Wave-Gotik-Treffen in Leipzig:Lasst uns Fledermäuse malen

Teufelsfrauen mit Hörnern, Jungfrauen, die sich ersteigern lassen und 20 Prozent Rabatt auf Gasmasken: Beim Wave-Gotik-Treffen in Leipzig treffen ergraute Grufties auf Mittelalter-Fans und Cyber-Goths - und am Ende sind doch alle so spießig, dass sie einen gefühlsbetonten Gottesdienst besuchen und die Platzordnung ans Zelt kleben.

Roman Deininger, Leipzig

Zwölf Uhr: In der Straßenbahn allen Mut zusammengenommen, gefährlich wirkende Gotin mit Teufelshörnern angesprochen. Sehr bereitwillig gibt sie Tipps für den Tag. Man solle doch die Trauerhallen des Südfriedhofs anschauen, sagt die Behörnte, auch das Krematorium sei imposant, ihres Wissens am Pfingstsonntag aber leider nicht mal für Goten zu besichtigen. Oder man solle ins "Heidnische Dorf" gehen, vielleicht liege einem das eher, dort könne man bei Bedarf eine Jungfrau ersteigern. Und bevor man das frage, die Frage komme ja sowieso jedes Mal: Völlig richtig, es könne ziemlich heiß werden an einem Frühsommertag in einem Latexkorsett wie ihrem. Von weiteren Klischees, letzter Tipp, möge man sich lieber schnell verabschieden: "Die schwarze Szene ist nicht so leicht zu greifen." Und dann lacht die freundliche Teufelsfrau fast ein wenig diabolisch, weil sich da ein offenkundig Ahnungsloser eingebildet hat, genau das an einem einzigen Tag zu schaffen.

Leipziger Wave-Gotik-Treffen feiert 20. Jubiläum

Auf dem Leipziger Wave-Gotik-Treffen: Wer in Jeans und grauem T-Shirt am Hauptbahnhof in die Elfer-Tram steigt, die hinaus fährt zum Agra-Messegelände, der hat das Gefühl, auf einem fremden Planeten gelandet und dort in eine Familienfeier geplatzt zu sein.

(Foto: dpa)

Dabei kann man sich nicht mal mehr auf das Schwarz in der schwarzen Szene verlassen. Gut, es ist noch immer die beherrschende Farbe, so wie in den 80ern, als die Gothics aus der Wiege stiegen als vornehmere, melancholische Kinder des Punk. Aber es ist bei weitem nicht die einzige Farbe - das Korsett von Lady Luzifer ist pink, ein grelles Pink direkt aus der Hölle. Sicher lässt sich zunächst nur sagen, dass sich diese schwarz-bunte Szene am Pfingstwochenende zum 20. Wave-Gotik-Treffen in Leipzig versammelt. 20.000 Menschen reisen an zur weltweit wohl größten Veranstaltung dieser Art. Wer am Sonntag in Jeans und grauem T-Shirt am Hauptbahnhof in die Elfer-Tram steigt, die hinaus fährt zum Agra-Messegelände, der hat das Gefühl, auf einem fremden Planeten gelandet und dort in eine Familienfeier geplatzt zu sein.

"WGT" nennen die Besucher das Wave-Gotik-Treffen. Wenn man in seinem grauen T-Shirt einmal mehr völlige Naivität verrät und von einem "Festival" redet, wird man höflich darauf hingewiesen, dass das Ganze nicht umsonst "Treffen" heiße. Einmal im Jahr kommen hier für fünf Tage Menschen zusammen, die an den anderen 360 Tagen Außenseiter sind - zumindest dann, wenn sie mit ihrem Nietenhalsband auch im, sagen wir, Finanzamt von Bad Oeynhausen erscheinen. In Leipzig vergewissern sie sich, dass sie doch irgendwo dazugehören.

Aber wozu genau?

Die schwarze Szene, so wird es am Abend der Kulturwissenschaftler Alexander Nym beim Monica-Richards-Konzert erklären, sei wie ein Schwamm: "Sie saugt immer wieder Subszenen und Musikstile auf." In der Markthalle der Messe können ergraute Grufties im "Aderlass-Topstore" den Vorrat an Lederwaren und The Cure-Shirts aufstocken, die jungen Cyber-Goths kriegen bei "Plaste und Elaste" 20 Prozent Rabatt auf Gasmasken, neongrüne PVC-Wäsche und Haarteile vom laufenden Meter. Mittelalter-Freunde tragen Met-Fässchen und Hildegard-von-Bingen-Schriften davon. Es gibt Stiefel, so schwer, dass sie die jungen Mädchen, die sie kaufen, kaum allein aus dem Regal heben können, und Vampir-Zähne, die laut Fachberater im Vergleich zum Vorgängermodell "leichteres Sprechen erlauben". Auf für Menschen in Jeans gibt es Nützliches, etwa die Gürtelschnalle mit der Aufschrift "Harte Männer tanzen nicht."

Und was, Alexander Nym, haben diese Gruppen nun alle gemeinsam? Die vermeintlich Todessehnsüchtigen und die mutmaßlich Feierwilligen, die Schwarzen und die Pinken, die Kahlköpfigen und die Irokesen? "Das ist die Gretchenfrage", sagt Nym, Monica Richards schickt derweil mystisch-keltische Klangwellen durch den eingenebelten Saal, die nachher beim Rave der Cybergoten fast so deplatziert wären wie was Hübsches von Roland Kaiser. Dann spricht er über "ästhetischen Protest", über den Ausdruck eines unabhängigen Lebensgefühls, das "sich dem Thema Vergänglichkeit stellt und es nicht verdrängt wie die Spaßgesellschaft". Sponsoren-Angebote hat das WGT stets abgelehnt, sogar das generöse einer amerikanischen "Besatzerbrause".

Männer in SM-Montur, in Ketten gelegt

Dass die Goten Bürgerschrecke sind, ist eines der Klischees, die man völlig zu Recht zu vergessen gemahnt wurde. In der Leipziger Fußgängerzone können die Schrecke kaum zehn Meter gehen, ohne dass sich ein Bürger mit ihnen fotografieren lassen will. Es gibt auch ein paar ältere Herren, die knipsen die Cyber-Girls so eifrig, dass man ihnen daheim gar nicht auf die Festplatte gucken möchte. Vor der Eisdiele "Pinguin" helfen couragierte Passanten einer dunklen Fürstin im ausladenden Reifrock auf einen Plastikstuhl, eine Aktion, die mehrere Minuten in Anspruch nimmt. In der Peterskirche feiern Schwarze und farblose Zivilisten gemeinsam einen gefühlsbetonten Gottesdienst, Rosenblätter und Kerzen zieren den Steinboden. Und ein Kellner in "Auerbachs Keller" erzählt, mit Fußballfans hätten die Wirte dauernd Probleme, mit den Schwarzen eigentlich nie.

Friedfertigkeit und Toleranz seien ebenfalls Dinge, auf die sich alle in der Szene verständigen könnten, sagt der Experte Nym. Das lässt sich von ahnungsloser Seite bestätigen: Blutverschmierte Zombies zeigen einem gern den großen Campingplatz an der Messe. Dort merkt man indes, dass das Anderssein auch Grenzen hat: Selbst Zombies haben die Platzordnung am Zelt kleben und essen auf Klappstühlen die mittelprächtigen Crêpes, die man auf Festivals (und Treffen) von unsichtbarer Hand zu essen gezwungen wird. In der Innenstadt werden einige Männer in SM-Montur von Frauen an Ketten herumgeführt, was wie bei normal angezogenen, freilaufenden Männern oft vor Schaufenstern endet.

Die Szene hat aber auch Abgründe, einer tut sich am Sonntagabend am Brunnen vor dem Gewandhaus auf. Ein junger Kerl posiert in runenbesetzter, schwarzer Uniform für einen Fotografen. Rechte Gesinnung muss man dem Mann nicht unterstellen, aber doch jene Leichtfertigkeit im Umgang mit belasteter germanischer Symbolik, der einem immer wieder begegnet an diesem Pfingstsonntag in Leipzig. Die Ästhetik, sagt Alexander Nym, sei manchem Goten "einfach wichtiger als alles andere". Dadurch sei die Szene auch oberflächlicher geworden: "Viele sind eitel, denen geht es nur um das krasseste Outfit."

Nym, 36, ist selbst ein Schwarzer alter Schule. Er berichtet begeistert, wie er in der Nacht bei einer Percussion-Session auf einem Ölfass rumgekloppt habe. Aber er redet auch sehr nüchtern über die "Revival-Lastigkeit" der schwarzen Musik und den weichgespülten Sound, der Unheilig in die Charts brachte. Sterben die echten Schwarzen aus? Nym schüttelt den Kopf, belustigt fast, dazu stecke zu "viel Potential" in der Szene.

Vermutlich hat er recht. Draußen auf dem Messegelände gibt es einen Kinderhort für die Besucher, die Kleinen sitzen mit Stiften im Anschlag vor weißen Blättern Papier. "Welches Tier wollen wir malen?", fragt die Betreuerin. Einen Hasen? Eine Ente vielleicht? "Fledermaus", brüllen die Kinder.

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