Weckrituale zum Tag der Arbeit:Morgenstund' hat Gold im Mund

Smartphone, Radio, der Kuss des Liebsten oder Kindergeschrei? Jeder hat ein anderes Ritual, den neuen Tag zu beginnen. Zum Tag der Arbeit berichten neun Menschen, auf welche Art sie sich jeden Morgen wecken lassen und wie sie sich dabei fühlen.

Anja Perkuhn, Ronen Steinke, Marlene Weiss und Martin Zips

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Weckrituale zum Tag der Arbeit:Die Hebamme

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Quelle: oh

Wer nicht rechtzeitig aufsteht, der kommt zu spät zur Arbeit. Insofern wäre der "Tag der Arbeit" nichts ohne den Wecker, mit denen sich der Mensch Tag für Tag aus dem Schlaf werfen lässt. Zu welcher Uhrzeit auch immer. Neun Protokolle.

Die Geweckte: Mareike Pieper, Wetzlar.

Der Wecker: Radiowecker "Tevion RW 1209".

Das Gefühl: "Blib, bliib, bliiib, bliiiib, der Ton meines Aldi-Weckers beginnt sehr laut und steigert sich so schnell, dass irgendwann ab dem zwanzigsten Piepsen wahrscheinlich die Sicherung in unserem Haus rausfliegen würde. Dieser Klang ist sehr unangenehm, aber so geht es halt schnell. Ich mache den Wecker meistens schon nach dem zweiten Ton aus, damit mein Freund weiterschlafen kann.

Oft bin ich ohnehin schon eine Minute vorher wach, weil meine innere Uhr sich auf das frühe Aufstehen eingestellt hat. Es ist ja so: Wenn man abends beim Schlafengehen weiß, dass einen im Krankenhaus der Frühdienst erwartet, also ab sechs Uhr Entbindungen, Untersuchungen, Säuglinge, dann schläft man gar nicht erst so tief ein; dann kommt man auch leichter aus dem Bett, als wenn man acht Stunden Schlaf intus hat.

Die Arbeit in Schichten kann ich nicht jedem empfehlen. Aber ich habe das Glück, überall und zu jeder Zeit gut schlafen zu können, und dann hat der Schichtdienst auch ein paar Vorteile: Ich habe ganz unterschiedlich frei. Manchmal beginnt meine Arbeit nicht um sechs Uhr morgens, sondern sie endet dann - und wenn ich nach Hause fahre und mich auf mein Bett freue, sehe ich auf der Straße die ganzen gehetzten Menschen, die den Tag noch vor sich haben. Ein gutes Gefühl."  

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Weckrituale zum Tag der Arbeit:Der Schriftsteller

Schriftsteller Kaminer warnt vor zu intelligenter Technik

Quelle: dpa

Der Geweckte: Wladimir Kaminer, Autor von "Russendisko", Berlin.

Der Wecker: Ohrenpfeifen.

Das Gefühl: "Ich habe keinen Wecker mehr, aber ich habe eine Art Tinnitus, der seinen Platz eingenommen hat. Das hängt mit meiner Kindheit zusammen. Früher in der Sowjetunion hatte meine Familie ein großes Radio, das Gerät hatte gar keinen Aus-Knopf, und immer um sechs Uhr morgens hat es praktisch die ganze Familie geweckt, mit der Hymne der Sowjetunion! Heute durchfährt mich diese Melodie noch manchmal.

Eine Klang-Halluzination. Keine schöne. Sie schleicht sich in mein weckerloses Leben besonders dann hinein, wenn ich überarbeitet bin: ein Echo der Unselbständigkeit. In meinem heutigen Beruf hätte es überhaupt keinen Sinn, wenn ich mich morgens pünktlich mit leerem Kopf an einen leeren Schreibtisch setzen würde.

Wichtig ist, dass ein Schriftsteller etwas zu erzählen hat. Und wenn das so ist, dann muss er nur einen Fetzen Papier auf dem Fensterbrett finden, um das aufzuschreiben, bevor er platzt. In unserem Haus in Berlin gibt es wahrscheinlich gar keine Frühaufsteher mehr - außer den Kindern, die dazu gezwungen werden.

Die Erwachsenen sind alle freie Internetdesigner oder Bioladen-Besitzer, die extra späte Öffnungszeiten haben. Die verabschieden höchstens einmal kurz ihre Kinder in die Schule, danach legen sie sich wieder hin. Dann kommen die besten Träume."

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Weckrituale zum Tag der Arbeit:Die Nonne

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Quelle: oh

Die Geweckte: Schwester Scholastika, Kloster Arenberg.

Der Wecker: "Krippl-Watches Warenhandels GmbH, Funkwecker".

Das Gefühl: "An normalen Tagen stehe ich um Viertel nach fünf auf, das gemeinsame Gebet der Schwestern beginnt dann meistens um halb sieben. Radiowecker sind im Kloster nicht erlaubt, weil wir uns vor der Eucharistiefeier und dem gemeinsamen Frühstück nicht schon mit Musik berieseln lassen oder in den Nachrichten von den Katastrophen der Nacht hören wollen.

Deshalb hat mein Wecker einen Piepton. Für mich ist der Morgen immer ein bisschen eine Qual, der Schritt vom warmen Bett ins Aufrechte ist der schwerste des Tages. Frühes Aufstehen bin ich schon immer gewohnt, denn früher war ich Grundschullehrerin und, bei aller Mühe aufzustehen, gewöhnlich als Erste morgens um sieben im Lehrerzimmer."

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Weckrituale zum Tag der Arbeit:Die Morgenmoderatorin

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Quelle: oh

Die Geweckte: Karen Heinrichs, Sat.1 Morgenmagazin, Berlin.

Die Wecker: "Wake-up Light" und "Clock Radio AJ 3080", beide von Philips.

Das Gefühl: "Freunde versuchen ja immer, mich zu trösten: Um 3.30 Uhr aufstehen, das ist schon früh, aber da gewöhnst du dich sicher dran. Das ist alles Quatsch, das ist die fieseste Phase, nämlich die Tiefschlafphase, und ich kenne niemanden, der sich daran gewöhnt hat. Ich mache das seit fünf Jahren, und das ist jedes Mal aufs Neue eine Qual, das kann man auch nicht beschönigen - auch wenn ich meinen Job liebe!

Mittlerweile benutze ich zwei Wecker mit dem jeweils grausamsten Weckton, Froschgequake oder Grillenzirpen oder Radio, das bringt nix. Man braucht etwas, das einen rausreißt. Der erste Wecker, den mir meine Familie geschenkt hat, besitzt ein Aufwecklicht. Das bemerke ich zum Beispiel nie, nur als Leselicht ist das abends ganz toll. Außerdem habe ich als Notfallsystem mein Handy an: Wenn ich um 4.30 Uhr noch nicht im Sender bin, rufen die Kollegen an. Halb sechs beginnt die Sendung, das schaffe ich dann noch, Zeit für die Maske ist auch - nur nicht mehr, um sich auf die Gäste vorzubereiten. Das ist mir zum Glück noch nie passiert.

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Weckrituale zum Tag der Arbeit:Der Barkeeper

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Quelle: oh

Der Geweckte: Walter F. Kaufmann, Sonthofen.

Der Wecker: iPhone.

Das Gefühl: "Mein Wecker ist immer gestellt, sogar wenn ich in der Nacht beim Fest eines Kunden an der Bar stand, bis fünf Uhr morgens aufgeräumt habe und ausschlafen kann. Wenn ich dann vor dem Wecker aufwache und merke, dass ich noch völlig zusammengefaltet bin, schlafe ich nochmal eine Stunde, wenn es geht. Ich lasse mich von meinem iPhone wecken, mit einem richtig ekelhaften Klingelton, wie ein altes Telefon.

Manchmal überschneiden sich zwei Veranstaltungen, so dass ich spät ins Bett komme und trotzdem früh wieder aufstehen muss. Da kann es passieren, dass ich zwei, drei Minuten brauche, bis ich wahrnehme, dass das Klingeln der Wecker ist, aber dann stehe ich auch auf.

Das ist eben Disziplin, da muss man sich ins Badezimmer quälen und im Notfall das Fenster aufmachen, wenn es draußen kalt ist. Ich stelle den Wecker nie so, dass ich noch eine halbe Stunde liegen bleiben kann. Da dreht man sich nach links und nach rechts, das ist nichts Halbes und nichts Ganzes.

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Weckrituale zum Tag der Arbeit:Die Politikerin

Abschluss 1. Ordentlicher Bundesfrauenrat

Quelle: dpa

Die Geweckte: Claudia Roth, Bundesvorsitzende der Partei Bündnis 90/Die Grünen, Berlin.

Der Wecker: iPhone, Blackberry und Hotel-Weckruf.

Das Gefühl: "Ich will immer unbedingt pünktlich sein. Wenn ich keine Uhr am Handgelenk habe, auf die ich mich verlassen kann, werde ich wahnsinnig nervös. Zum Wecken habe ich mein iPhone mit Sphärenklängen und ein Blackberry mit Musik. Wenn ich unterwegs bin, nutze ich zusätzlich noch den Hotel-Weckruf.

Wobei meine innere Uhr meistens so gut funktioniert, dass ich schon vorher aufwache. Beim Weckruf bin ich dann nur noch gespannt, ob sie daran denken. Wenn die Wecker geklingelt haben, stehe ich ziemlich schnell auf und schaue als Erstes die Fernsehnachrichten, damit ich gleich einen ersten Überblick über die Themenlage bekomme.

Im Urlaub ist es ein sehr emanzipatorischer Akt, den Blackberry einmal auszuschalten, denn erreichbar sein muss ich sowieso immer - wenn ich es mal nicht bin, passiert bestimmt irgendetwas. Den Wecker stelle ich dann nicht, aber eine Uhr brauche ich immer in der Nähe, ich will ja wissen, wie spät es ist. Auch wenn ich gar keine leidenschaftliche Frühaufsteherin bin: Bis mittags zu schlafen, wäre für mich undenkbar, das kann ich einfach nicht. Bis halb neun schlafen ist für mich schon lang, das kommt selten vor."

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Weckrituale zum Tag der Arbeit:Die Mutter

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Quelle: oh

Die Geweckte: Nora Denecke, verheiratete Mutter von Nik, 2, und Mira, zehn Monate, Bremerhaven.

Der Wecker: Smartphone.

Das Gefühl: "Nachts bin ich ohnehin ziemlich viel unterwegs, weil mal Nik, mal Mira aufwacht. Außerdem stehe ich so um vier Uhr immer auf und mache Mira eine Milch, weil ich hoffe, dass sie dann morgens länger ruhig ist. Um sechs weckt sie mich aber meistens trotzdem, nicht mit Geschrei, sie erzählt dann einfach, dadada, brrrrr. Dann hole ich sie zu uns ins Bett, Nik ist dann auch oft schon da, und wir bleiben alle vier noch etwas liegen, das ist eigentlich sehr schön.

Um halb sieben klingelt der Smartphone-Wecker mit so einem sanftem Gedudel. Das machen wir noch ein paar Mal aus, aber allerspätestens um sieben müssen wir dann wirklich aufstehen, Mira anziehen und frühstücken, weil Nik um acht im Kindergarten sein muss.

Am Wochenende ist es morgens ähnlich, wenn es gut läuft, pennt Mira mal bis acht. Früher habe ich gerne lang geschlafen. Ich dachte immer, so kann man nicht leben, wenn man ständig geweckt wird. Aber jetzt habe ich mich längst daran gewöhnt und finde es überhaupt nicht schlimm.

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Weckrituale zum Tag der Arbeit:Die Sportlerin

DFB-Frauen-Nationalmannschaft - Pressekonferenz

Quelle: dpa

Die Geweckte: Fatmire "Lira" Bajramaj, Fußballnationalspielerin, Frankfurt am Main.

Der Wecker: iPhone.

Das Gefühl: "Mein Handy-Wecker ist auf halb sieben gestellt, und mindestens einmal gebe ich der Versuchung nach und drücke auf ,Schlummern'. Für zehn Minuten. Brauche ich das? Nein, aber ich mache es trotzdem, weil es mir ein bisschen ein Ausschlafgefühl gibt.

Eigentlich bin ich ab dem ersten Moment hellwach und könnte sofort hochschnellen - das Langschlafen habe ich in den Jahren als Profisportlerin einfach verlernt, was in gewisser Weise ja auch schade ist. Früher konnte ich seelenruhig bis elf Uhr durchschlafen, wenn mich keiner geweckt hat. Vorbei.

Vielleicht liegt's daran, dass Pünktlichkeit in einem Teamsport sehr wichtig ist, das hat mit Disziplin und mit gegenseitigem Respekt zu tun, irgendwann verinnerlicht man das halt. Als ich noch bei Potsdam gespielt habe, gab es manchmal um sieben Uhr Training. Das heißt um halb sechs aufstehen. Wer zu spät kommt, zahlt für jede Minute zwei Euro Strafe."

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Weckrituale zum Tag der Arbeit:Der Zeichner

Janosch Ausstellung in Linz

Quelle: Angelika Warmuth/dpa

Der Geweckte: Janosch, Teneriffa.

Der Wecker: Die Sonne.

Das Gefühl: "Ich stehe sehr frohsinnig, leicht und problemlos auf. Mein Wecker ist das Licht, das durch das Fenster kommt, also die kanarische Sonne, die mir die Nase kitzelt. Ich schlafe immer bei offenem Fenster, in einem alten Hemd und einer Hose. Schlafanzüge habe ich mir noch nie gekauft. Wahrscheinlich habe ich das vergessen. Ich vergesse ohnehin alles.

Mit dem Kopf nach Norden schlafe ich am besten. Wahrscheinlich bin ich eine Magnetnadel. Mein Bett ist aus Eisen geschmiedet. Das habe ich mal in einer Hausruine in Guargacho auf Teneriffa gefunden. Wir kommen gut miteinander aus. Sobald die kanarische Sonne aufgeht, stehe ich auf. Ob es früh oder spät ist, spielt dabei für mich keine Rolle.

Seit vielen Jahren habe ich weder Uhr noch Wecker. Man braucht das nicht. Und wenn ich das schon höre: ,Tag der Arbeit'. Mein ganzes Leben hat mich jegliche Art von Arbeit gegraust.

© SZ vom 30.04.2012
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