Weltrekord:"Man muss verdammt hart sein"

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Christian Stangl, Speedbergsteiger, steigt so schnell wie niemand sonst auf Berge. Seine revolutionäre Art des Höhenbergsteigens hat ihm nicht nur Freunde eingebracht. Ein Gespräch über Motivation und Gefahr.

Birgit Lutz-Temsch

Der Österreicher Christian Stangl, 41, ist Speedbergsteiger - den Gipfel des Mount Everest hat er in 16 Stunden und 42 Minuten erreicht. Derzeit arbeitet Stangl am letzten Teil seines Weltrekords, dem Seven Summit Speed Project: Wenn er den Mount Vinson, den höchsten Berg der Antarktis, in weniger als 24 Stunden erreicht, ist er der Mann, der als Schnellster auf den höchsten Gipfeln aller jeweils sieben Kontinente stand. Der Rekordversuch Stangls ist von Bedeutung im Bergsport - weil er sehr umstritten ist. Seine revolutionäre Weise des Höhenbergsteigens hat ihm nicht nur Freunde eingebracht. Vor dem Start führten wir ein ausführliches Gespräch mit ihm.

sueddeutsche.de: Wie muss man sich Skyrunning vorstellen?

Christian Stangl: Das Besteigen sehr hoher Gipfel, also zwischen 4000 und 8848 Meter, in möglichst kurzer Zeit. Skyrunning ist ein Mittelding zwischen klassischem Höhenbergsteigen und Bergläufen: Beim Höhenbergsteigen ist der Erfolg, dass man den Gipfel erreicht, beim Berglauf, das man schneller ist als die anderen.

sueddeutsche.de: Wie haben Sie sich zum Skyrunner entwickelt?

Stangl: Ich habe mit ungefähr 30 Jahren festgestellt, dass mein Körper sehr gut akklimatisiert, also mit den geringen Sauerstoffmengen in großer Höhe gut umgehen und leistungsfähig bleiben kann. Warum, wissen Höhenmediziner auch nicht.

sueddeutsche.de: Welchen Sinn hat das Schnellbergsteigen für Sie?

Stangl: Ach, da gibt es sicher genügend Leute, die das überhaupt nicht verstehen. Die Sinnfrage ist eine sehr schwierige. Ich kann natürlich zurückfragen, welchen Sinn macht denn Ihr Leben?

sueddeutsche.de: Aber einen Antrieb müssen Sie ja haben.

Stangl: Ja - ich will zeigen, dass es andere Besteigungsstile auch noch geben kann, außer denen, die seit 50 bis 60 Jahren im klassischen Höhenbergsteigen existieren. Traditionell sind im Fall eines Achttausenders drei bis vier Lagerplätze notwendig - also drei bis vier Tage. Jetzt gibt es plötzlich ein paar Leute, unter anderem mich als extremen Vertreter, die sagen, man braucht das alles nicht, die gehen vom Basislager zum Gipfel, ganz normal.

sueddeutsche.de: Das hat Ihnen aber nicht viele Freunde eingebracht in der Höhenbergsteigerszene. Sie machen die Leistungen der anderen kaputt, heißt es da.

Stangl: Das ist so, ja. Mittlerweile habe ich in den traditionellen Bergsteigerkreisen sehr wenige Freunde. Die verstehen das nicht. Ich verstehe deren Situation aber sehr wohl. Da wird ein Mythos zerstört - gerade vergangenes Jahr am Everest. Aber mir geht es nicht um den Mythos. Ich finde, es muss auch mal eine Weiterentwicklung geben. Messner und Habeler haben mit ihrer ersten sauerstofflosen Begehung des Everest aufgezeigt, dass es sportlichere Methoden gibt. Aber das ist knapp 30 Jahre her. Es tut gut, dass die Traditionalisten ein bisschen angestoßen werden, indem man sagt, Jungs, ein bisschen mehr Sportlichkeit und es geht wieder einen Schritt nach vorn. Unser Sport ist begrenzt: Wir haben nur eine gewisse Anzahl von Achttausendern und die sind schon von vielen bestigen. Also welche Steigerung kann es noch geben? Skyrunning ist eine Chance für den Bergsport, sich weiterzuentwickeln.

sueddeutsche.de: Haben sich auch für Sie wichtige Menschen von Ihnen abgewendet?

Stangl: Ja. Aber der Freundeskreis hat sich sowieso verschoben. Ich bin die Hälfte der Zeit irgendwo auf der ganzen Welt unterwegs, wenn ich da aus dem Flieger steige, sage ich, endlich zuhause, wenn ich meine Freunde sehe, die so wie ich denken. Das passt schon so.

sueddeutsche.de: Wie nehmen Sie die Bergwelt wahr?

Stangl: In den 16 Stunden am Everest habe ich natürlich nicht so viel Zeit, nach links und rechts zu schauen. Aber ich habe von vornherein einen viel genaueren Blick auf die Umwelt. Weil ich die Berge meines Erachtens intensiver beobachte, auch das Wettergeschehen. Ich verlasse mich nicht mehr auf Voraussagen. Für einen Skyrun braucht man sowieso nur einen Tag - da kann ich auf Sicht entscheiden. Ich habe mich in den vergangenen Jahren viel mit globalen Wetterentwicklungen beschäftigt, bin weniger im Internet. Im Alpinismus schaut mittlerweile jeder immer im Internet nach der Wetter- oder Schneelage. Ich mache einen Schritt zurück. Zum natürlichen Bergsteigen, bei dem die Entscheidung allein beim Akteur liegt.

sueddeutsche.de:Was nehmen Sie bei Ihren Besteigungen mit?

Stangl: Das kommt auf den Berg an. Bei der Carstensz-Pyramide in Indonesien ging es um schnelles Klettern, da nehme ich gar nichts mit. Da gehe ich ohne Seil und Getränk in Kletterschuhen. Beim Everest hatte ich 3,2 Liter zum Trinken, vier kleine Kohlehydratgels, und ein paar Salzkeskse dabei. Sonst gibt's da nichts.

sueddeutsche.de: Also sehr ökologisch - weil Sie keinen Müll zurück lassen.

Stangl: Ich habe mir selbst strenge Regeln auferlegt. Ich gehe vom Basislager zum Gipfel und zurück ohne Fremdunterstützung. Stünde da jemand, der mir was zu trinken gibt, würde ich den Berg zu einer Laufstrecke degradieren. Alles was ich brauche, trage ich am Körper - also wenig, weil ich Gewicht sparen muss.

sueddeutsche.de: Und zusätzliche Kleidung? Was hatten Sie denn am Everest für Schuhe an?

Stangl: Das waren Bergschuhe, an denen ich zum Beispiel die Sohle abgeschnitten habe, wegen des Gewichts. Wenn ich sowieso die ganze Zeit Steigeisen anhabe, brauche ich keine Profilgummisohle.

sueddeutsche.de: Wie sieht Ihr Training aus?

Stangl: Ich orientiere mich an den Skilangläufern oder Radfahrern. Der Knackpunkt ist, dass man an einem bestimmten Tag topfit sein muss. Davor mache ich zuerst Grundlagenausdauer - ich fahre am Stück 3000 Kilometer Rad, jeden Tag 150 Kilometer, ganz gemütlich, Puls nie über 130. Dann kommt die Technik, je nach Berg muss man ja unterschiedliche Techniken abrufen- am Kilimandscharo viel bergauf laufen, bei der Carstensz-Wand viel klettern, am Everest mit Steigeisen gehen. Und schließlich die Distanz - das sind bei den hohen Bergen bis zu 20 Stunden. Ich versuche, mit einem konstanten Puls zu trainieren, 20 Stunden bei 164 Puls. Sonst schaffe ich die Zeit nicht.

sueddeutsche.de: Dabei ziehen Sie dann auch mal Autoreifen hinter sich den Berg hinauf...

Stangl: Ja, aber tatsächlich ist es ein Traktorreifen, der wiegt 30 Kilo. Das machen die Sprinter auch so ähnlich - man übt einen anderen Impuls auf die Muskulatur aus, damit man ein neues Leistungsniveau erreicht.

sueddeutsche.de: Wie motivieren Sie sich bei so enormen Distanzen?

Stangl: Da wende ich einen Trick an: Ich spreche russisch mit mir.

sueddeutsche.de: Russisch?

Stangl: Ja, diese Sprache ist für mich unheimlich energiereich. Ich wende bestimmte Suggestionsformen an, die man aus der Sportpsychologie kennt und die einem helfen, sich in harten Situationen zu motivieren. Es gibt Situationen, da steckt man im Schnee fest und ist schon zehn Stunden unterwegs - da muss man einfach verdammt stark sein und hart vorgehen. Haben Sie den Film "Roter Oktober" mit Sean Connery gesehen?

sueddeutsche.de: Ja.

Stangl: Da steht am Anfang Sean Connery auf dem russischen U-Boot und will flüchten. Er murmelt irgend etwas auf russisch - das war die Geburtsstunde meiner eigenen Suggestionsformel. Wenn ich durch den Schnee gehe und erhöhten Widerstand spüre, stelle ich mir vor, ich sei der Kapitän eines russischen Atomeisbrechers, der mit ungeheurer Energie vorwärts fährt, und die Eisschollen spritzen weg wie nichts.

sueddeutsche.de: Waren Sie schon mal mit so einem Eisbrecher unterwegs?

Stangl: Nein. Aber ich stehe da oben an Deck, im Geist, ganz ruhig. Und so wühlt sich mein Körper durch die Schneemassen. Jeder Sportler sollte für sich so ein Bild finden, das ihn stärkt.

sueddeutsche.de: Und wenn Sie Angst bekommen, reden Sie englisch.

Stangl: Ja, das hat 2005 am Dhaulagiri angefangen, da hatte ich sehr viel Angst, weil das ein hoch lawinengefährdeter Berg ist. Das kann man dann auch nicht stoppen. Da sind Vorgänge im Kopf, die haben eine gewisse Eigendynamik. Darüber rede ich auch bei meinen Vorträgen. Über die Möglichkeit des Scheiterns und wie man sich dennoch die Motivation erhält. Denn anfangs hat ja nicht alles so geklappt, wie ich wollte. Da fragt man sich dann auch selbst, ob man auf dem richtigen Weg ist. Auch nach außen hat man es als Protagonist ja nicht immer leicht. Aber diesen Neid, den muss man sich erkämpfen.

sueddeutsche.de: Was ist jetzt beim Mount Vinson, dem höchsten Berg der Antarktis, die größte Herausforderung?

Stangl: Das Wetter, wieder mal. Man hat jetzt 24 Stunden Sonne und konstant etwa 20 Grad minus, das ist super. Dumm ist, wenn sich Wolken vor die Sonne schieben oder Wind aufkommt. Dann sinken die Temperaturen schnell auf 40 Grad minus. Außerdem muss man vom Basislager sieben bis zehn Kilometer bis zum Wandfuß im Flachen gehen, da ist die Spaltengefahr sehr groß. Danach muss ich eine 1500 Meter hohe Eisflanke durchklettern und schließlich mit GPS den Gipfel anpeilen. Da könnte die Orientierung ein Problem werden. Hin und zurück hat ein Slowene das vor acht Jahren in 26 Stunden geschafft - also muss ich schneller sein. Ich will weniger als 24 Stunden benötigen, damit auch das eine Tagestour ist. Normalerweise braucht man hinauf drei Tage und runter ein bis zwei.

Sobald Christian Stangl zum letzten Teil seines Seven Summit Speed Projects aufbricht, wird er per Satellitentelefon einen aktuellen Lagebericht bei sueddeutsche.de durchgeben.

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