Süddeutsche Zeitung

Weltrekord geglückt:58 Stunden, 45 Minuten

Christian Stangl hat es geschafft: So schnell wie er hat noch kein anderer die höchsten Bergen der sieben Kontinente bestiegen. Er meldete sich direkt vom Gipfel des Mount Vinson.

Birgit Lutz-Temsch

Quelle: European Outdoor Film Tour 2007

Speedbergsteiger Christian Stangl ist sein Seven Summit Speed Project und damit der Weltrekord geglückt: Er stand als Schnellster auf den höchsten Gipfeln aller sieben Kontinente. Als letzter Berg fehlte bis zum Freitag der Mount Vinson, mit 4897 Metern der höchste Berg der Antarktis.

sueddeutsche.de steht via Satellit in Verbindung mit Stangl. Das Spannende an dem letzten zu meisternden Berg: Es gibt wenig Kartenmaterial über das Gebiet des Mount Vinson, und kaum Infrastruktur.

Stangls Speed Project wird in der Höhenbergsteigerszene äußerst kritisch verfolgt - ähnlich wie Reinhold Messner vor etwa 30 Jahren: Als der ohne Sauerstoff auf die Achttausender wollte, wurde er für verrückt erklärt.

Stangl will mit seiner so schnellen wie einfachen, körperlich aber wesentlich anstrengenderen Art des Höhenbergsteigens eine Weiterentwicklung des Bergsports erreichen - weg von der Materialschlacht am Berg mit mehreren Lagern und Unterstützung von außen. Die Traditionalisten sehen darin eine gezielte Schmälerung der bisherigen Leistungen der Höhenbergsteiger und betrachten ihn als Nestbeschmutzer. .

Das Protokoll des Weltrekordversuchs

Dienstag, 4. Dezember Stangl sitzt seit zwei Tagen in Punta Arenas, am Südzipfel Chiles fest. Das Flugzeug kann nicht in Richtung Antarktis starten, weil das Wetter zu schlecht ist. Keine optimale Trainingsvorbereitung, diese Durchhängerphase. Doch zwei Tage sind gar nichts: Am Cho Oyu im Himalaya wartete Stangl zehn Tage lang auf die richtige Gelegenheit.

Mittwoch, 5. Dezember 16 Uhr - Stangl kommt im Basislager des Mount Vinson an. Der Gipfel hängt in Wolken. (siehe Soundfile)

19:45 Uhr - Stangl meldet sich erneut: Er ist nervös, weil der Himmel nicht aufzureißen scheint. Die Temperatur wäre gut: nur 16 Grad minus. Er hofft, in wenigen Stunden, nach erneutem Essen, loslaufen zu können. Trotz der Anspannung ist er fasziniert von der Landschaft, in der er sich befindet - allein wegen allem, was er vor seinen Augen habe, sei er unglaublich aufgeregt.

Er kündigt an, vor seinem Start noch einmal zu telefonieren. Das wäre dann der letzte Kontakt für eine ungewisse Zeit. Denn auf seinem "Skyrun", wie Stangl sein Bergsteigen nennt, nimmt er kein Telefon mit. Zu schwer, zu unbequem. Dabei hat er nur das Nötigste: Ein GPS-Gerät, damit er den Gipfel findet. Eine Kleinigkeit zu essen. Und eine Digitalkamera. Damit er beweisen kann, dass er auf dem Gipfel war. Bricht er sich unterwegs ein Bein, kann er niemanden um Hilfe rufen.

Donnerstag, 6. Dezember Vormittags - Funkstille. Das Telefon schweigt. Stangl meldet sich entgegen der Vereinbarung nicht mehr. Seine Freundin tippt: Er ist losgelaufen. Dann werden wir in einigen Stunden wieder etwas hören, wenn er vom Gipfel zurück ist. Wenn er nicht losgelaufen ist, ist vermutlich das Wetter so schlecht, dass das Solarpanel seines Satellitentelefons nicht funktioniert und er nicht anrufen kann. Oder seine Laune so schlecht, dass er nicht anrufen will. Am sicheren Ende der Leitung kann man nur vermuten. Aber wir bleiben dran.

13:51 Uhr - Bei der österreichischen Kommunikationsagentur Stangls trifft ein Foto ein. Es trägt den Titel: Kurz vor dem Start. Daraus schließt sein Partner Ernst Wilde: Der 41-Jährige ist tatsächlich losgelaufen. Und hat sich vermutlich deshalb vorher nicht mehr gemeldet, weil er sich vor dem Start stets in intensiven Konzentrationsphasen befindet, um die bevorstehende Leistung aus seinem Körper - und Geist - abrufen zu können. Unklar ist, wann Stangl aufgebrochen ist. Ebenso unklar ist deshalb, wann es wieder etwas zu hören geben wird. Aber es wird. Auf jeden Fall.

Freitag, 7. Dezember Vormittags - Die ganze Nacht haben die Telefone geschwiegen, das der Freundin, das seines Partners und das der Redaktion. Sein Partner Ernst Wilde lässt sich davon nicht beunruhigen. Was auch daran liegen mag, dass der Mount Vinson der siebte der Seven Summits ist, die Stangl in rasendem Tempo besteigt. Wilde ist also einiges gewöhnt, was Kommunikationslöcher angeht. Der letzte Kontakt war am Donnerstag gegen 14 Uhr. "Wenn er direkt danach losgegangen ist und den Auf- und Abstieg in etwas weniger als 24 Stunden schafft, dann müssten wir heute Nachmittag was hören", sagt Wilde. Wenn. Weil wir den Startzeitpunkt nicht wissen, sind unsere Vermutungen so nebulös wie der Dunst um den Gipfel des Mount Vinson. Aber: Wir bleiben dran.

12:20 Uhr - ein Anruf: "Hier ist Christian Stangl aus dem Basislager des Mount Vinson in der Antarktis". Den gestrigen Startversuch hat er wegen zu unübersichtlicher Wetterbedingungen abgebrochen. Deshalb verschob er seinen Skyrun schließlich doch noch einmal. Eine Viertelstunde vor dem erneut geplanten Start meldete er sich via Satellit bei sueddeutsche.de: Der Himmel sei nun einigermaßen blau, es sehe aus, als sei es bald ganz klar - deshalb: "Ich breche in der nächsten Viertelstunde zu meinem Skyrun auf. Es wird passieren um 8.30 Uhr chilenischer Zeit."

Jetzt also erst - das wartende Umfeld Stangls hat die Kommunikationspause und vor allem das Foto mit dem Untertitel "Vor dem Start" gestern falsch interpretiert. Stangl hat nun eine sieben bis zehn Kilometer lange Strecke - so ungenau sind die Kenntnisse über das Gebiet - in der Ebene zu durchqueren, bevor er am Wandfuß des Mount Vinson ankommt. In diesem flachen Stück ist die Spaltengefahr groß, wie er sueddeutsche.de zuvor schilderte. Er muss deshalb unterwegs sehr vorsichtig sein. Danach ist eine 1500 Meter hohe Eisflanke zu durchklettern. Und schließlich muss Stangl per GPS den Gipfel suchen. Wie er zuvor ebenfalls ankündigte, plant er, nach dem Erreichen des Gipfels eine Abfahrt auf Skiern - wenn sich das Gelände nicht als zu steil herausstellt. Eine Prognose, wann das nächste Mal von ihm zu hören sein wird, ist deshalb völlig unmöglich. Irgendwann, zwischen heute Nacht und Sonntagmorgen. Wenn alles klappt.

21:40 Uhr - Das Gipfelglück teilt Stangl nur mit seiner Freundin. Nach neun Stunden und zehn Minuten steht er auf dem höchsten Punkt des Mount Vinson. Die Sonne scheint, ringsum sind keine Wolken am Himmel, es ist windstill bei 15 Grad minus, und Stangl sieht nur Weiß. Er hat nun doch ein Telefon mitgenommen - und ruft seine Freundin an. Völlig in seinem Flow habe er sich befunden, ist von ihr zu erfahren. Relativ leicht sei es gewesen, nur einmal, als er im Bergschatten kletterte, seien ihm Eiszapfen aus der Nase gewachsen.

Absolut high und überglücklich habe er am Telefon geklungen - und dazu hat er allen Grund: Stangl ist jetzt der Mensch, der als Schnellster auf den höchsten Gipfeln der sieben Kontinente stand, auf dem Elbrus (5h18min), dem Mount Everest (16h42min), der CarstenszPyramide (49min), dem Kilimandscharo (5h36min), dem Aconcagua (4h25min) und dem Denali (16h45min). Macht mit den neun Stunden und zehn Minuten des Mount Vinson 58 Stunden und 45 Minuten - das Seven Summit Speed Project Stangls ist geglückt.

Wenn Christian Stangl wieder im Basislager ist, wird er sich bei sueddeutsche.de melden. Am Montag wird unter www.sueddeutsche.de/stangl eine Audio-Slideshow über die letzte Station des Speed Projects zu sehen sein.

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