Süddeutsche Zeitung

Weibliche Anrede:Es geht um Gerechtigkeit, nicht um Befindlichkeiten

Eine Frau zieht vor Gericht, weil sie von ihrer Sparkasse als Kundin angesprochen werden möchte, nicht als Kunde. Das Urteil könnte den Weg zu einem zeitgemäßen Umgang miteinander ebnen.

Kommentar von Karin Janker

Müssen Kundinnen sich gemeint fühlen, wenn ein Schreiben ihrer Bank an "Lieber Kunde" adressiert ist? Über diese Frage entscheidet an diesem Dienstag der Bundesgerichtshof. Es ist eine Frage der Gerechtigkeit. Gerecht ist Sprache dann, wenn sie beide Geschlechter gleich behandelt, also auch gleich sichtbar macht.

Die Klägerin sieht in ihrem Kampf gegen eine männerorientierte Sprache das Grundgesetz auf ihrer Seite, das die Gleichberechtigung von Frau und Mann fordert. Wer sich wie sie für weibliche Formen der Ansprache einsetzt, erntet schnell Spott. So ging es der Gleichstellungsbeauftragten Kristin Rose-Möhring, die den Text der Nationalhymne überdenken möchte, und auch jenen Grünen-Politiker*innen, die sich ein Binnen-Sternchen verordnet haben. Doch das Ringen um eine angemessene Ausdrucksweise verdient keinen Hohn.

Es geht in der Sprachpolitik nicht um Befindlichkeiten von Prinzipienreiterinnen. Denn Sprache ist das Medium, in dem sich Menschen begegnen und in dem sie streiten. Das Urteil des BGH kann hier für mehr Sensibilität sorgen und Klarheit darüber schaffen, wo subtile Diskriminierung beginnt. Das Schwierige daran ist, dass es bei sprachlicher Herabsetzung keine konkreten Täterinnen oder Täter zu geben scheint. Schuld sind alle und niemand. Eine Verordnung von oben kann nicht alles bis ins Detail regeln, aber sie kann den Weg weisen zu einem zeitgemäßen Umgang miteinander.

Noch nach der Wahl Angela Merkels im Jahr 2005 wurde diskutiert, ob man sie nicht lieber als "Kanzler" bezeichnen sollte. Das ist längst so passé wie die Anrede "Fräulein" für unverheiratete Frauen. Das Gefühl für das, was angemessen ist, verändert sich laufend. Dazu tragen auch Forschungsergebnisse bei: Psychologische Experimente belegen inzwischen, dass Frauen sich weniger einbezogen fühlen, wenn nur von "Kollegen" die Rede ist. Es macht einen Unterschied, ob eine Stellenausschreibung einen Ingenieur (m/w) oder eine/n Ingenieur/in sucht. Im ersten Fall bewerben sich weniger Frauen, da sie sich unbewusst nicht erwünscht fühlen.

Deswegen ist es gut, dass das generische Maskulinum, also die männliche Form "Kunde", welche die weibliche "Kundin" implizit einschließen soll, in Erosion begriffen ist. Vielen Frauen genügt es nicht mehr, mitgemeint zu sein, angesichts dessen, wie viel sie in Beruf und Familie, in der Schule und an der Universität leisten. Wenn aber eine große Gruppe sich von einer Sprachform nicht mehr angesprochen fühlt, ist diese veraltet. Auch der Duden empfiehlt inzwischen generell die Nennung beider Geschlechter, wo immer es die Lesbarkeit nicht beeinträchtigt. Das Gericht würde also lediglich einen gesellschaftlichen Wandel anerkennen, wenn es der Klägerin recht gibt.

Der Kampf um eine gerechtere Sprache endet da, wo die Kunst beginnt

Sprache ist historisch gewachsen, aber sie ist auch anpassungsfähig. Und mitunter geht sie ihrer Zeit voran. Deshalb ist es falsch, so zu tun, als ginge der Kampf um Sprache auf Kosten der Sachpolitik, als würde die soziale Ungerechtigkeit in der Gesellschaft größer, während verbal Gerechtigkeit angestrebt wird. Natürlich darf Sprache nicht zum Feigenblatt der Emanzipation werden.

Das Ziel allgemeiner Gleichberechtigung ist noch nicht erreicht, wenn das Wort "Neger" aus einem Kinderbuch gestrichen und das Binnen-Sternchen gesetzt wird, das auch Menschen adressiert, die sich keinem der beiden Geschlechter zugehörig fühlen. Wer aber Sprach- und Sachpolitik gegeneinander ausspielt, unterschätzt nicht nur das Potenzial von Sprache, sondern auch das von Politik. Beide können auf ihre Weise Veränderung bewirken.

Problematisch und tatsächlich zum Furor wird die Forderung nach sprachlicher Veränderung allerdings dort, wo sie auf die Kunst übergreift und in der Literatur nur noch duldet, was nach heutigen Gesichtspunkten gut erscheint. Ein aktuelles Beispiel ist das schwärmerische Gedicht von Eugen Gomringer an der Fassade der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin, dem Sexismus unterstellt wurde.

Im Gegensatz zum Anschreiben einer Bank aber kann und darf Kunst unbequem und politisch inkorrekt sein. Von ihr sollte niemals verlangt werden, unzweideutig zu sein, denn das Ambivalente ist ihr Wesen. Die Sphären öffentlicher Diskurs und Literatur gilt es zu trennen; auch der Kampf um gerechte Sprache muss Grenzen kennen. Gegen den Versuch, die Kunst zu domestizieren, sollte sich eine Gesellschaft ebenso zur Wehr setzen wie gegen sprachliche Diskriminierung im Alltag.

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SZ vom 13.03.2018/eca
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