ihre Familie mit einem hübsch dekorierten Wohnzimmer, einem selbstgekochten Mehr-Gänge-Menü und einem selbstironischen Spruch. Manche Opas sind dement, manche Omas machen Vorwürfe. In manchen Wohnungen riecht es schlecht, das Essen ist immer das gleiche. Ein gutes Gespräch ist schwer zu führen, denn Oma hört nicht mehr so richtig und redet lieber selbst. Opa hat vielleicht zu viel am Stammtisch gesessen und hört nicht auf, über Flüchtlinge zu schimpfen.

Da können Familienfeste zur Tortur werden und so mancher fragt sich, ob es sich dafür lohnt, am 23. Dezember im Stau zu stehen oder in überfüllten Zügen zu fahren. Vielleicht lieber zu Hause bleiben, vielleicht lieber Weihnachten in der Kneipe feiern - oder gar nicht feiern?

Wer längere Zeit nachdenkt, kann den Clip also durchaus richtig blöde finden. Da schleicht sich ein Lebensmittelhersteller mit einem unrealistischen Filmchen in unsere Köpfe. Und dann hat das Ganze nicht mal was mit Lebensmitteln zu tun.

Die Aufregung haben die Macher miteinberechnet

Der Clip erfüllt sämtliche Voraussetzungen viralen Marketings: Er spricht Gefühle an, die Leute reden im Büro darüber, leiten es an Freunde weiter, teilen es in sozialen Netzwerken. Und trotzdem kommt das alles kaum kommerziell rüber.

Man kann sich fürchterlich darüber aufregen. Aber auch das haben die Verantwortlichen miteinberechnet (vermutlich freuen sich die Chefs von Jung von Matt auch über diesen Text). Auch Kritik ist schließlich Aufmerksamkeit. Alles ist Aufmerksamkeit. Herrgott.

Oder man versucht, etwas daraus zu ziehen: Die Erkenntnis, ein Lehrstück für virales Marketing vor sich zu haben. Und den Impuls. Nein, nicht den Impuls, den nächsten Supermarkt leerzukaufen - sondern den Impuls, sich mal wieder bei den Großeltern zu melden. So hat der Werbespot zumindest noch jemand anderem etwas gebracht, als einer Werbeagentur und einer Supermarktkette.

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