Weihnachtstradition weltweit:Durch Baum und Zeit

Er nadelt, wo er steht: In Rio, Rom und Tasmanien hat der Weihnachtsbaum inzwischen Wurzeln geschlagen.

Jochen Müssig

In Rom liegt einem die antike Welt zu Füßen - und im Dezember eine gewisse Kühle auf der Haut. Die sanfte Wintersonne tut ihr Bestes, wärmt aber nur wenig. Eine elegante Römerin genießt auf dem Petersplatz die Sonnenstrahlen und dass sie endlich wieder ihren Pelzmantel ausführen kann.

Weihnachtstradition weltweit: Geschmackssache: bunte, künstliche Miniaturtannen

Geschmackssache: bunte, künstliche Miniaturtannen

(Foto: Foto: dpa)

Auf dem Platz steht auch der formvollendete Weihnachtsbaum, den der Papst jedes Jahr als Geschenk erhält. Dieses Jahr ist der Baum 35 Meter hoch und stammt aus der Provinz Trient. Beinahe hätte es bei seinem Lufttransport einen Helikopter-Unfall gegeben: Die an Stahlseilen hängende 8,7-Tonnen-Fichte streifte während des Flugs mehrere Baumspitzen, so dass ein Absturz drohte. Glücklicherweise ging alles gut, und der frisch geschlagene, 110 Jahre alte Baum erreichte die Ewige Stadt mit einem Spezialtransporter.

In Rom schlägt das Herz der katholischen Kirche seit der edle Kaiser Konstantin mit dem Edikt von Mailand erstmals die Ausübung der christlichen Religion gestattete. In Rom findet man jedes Jahr einen der prachtvollsten Weihnachtsbäume weltweit, aber man sucht vergeblich nach den Ursprüngen des Weihnachtsbaumbrauchs. Der heutige Christbaum entwickelte sich aus einem Konglomerat von Bräuchen verschiedener Kulturen. In immergrünen Pflanzen stecke Lebenskraft, glaubten viele und holten sich deshalb Wedel ins Haus. So machten es etwa die Römer mit Lorbeerkränzen. Aber auch in nördlichen Gegenden wurden im Winter Tannenzweige ins Heim gehängt, um bösen Geistern das Eindringen und Einnisten zu erschweren.

Freiburg hatte den ersten

Der erste Weihnachtsbaum wurde vermutlich in Freiburg geschmückt. Die Freiburger Bäckerschaft hatte in der Adventszeit einen Baum mit Naschwerk, Früchten und Nüssen behängt, den die Kinder an Neujahr plündern durften. Davon wurde 1419 berichtet. Und schon 1550 wird in Freiburg das unrechtmäßige Hauen von Tannen unter Strafe gestellt . Keine hundert Kilometer weiter nördlich, in Straßburg, waren es abermals die Zünfte, die zu Weihnachten einen Baum aufstellten und schmückten: in der berühmten Kathedrale, genau hundert Jahre, nachdem der 142 Meter hohe Turm von Notre-Dame - bis ins 19. Jahrhundert der höchste der Welt - 1439 vollendet wurde.

Dabei sollte man wissen, dass Kirchen im Mittelalter bewohnt, dass dort Geschäfte gemacht wurden. In Straßburg durften durch das Querhaus des Münsters sogar die Schweine zum Marktplatz getrieben werden, weil sich die Hirten auf ein verbrieftes Wegerecht berufen konnten. Erste Aufzeichnungen über das Aufstellen eines Christbaums als Brauch stammen aus dem Jahre 1605: "Auff Weihnachten richtet man Dannenbäume zu Straßburg in den Stuben auf. Daran henket man Roßen auß vielfarbigem Papier geschnitten, Aepfel, Oblaten, Zischgold und Zucker", heißt es in einem Dokument aus dem Elsass. Die Kirche geißelt den Brauch mit dem Baum zu dieser Zeit noch als heidnisch.

Statussymbol der Reichen

1611 schmückte die Herzogin Dorothea Sibylle von Schlesien den Weihnachtsbaum mit Kerzen, und Goethe führte ihn mit "Wachslichtern, Zuckerwerk und Äpfel" in "Die Leiden des jungen Werthers" 1774 in die deutsche Literatur ein. Aber es dauerte bis Mitte des 19. Jahrhunderts, dass der Weihnachtsbaum schließlich auch von der katholischen Kirche akzeptiert wurde: Weihnachtsbaum und -krippe vereinigten sich zum christlichen Symbol.

Der erste "Christmas Tree" vor dem Weißen Haus in Washington wurde 1891 aufgestellt! weiter ...

Durch Baum und Zeit

1820 kommt die Weihnachtsbaumsitte in die Prager Adelspaläste. 1891 wird erstmals ein Christmas Tree vor dem Weißen Haus in Washington aufgestellt. Und 1905 bringt in Kanada der erste Santa Claus, der in einem Kaufhaus auftritt, auch gleich einen Christbaum mit. Da Tannenbäume in Mitteleuropa bis Ende des 19. Jahrhunderts noch selten waren, stellte ein Weihnachtsbaum bis dato ein Statussymbol begüterter Schichten dar. Und der eine oder andere schmückte seinen Baum auch schon mit Christbaumkugeln, die seit 1830 geblasen wurden. Alle anderen behalfen sich mit Zweigen.

Weihnachtstradition weltweit: Nadelt nicht: stählerner Tannenbaum in London

Nadelt nicht: stählerner Tannenbaum in London

(Foto: Foto: dpa)

Kanzlerbaum kommt im Bierlaster

Heute werden allein in Deutschland jährlich allein rund 16 Millionen Nordmanntannen als Weihnachtsbaum verwendet - plus neun Millionen andere Nadelbäume. Sie kommen vorwiegend aus dem Sauerland, aus Schleswig-Holstein und Dänemark, dem europäischen Marktführer. Der Kanzlerbaum stammt dagegen aus dem Schwarzwald. Martin Bentele von der Forstkammer Baden-Württemberg hat die Acht-Meter-Tanne fürs Bundeskanzleramt heuer geschlagen - besser gesagt: abgesägt. In einem geschlossenen Bierlaster wurde die Weißtanne für Angela Merkel schließlich nach Berlin gebracht.

Eine Reise auf den Spuren des Weihnachtsbaums muss natürlich auch nach Nürnberg führen. Als Mutterstadt der Weihnachtsmärkte ist Nürnberg weltbekannt. Alle lieben auf dem Christkindlesmarkt die Lebkuchen, Zwetschgenmännle und die besten aller Rostbratwürste, die über Buchenholz gegrillt werden. Stets am Freitag vor dem ersten Advent läutet das von Nürnberger Bürgern gewählte Christkind von der Empore der Frauenkirche über dem Hauptmarkt mit feierlichem Prolog die Markttage ein. Bis zum Heiligen Abend werden jedes Jahr mehr als zwei Millionen Besucher aus aller Welt erwartet. Die Existenz des Christkindlesmarktes lässt sich bis ins Jahr 1628 zurück verfolgen. Und für den Christbaum wird Nürnberg 1878 wichtig: Erstmals wurde dort ein Weihnachtsbaum mit Lametta geschmückt, das wie glitzernde Eiszapfen wirkt.

Der größte steht in den USA

Wer den größten Weihnachtsbaum sucht, muss nach Übersee fahren. Im amerikanischen Sequoia National Park wurde der mit 82 Metern dritthöchste derzeit noch stehende Riesenmammutbaum der Welt 1926 vom damaligen Präsidenten Calvin Coolidge zum Nation's Christmas Tree bestimmt. Und in Tasmanien wurde am 20. Dezember 1999 ein 80 Meter hoher Eukalyptusbaum mit 3000 Lichtern geschmückt und als größter Weihnachtsbaum aller Zeiten bezeichnet. Die Aktion diente als Werbung für den Schutz bedrohter Urwälder.

Unter den künstlichen Weihnachtsbäumen ragen in der brasilianischen Stadt Itu der 84 Meter hohe Weihnachtsbaum aus Stahl und in Europa die gut 70 Meter hohen Gerüstkonstruktionen von Lissabon und Warschau heraus. In Dortmund wird jedes Jahr ein 45 Meter hoher Christbaum aufgebaut, der aus einzelnen echten Tannenbäumen besteht. Und in Gubbio in der italienischen Region Umbrien wird seit den 1980er Jahren am Hang des Monte Ingono jährlich ein 800 Meter hoher und 400 Meter breiter Weihnachtsbaum aus Hunderten von Lichtern gebildet, der 50 Kilometer weit sichtbar ist und einen Eintrag ins "Guinness-Buch der Rekorde" als größter Weihnachtsbaum der Welt bekam.

So unterschiedlich sich Entwicklung und Größen des Weihnachtsbaums zeigen, so unterschiedlich sind auch die Bräuche um den Christbaum. .. Lesen Sie weiter auf der nächsten Seite.

Durch Baum und Zeit

Weihnachtstradition weltweit: Weihnachten ohne Schnee in Kabul

Weihnachten ohne Schnee in Kabul

(Foto: Foto: dpa)

In Deutschland wird er am 24. Dezember morgens geschmückt. Am Abend gibt es für alle Geschenke. Die Kinder in Griechenland ziehen am 24. mit Trommeln und Glocken durch die Straßen und heimsen so ihre Geschenke ein. Die gibt's in den Niederlanden nur am 6. Dezember zum Sinterklaas und in Russland wegen des julianischen Kalenders erst am 31. Dezember.

In Italien stehen nicht die Christbäume, sondern prächtig geschmückte Krippen im Mittelpunkt der Weihnacht. Alle wetteifern um die schönste Presepio. Heilig Abend findet eine Art Familien-Lotterie statt. Jeder zieht aus einem Säckchen die Nummer seines Geschenks. In Finnland steht am 24. dagegen das gemeinschaftliche Saunabad an.

Ganz Frankreich schlemmt dann Buche de Noël, eine Schokoladen-Biskuitrolle, und in England wird Plumpudding aufgetischt. Auf der Insel machte den Christbaum übrigens ein Foto in der Illustrated London News berühmt. Es zeigt den Deutschen Prinz Albert von Sachsen-Coburg und Gotha, Britanniens Queen Victoria und die königliche Familie im Jahr 1848 vor einem Weihnachtsbaum. Und jeder in Großbritannien wollte seitdem auch einen Christbaum, "that pretty German toy", wie Charles Dickens später schrieb.

In Südamerika fällt Weihnachten in den Hochsommer. Die Krippen stehen unter Palmen und neben Sambarhythmen erklingt auch "Stille Nacht", ob im Amazonas-Dschungel oder im Anden-Hochland. "Stille Nacht" wurde am Weihnachtsabend 1818 in Oberndorf bei Salzburg uraufgeführt. Und während in Österreich die Eiskristalle glitzern, perlt in Brasilien der Schweiß von der Haut. Eine Carioca bestaunt den großen Pappmaché-Christbaum in ihrer Heimatstadt Rio de Janeiro - und träumt vielleicht von Schnee, einem echten Nadelbaum und von Rom.

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