Süddeutsche Zeitung

Wein: Beaujolais primeur:Der Kater nach dem Erfolgsrausch

Jeden November wurde der Beaujolais primeur ungeduldig erwartet, doch nun ist sein Ruf beschädigt.

Johannes Willms

Wie jedes Jahr wird seit gestern, dem dritten Donnerstag im November, der aktuelle Beaujolais nouveau ausgeschenkt. Das ist ein junger Rauscher, für den laut eines Gesetzes aus dem Jahr 1951 nur in der südostfranzösischen Region des Beaujolais, einer Landschaft, die sich von Mâcon im Norden entlang der Saône bis zu deren Einmündung in die Rhône bei Lyon erstreckt, angebaute Rotweine verwendet werden dürfen. Der Beaujolais wird aus der Gamay-Traube gekeltert, einer sehr ertragreichen Rebsorte, die Weine sehr durchschnittlicher Qualität liefert.

Das wusste bereits der um den guten Ruf des französischen Rotweins besorgte König Charles IX., der von 1560 bis 1574 auf dem Thron saß und den Anbau des "infamen" Gamay in den Gebieten untersagte, die für ihre exzellenten Weine bekannt waren. Das erklärt, warum der ursprünglich im Burgundischen heimische Gamay in das sich daran südlich anschließende Beaujolais verbannt wurde.

In den rund vierhundert Jahren, die seither vergangen sind, hat sich zwar an der Qualität der Gamay-Traube wenig geändert, dafür aber viel am Geschmack der Weintrinker, der, wie jeder Geschmack, Moden unterliegt, die sich beeinflussen lassen. Das ist der Grund für den Siegeszug des Beaujolais nouveau. Auf dieses Label verfiel ein findiger Kopf, der 1967 in ganz Frankreich eine Reklamekampagne startete - für den vermeintlichen Genuss eines Traubensafts, der umgehend "auf der Frucht" getrunken werden muss. Der Marketing-Einfall zündete zunächst in Frankreich, aber seit den 90er Jahren schwappt das fruchtige Gesöff in immer höheren Wogen auch über die Landesgrenzen, überschwemmt vor allem das nordöstliche Europa und wird bis nach China, Japan und Südkorea exportiert.

Nur noch die Hälfte auf Lager

Auf den großen Rausch dieser Sause scheint jetzt endlich der Kater zu folgen. Zumindest in Paris, wo in früheren Jahren jedes Bistro schon Tage zuvor mit großer Reklame auf das bevorstehende Eintreffen des "Primeur" hinwies, muss man jetzt schon genau hingucken, um die bekannte Botschaft "Le Beaujolais nouveau est arrivé - der junge Beaujolais ist eingetroffen" zu entdecken. Diesen Eindruck bestätigt eine Blitzumfrage unter den Weinhändlern des Viertels, die sagen, dass sie heuer im Vergleich zum Vorjahr lediglich die Hälfte bis maximal Dreiviertel der Menge auf Lager hätten. Das habe zum einen damit zu tun, dass der Konsum spürbar rückläufig sei, was sicherlich mit dem Verhältnis von Preis und Qualität zusammenhänge: Für einen halbwegs guten, sprich für den Zecher einigermaßen folgenlos konsumierbaren "Primeur" ist man gut beraten, nicht weniger als sechs Euro zu bezahlen - ein stolzer Preis.

Ein anderer Grund ist, dass auch die "Primeur"-Weine gute wie schlechte Jahre kennen. 2003 und 2005 waren gute Jahre mit sehr heißen Sommern, weshalb mit der Lese bereits im August begonnen wurde, sodass die jungen Weine bis November schön "rund" waren. 2007 war der Sommer jedoch miserabel, sodass die Lese erst Anfang Oktober stattfand. Mit anderen Worten: Was dem jungen Wein an Sonne und Rundung fehlt, müssen Kunst und Tricks des Kellermeisters wettmachen.

Und die bleiben nicht ohne Folgen, wie jeder ahnt, der hinter dem produkttypischen Bananengeschmack einen irritierenden Schwefelhauch verkostet. Wem dies keine Warnung ist, der muss seinen Fürwitz mit Kopfschmerzen, Durchfall und anderen unerfreulichen Nebenwirkungen büßen.

Die Produzenten des Beaujolais nouveau, die im vergangenen Jahr allein in Deutschland 2,4 Millionen Liter absetzten (in Japan waren es sogar 8,6 Millionen Liter), haben aus dem bereits 2006 leicht rückläufigen Absatz Konsequenzen gezogen: Um vor allem eine weibliche Klientel anzusprechen, werden in diesem Jahr erstmals auch Rosé-Weine als "Primeur" verhökert.

Ob der bisherige Erfolg des Beaujolais nouveau tatsächlich langfristig bedroht ist, bleibt abzuwarten. Die Weinwelt, so scheint es, ist gerade ungnädig gestimmt. Ätzende Kritik muss sich auch der amerikanische Wein-Guru Robert Parker gefallen lassen. Zwei gerade erschienene Bücher gehen hart ins Gericht mit ihm. Parkers alljährlich in neu bearbeiteter Auflage erscheinende Führer für französische Weine galten bislang als Bibel, sein Urteil entschied mit über den geschäftlichen Erfolg eines "Château", eines Winzers. In ihrem Buch "Robert Parker. Anatomie d'un mythe" hat Hanna Agostini, eine langjährige Mitarbeiterin Parkers, den Weinexperten der Schlamperei und Willkür bezichtigt und will außerdem einen ausgeprägten Hang zur Günstlingswirtschaft entdeckt haben. Auch der Autor und Filmregisseur Jonathan Nossitter wirft Parker ein "unsinniges Geschmacksdiktat" vor.

Trotz Primeur und Parker: Wahre Qualität wird dennoch erkannt, hat aber ihren Preis. Die Nachfrage nach Spitzenweinen aus dem Bordelais hat den Preis für eine Flasche Wein des Jahrgangs 2006 der fünf erstrangigen "Premiers Crus" aus dem Médoc auf rund 400 Euro steigen lassen. Diese Weine sollte man aber nicht als "Primeur" trinken, sondern für die nächsten sechs bis acht Jahre vor dem eigenen Zugriff sicher im Keller verstecken.

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SZ vom 16.11.2007/mmk
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