Wellnesswahn:Der Sauberberg

Lesezeit: 5 min

Darmreinigung in der Luxusklinik: Moderne Fastenkuren sind Wellnessprogramme, bei denen Körper und Seele entschlackt werden sollen.

Titus Arnu

Zur Begrüßung gibt es gleich das Abschiedsessen. Das Menü ist vergleichsweise üppig: Fenchelsuppe, gedünsteter Fisch mit Gemüse, dazu Kräutertee. Auf den Tellern der Tischnachbarn sieht es karger aus. Manche kauen langsam ihr Dinkel-Knäckebrot mit Karottenpaste, andere löffeln wie in Zeitlupe ein Gemüsesüppchen, manche nippen vorsichtig an ihrem Melissentee.

Entschlacken wie im Raumschiff Enterprise: Der Lanserhof. (Foto: Foto: Lanserhof)

Mit dem ersten Menü feiern die Gäste im Lanserhof ihren temporären Abschied vom gewohnten Essen. Die meisten Besucher des Gesundheitshotels fasten dort eine Woche bis zehn Tage lang, manche auch zwei bis drei Wochen. Je nach Diätstufe gibt es kalorienreduzierte Kost, sehr kalorienreduzierte Kost oder sehr, sehr, sehr kalorienreduzierte Kost.

Wer eine Kur in dem Entschlackungszentrum bei Innsbruck macht, verzichtet auf Koffein, auf weißes Mehl, auf Kuhmilch, auf Gluten, auf einen Großteil der Kohlenhydrate, auf Zucker, auf Fleisch, auf Alkohol und Nikotin sowieso. Das klingt nach wenig Spaß für viel Geld, doch das Hotel ist im Frühjahr komplett ausgebucht.

Semmelmümmeln und Saftkur

Fastenkuren sind mittlerweile zu einer Art pseudoreligiöser Einkehr für die Reichen und Gestressten geworden. "Entschlackung ist in fast allen Weltreligionen implementiert und sicher für kurze Zeit sinnvoll", sagt Andreas Wieser, Geschäftsführer des Lanserhofs. Wer etwas auf sich hält, fährt mindestens einmal im Jahr zur Buchinger-Saftkur, zum Semmel-Mümmeln nach F. X. Mayr, zur Ayurvedakur oder zur ganzheitlichen Entschlackung.

Zu den Stammgästen des Lanserhofs zählen Unternehmer, Fernsehstars, Gastronomen, Topmanager. Mit einer Mischung aus Schulmedizin, Naturheilkunde und Bewegungstherapie bekämpfen sie ihre Wehwehchen, aktivieren die Verdauung und widmen sich der Selbstfindung.

Großtrommelträger auf Entzug

Das medizinische Konzept basiert dabei auf der Lehre von der "naturgemäßen Darmreinigung" des österreichischen Arztes Franz Xaver Mayr (1875 - 1965). Mayr war der Meinung, dass sich die Entschlackung regenerierend auf Blut, Zellen und Gewebe auswirke.

Mayr unterteilte die Menschheit je nach Körperhaltung und Bauchform in zehn Typen, vom Normalbauch über den eiförmigen Gasbauch bis hin zum Großtrommelträger. Wer Großtrommelträger ist, sollte vielleicht besser vier bis sechs Wochen heilfasten. Den Begriff "Heilfasten" prägte 1935 der Arzt Otto Buchinger, der in seinem Kurhotel am Bodensee Saftkuren anbot.

Das religiöse Fasten in der Zeit von Aschermittwoch bis Ostern hat seine Bedeutung längst verloren, und paradoxerweise ist eine Hungerkur mittlerweile zu einem Luxus geworden. Früher konnten sich Wohlhabende von ihrer Fastenpflicht bei der Kirche freikaufen - heute bezahlen sie viel Geld, um nicht zu arbeiten und fast nichts zu essen -, eine Woche mit Basis-Gesundheitspaket im Lanserhof kostet um die 2000 Euro, dazu kommen noch Extras wie Beauty-Behandlungen, Personal Training oder Massagen.

Konkurrenz dem Königspinguin

Könnte man nicht auch bequem und billig zu Hause fasten? Nach Ansicht von Fasten-Gurus wie Otto Buchinger und F.X. Mayr verfügen viele Lebewesen von Natur aus über die Fähigkeit zu fasten. Manche Tiere können lange Zeit ohne Futter auskommen, indem sie von ihren Körperreserven zehren. Einen Fasten-Weltrekord hält der Königspinguin. Er ist in der Lage, bis zu sechs Monate ohne Futter zu verbringen, und das in der Kälte der Antarktis. Was soll also so schwer daran sein, ein paar Tage in einer gut beheizten Fastenklinik weniger zu futtern, als man das im Alltag gewohnt ist?

Entschlackungs-Novizen fällt es trotzdem erst einmal schwer, zur Ruhe zu kommen und den stillen Frieden zu spüren, der sich durch das ärztlich überwachte Hungern angeblich einstellen soll. Das liegt auch an all den hässlichen Wörtern, die einem in der schönen Umgebung zu Ohren kommen.

Das Hotel liegt auf einem Plateau hoch über dem Inntal, der Blick fällt auf die steilen Zacken der verschneiten Gebirgskette nördlich von Innsbruck, in der Umgebung gibt es phantastische Skigebiete und gute Restaurants... aber was sind die Gesprächsthemen? Gallensäure. Stuhlgang. Darmreinigung. Verdauungsleistungsüberprüfung. Alles hier dreht sich um Entschlackung.

Klarheit und Reinheit soll der Gast schon durch die Architektur erfahren. Das Innere des Hauses wurde von allem rustikalen Gemütlichkeitsballast befreit. Der medizinische Bereich sieht exakt so aus, wie sich Fernsehmacher der siebziger Jahre eine Raumstation vorgestellt haben - weiße und hellblaue Kunststoffflächen, in Arbeitsnischen eingebaute Computer, geräuscharme Schiebetüren, es fehlt nur die Beamstation.

Man rechnet fest damit, dass Mr. Spock und Dr. Leonard "Pille" McCoy um die Ecke biegen. Um die Ecke biegt aber Dr. Roland Fuschelberger, um zur eingehenden Untersuchung zu bitten.

Achtsamkeit durch Atmen

Der Gast wird gewogen, gemessen und zu Ernährungsgewohnheiten und Gesundheitsproblemen befragt. Später folgen Körperfettmessung, Fitnesstest und Pulsmessung. Entscheidend bei der Frage, ob jemand drastisch abnehmen muss oder nicht, ist aus Sicht der Diätexperten nicht der Body-Mass-Index, also das Verhältnis von Körpermasse zu Körpergröße, sondern der Bauchumfang.

Bei Männern sollte er einen Meter möglichst nicht überschreiten. Fuschelberger tastet die Patienten ab, fühlt mit den Fingerspitzen, ob verschiedene Abschnitte des Darms zu hart sind. Nach der Untersuchung erstellt er einen Diät- und Gesundheitsplan. Auf dem Programm stehen Nahrungsmittel-Verträglichkeitstests, Entschlackungsbäder, Enzianpackungen, eine Art Schröpfung mit Saugglocken und Sport.

Das Bewegungsangebot reicht vom "Aktiven Erwachen im Wald" um sieben Uhr über den Kurs "Achtsamkeit durch Atmen" bis zum "Gruppenfloaten" in Salzwasser - wirkt angeblich alles entschlackend.

Aber was ist eigentlich die Schlacke im Körper? Ein Mensch ist doch kein Hochofen! Doch, sagt Diätarzt Fuschelberger, der Vergleich sei gar nicht so schlecht: "Mit dem Darm ist es wie mit einem alten Kachelofen, wenn der verrußt ist, brennt das Holz nicht mehr so gut." Also beginnt der Tag vor dem Frühstück mit abführendem Bittersalz, das den Darm reinigen und entgiften soll.

Danach darf der Gast Buchweizentoast, Knäckebrot oder gar eine Reiswaffel mit Avocadomus frühstücken und sich mittags an einer gekochten Kartoffel erfreuen. Er ist dazu aufgerufen, jeden Bissen 30-mal zu kauen und auf ein Sättigungsgefühl zu warten. Am Anfang dauert es lange, bis es sich einstellt. Magenknurren ist ein typischer Hintergrundsound des Fastens.

Die Luxusherberge versteht sich nicht als Wellness-Hotel mit Abspeckprogramm, es will seine Gäste mit ernsthafter "Regenerations- und Präventionsmedizin" animieren, sich im Alltag gesünder zu ernähren. "Es geht nicht um Kasteiung, sondern darum, wieder die Lust am gesunden Essen zu finden", sagt Andreas Wieser.

Vorbild soll die im Lanserhof entwickelte "Energy-Cuisine" sein, die auf vollwertige, schonend zubereitete Biokost setzt. Küchenchef Manfred Hormann bietet Kurse an, in denen man lernt, gesunde Kost zu kochen. Wichtig sei es, das Essen nicht allzu ernst zu nehmen, meint Wieser: "Ernährung darf eben keine Ersatzreligion sein."

Metallfrei und nicht mobil

Nach einer Woche Fasten fühlt man sich tatsächlich wie generalüberholt und frisch geduscht. Kein Kaffee, kein Zucker, kaum Fleisch, kein Alkohol, dazu viel Bewegung, Schlaf und frische Luft - man muss kein Ernährungswissenschaftler sein, um zu diagnostizieren, dass sich das positiv auf Körper und Seele auswirkt.

Natürlich spielt es auch eine Rolle, ob man arbeitet und mittags kurz etwas Heißes, Fettiges isst, um schnell satt zu werden - oder ob man sich bei gesunder Kost in einem Berghotel ausruht, ohne Telefon, ohne Internet und ohne Zeitdruck.

Zum medizinischen Programm im Lanserhof gehört auch der Verzicht auf Mobiltelefone sowie eine "metallfreie Schlaftherapie". Für manche Gäste stellt das ein Problem dar. Gelegentlich lässt sich der russische Milliardär Roman Abramowitsch im Lanserhof auf Herz und Nieren untersuchen, ganz metallfrei und funklos geht es bei seinen Besuchen allerdings nicht zu: Die Leibwächter haben Funkgeräte und sind schwer bewaffnet.

© SZ vom 06.02.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: