Süddeutsche Zeitung

Weltnormentag:Normen für alles

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Vom Teddy bis zum Tod: Alles hat seine Norm. Zum Weltnormentag ein Besuch im DIN-Institut in Berlin, wo alles ganz genau geregelt wird, was zu regeln ist.

Titus Arnu

Der Alltag in Deutschland wirkt manchmal furchtbar unübersichtlich, dabei ist er bis ins kleinste Detail schriftlich geregelt. Vom Aufstehen (DIN 8325-2 "Quarz-Großuhren; Wecker; Anforderungen, Prüfung'') bis zum Schlafengehen (DIN EN 1161 "Federn und Daunen - Prüfverfahren - Bestimmung des Feuchtegehaltes'') begleiten uns Normen, auch wenn man sie selten bemerkt.

Zähneputzen von Hand: geregelt durch DIN EN ISO 20126, eine Norm, die eine "Büschelauszugskraftprüfung'' bei der Bürstenherstellung verlangt. Zähneputzen elektrisch: geregelt durch DIN EN 60335-2-52, "Sicherheit elektrischer Geräte für den Hausgebrauch und ähnliche Zwecke - Teil 2-52: Besondere Anforderungen für Mundpflegegeräte''. Auf die Toilette gehen: geregelt durch DIN EN 38 ("Klosettbecken, wandhängend, mit freiem Zulauf'').

Nur in den USA existieren mehr Normen als in Deutschland. Die Deutschen sind ein Volk der Gleichmacher, und die oberste nationale Gleichmachungsstelle ist das Deutsche Institut für Normung in Berlin, kurz DIN. Dort arbeiten 397 Menschen, die erstaunlicherweise recht unterschiedlich aussehen. Alles, was noch nicht geregelt ist und irgendwie zu regeln ist, wird von ihnen geregelt, von der Babywindel bis zum Laserschweißgerät. 30 046 DIN-Normen gelten derzeit. Das DIN ist Weltmeister im Normen, im vergangenen Jahr hat es 2500 neue Standards produziert.

Standard 08/15

Das graue Gebäude des DIN-Institus steht in einer grauen Ecke Westberlins, in der Burggrafenstraße Nummer 6. Eine gekachelte Treppe führt in das Foyer. Auf einer elektronischen Anzeigentafel sind die Highlights des Tages angekündigt: In Raum 904 findet die Veranstaltung "NA 119-04-07 AK DIN 1988-30'' statt, die "Ad-hoc-Gruppe NA 005-56-20-6A'' trifft sich im Saal 1002. Das hört sich langweilig an, ist aber gesellschaftlich sehr relevant. Denn Normen sind wichtig, weil die Gesellschaft ohne sie am Rande des Zusammenbruchs stünde. Ohne Normen könnten japanische Autos nicht auf deutschen Straßen fahren, ein chinesischer Frachter könnte keine amerikanischen Container laden, die Glühbirne würde nicht in die Fassung und die Batterie nicht in die Taschenlampe passen.

Einen Lebensbereich nach dem anderen hat das DIN in den 90 Jahren seit seiner Gründung erobert, zuerst das Militär. Der erste Standard für ein Maschinengewehr hieß "08/15''. Später normte das DIN-Institut Industriestandards und wurde nach dem Zweiten Weltkrieg ein wichtiger Faktor für das Wirtschaftswunder. Heutzutage sind Normen für die Industrie von zentraler Bedeutung, wenn es um Innovationen geht, etwa in der Nanotechnologie oder der Medizintechnik. "Wer die Normen macht, hat die Macht'', sagt Torsten Bahke, Direktor des DIN-Instituts, "sie sind die Voraussetzung, um Produkte weltweit vermarkten und erfolgreich an der Globalisierung teilnehmen zu können.''

Tag der offenen Tür

Weil das aber kaum einer weiß, hat das DIN-Institut in der Bevölkerung einen ähnlich zweifelhaften Ruf wie die EU-Bürokratie - sie gilt als undurchsichtige Behörde, die auf kafkaeske Weise Verordnungen beschließt und Steuergelder verschwendet. Dabei ist all das falsch: Das DIN-Institut ist keine Behörde, sondern ein gemeinnütziger Verein. Es werden keine Verordnungen diktiert, DIN-Normen sind Empfehlungen, nach denen sich die Industrie freiwillig richtet. Normen werden nur auf Antrag erarbeitet, die Antragsteller, meistens Firmen, bezahlen dafür - was gleichzeitig eine Versicherung gegen unsinnige Regelungen darstellt. "Eine Norm muss immer einen Mehrwert bringen, sonst ist sie nicht durchsetzbar'', sagt Holger Mühlbauer, Geschäftsführer des ,,Normenausschusses Gebrauchstauglichkeit und Dienstleistungen''. Den deutschen Unternehmen entstehen durch das Normen enorme Kosten, im vergangenen Jahr waren es 650 Millionen Euro. Schafft es die Wirtschaft, sich auf einheitliche Standards zu einigen, vereinfacht das die Produktion - und das bedeutet Wachstum. Dafür erbringen Normen nach einer Studie des Fraunhofer Instituts für Innovationsforschung jedoch einen Nutzen, der für Deutschland auf rund 16 Milliarden Euro pro Jahr beziffert wird.

Um all dies bekannter zu machen und etwas gegen die Vorurteile zu unternehmen, öffnet das DIN-Institut am Weltnormentag (14. Oktober) seine Norm-Türen für Besucher. In diesem Jahr wird auch die Dauerausstellung "Normenwerk'' eröffnet, die Gästen die Entstehung und Anwendung von DIN-Normen erklären soll. Normalerweise funktioniert das Normen so: So genannte interessierte Kreise (Hersteller, Verbraucher, Handel, Hochschulen, Versicherer, Behörden, Warentester) entsenden Experten in die 3300 Ausschüsse des DIN. Die Mitarbeiter des DIN moderieren die Normung. Es wird so lange diskutiert, bis sich alle auf eine Norm geeinigt haben. Das kann Jahre dauern. Entspricht eine Norm nicht mehr dem Stand der Technik, wird sie überarbeitet oder zurückgezogen. Das kann schnell gehen, denn Branchen wie die Computerindustrie sind manchmal schneller als die Normungsgremien.

Die Tage der nationalen Kürzel sind allerdings gezählt, das Ziel der Standardisierer ist ein weltweit einheitliches Normensystem. In Europa wird vereinheitlicht, was nur geht, und China bemüht sich, alle internationalen Normen zu übernehmen. Nur die USA schotten sich noch immer stark durch nationale Normen ab. Während das Tempo der Innovationen und damit der Druck auf die DIN-Ausschüsse wächst, erschließt das Institut bereits neue Geschäftsfelder. Es werden zunehmend Normen für Dienstleistungen erstellt, etwa für Umzüge, Kosmetikinstitute, Schulreinigung oder Tauchschulen. Eine von der Internationalen Organisation für Normung (ISO) geplante Norm soll sogar "gesellschaftliche Verantwortung'' definieren.

Letzte Dinge regelt DIN 15017

Dennoch gibt es immer erstaunlich viele nicht kompatible Dinge im Alltag. Weltweit existieren unterschiedliche Briefformate, europaweit verschiedene Steckdosen. Handy-Ladegeräte oder Staubsaugerbeutel differieren sogar bei ein und demselben Hersteller. Oft ist das von den Herstellern so gewollt, denn bei einheitlichen Staubsaugerbeuteln ließen sich die Preise von den Firmen nicht mehr diktieren. Manchmal wäre die Vereinheitlichung schlicht zu gewaltig, um sie zu verwirklichen - ein europaweit kompatibles Elektro-Steckersystem würde bis zu 200 Milliarden Euro kosten, schätzen Experten. "Die Aufgaben werden uns so bald nicht ausgehen", glaubt DIN-Direktor Bahke deshalb. Denn an Normen kommt schließlich keiner vorbei, vom Lebensanfang (DIN EN 1400-1 "Schnuller für Säuglinge und Kleinkinder'') bis zu den letzten Dingen, die es zu regeln gibt (DIN EN 15017 "Bestattungs-Dienstleistungen'').

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Quelle:
SZ vom 13.10.2007
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