Süddeutsche Zeitung

W:Windräder

Die meisten Deutschen sind für Energiewende und Windkraft. Theoretisch. Praktisch wächst der Widerstand. Wie kann Stillstand verhindert werden?

Von Evelyn Roll

Indem erhob sich ein leiser Wind, und die langen Flügel fingen an, sich zu bewegen. Sobald Don Quijote dies sah, sprach er: "Wohl, ob ihr auch mehr Arme als die des Riesen Briareus bewegtet, ihr sollt mir's doch bezahlen."

Eigentlich hat sie immer Grün gewählt. Und jetzt? Jetzt ist ausgerechnet die AfD die einzige Partei im Landkreis, die gegen den scheußlichen Windpark kämpft, dessen "vögelschreddernde Ökokruzifixe" sie von ihrer Terrasse aus wird sehen müssen. Und hören auch.

Eigentlich war sie immer schon gegen Atomkraft und, seit Fukushima, ist sie für die Energiewende. Natürlich müssen dafür auch Windräder gebaut werden. Aber doch nicht ein ganzes Feld davon so nah an ihrem Haus, direkt an ihrem Lieblings-Spazierweg. Jetzt ist Streit. In der Familie wie im Gemeinderat.

Diese Geschichte spielt überall in Deutschland: Mehr als 90 Prozent der Deutschen sagen den Meinungsforschern in allen Umfragen, dass sie für die Energiewende und für Windkraft sind. Theoretisch. Praktisch und im Ernstfall mutieren sie alle zu Nimbys und verzögern überall die Energiewende, weil sie sagen: Aber doch nicht hier. Ihr könnt doch nicht vor meinem Grundstück die Landschaft verspargeln mit diesen gesundheitsschädlichen Dingern.

Nimbys? - Früher hätte man solche Leute vielleicht Jünger des heiligen Florians genannt. Heute haben wir es gerne anglo und beschimpfen sie also als Nimbys, das kommt aus Amerika von Not in my backyard: nicht in meinem Hinterhof. Unterstützt werden die Nimbys überall von Diskurs-Touristen, die alles besser wissen über Infraschall, "tieffrequente Geräuschemissionen" also, über Schlaflosigkeit, Ohrensausen, Gehirnbrummen, über Kühe, die nicht mehr trächtig werden oder geschädigte Kälber gebären.

Im Wahlkampfspot der CDU spricht Angela Merkel von der Zukunft. Die Windräder stehen im Nebel

"Wälder und Haine sind ihre Heiligtümer", schrieb schon Tacitus über die seltsamen Germanen. Das sollte man nicht vergessen, wenn man aus Wäldern und Hainen in Deutschland ökologisch wertlose "Industrieparks mit Baumbeständen" machen will. Drumherumreden und Euphemismen wie "Windpark" helfen gar nichts: Deutschland hat, vor allem wenn die Stromtrassen tatsächlich oberirdisch verlegt werden, den größten Landschaftsumbau vor sich seit der Industrialisierung im 19. und dem Autobahnbau im 20. Jahrhundert.

Das Problem ist, dass Politik und Verwaltungen diesen Umbau mit Instrumenten aus dem Werkzeugkasten der Wiederaufbauzeit nach dem Zweiten Weltkrieg durchsetzen wollen: Möglichst unauffällige Notiz in der Lokalzeitung zur Einsicht in die Planung für die Bürger. Dann die Versammlung in einer Turnhalle, auf der Planungsbürokraten und die Experten der Stromkonzerne alles platt- und schönreden mit ihren Zahlen und Charts. Und dabei die Landschaft vergessen, die Ästhetik, das Gefühl, das in allen großen Streitfällen der Infrastrukturplanung eine so große Rolle spielt. Stuttgart 21. Die Waldschlösschenbrücke in Dresden.

Neuerdings wird sicherheitshalber dazu gesagt, dass die Windräder der zweiten Generation, die mit ihrer Gesamthöhe bis zur Spitze der Rotoren-Blätter den Kölner Dom um 5o Meter überragen und mit einem Fuß von 4000 Tonnen Stahlbeton im Boden verankert werden, nur dort gebaut werden, "wo sie mit anderen Ansprüchen an die Landschaft nicht in Konflikt geraten". Aber wo soll das sein?

Im Embryo-Wahl-Werbespot der CDU ist es eine Fantasielandschaft im Nebel. Die Kanzlerin fragt mit beherzter Großmutter-Stimme: "In welchem Deutschland wirst du einmal leben?" Und als sie bei der 16. Sekunde von einem Deutschland der Chancen spricht, "in dem mehr Menschen Arbeit haben als je zuvor", sind sieben Windräder zu sehen: Sie drehen sich in einer von Nebelschwaden verhüllten, nicht identifizierbaren Ideallandschaft, in der es keine Häuser gibt und keine Wälder, keine Bürgerinitiativen und keine Nimbys, keinen Streit unter Freunden und Nachbarn, kein Riesenproblem für die örtlichen Grünen. Nur Nebel.

"Wenn man Großprojekte umsetzen will und wenn es schnell gehen soll, dann kann man das nur mit den Bürgern schaffen - und nicht gegen sie", sagte Heiner Geißler. Er wusste das aus langer politischer Erfahrung, die er zuletzt noch einmal verdichtet hat bei seinem Job als Schlichter bei Stuttgart 21. Geißler, der in dieser Woche gestorben ist, forderte moderne Bürgerbeteiligung, ein "mehrstufig gesetzlich geregeltes Verfahren", also "mit Bürgerentscheiden". Das würde bedeuten: Rechtzeitige und ernsthafte Veranstaltungen, bei denen die Aussagen über Lärm, Schattenwurf, Flurschaden und optischer Beeinträchtigung auf dem Tisch liegen, nachvollziehbar für alle Bürger. Das bedeutet Planungsbüros, die über die Einbettung in die Landschaft nachdenken. Es bedeutet Presse- und Internetarbeit für Beteiligungsprozesse, an deren Ende möglichst viele mit dem Ergebnis leben können. Mitsprache erhöht Akzeptanz.

Am besten funktioniert Bürgerbeteiligung frühzeitig, also nicht erst, wenn alles schon entschieden ist. Noch besser wäre, wenn man die Vokabel Bürgerbeteiligung im doppelten Wortsinn ernst nimmt. Wenn ein anonymer Stromkonzern Geld mit Windkraft macht, während der Strompreis steigt, gefallen uns die Windräder noch sehr viel weniger, als wenn sie das eigene Haus, die eigene Straße, die eigene Stadt mit Strom versorgen und alle Bürger am Gewinn beteiligt sind.

Vielleicht wird man den Gegnern noch einmal dankbar sein, dass sie zu schnelle Lösungen verzögert haben

Die Lösung gab es schon: Bürgerwindräder - auch ein komisches Wort, je länger man es betrachtet. Windräder also, bei denen die Gemeinden an den Einnahmen beteiligt werden, wenigstens über Pacht und Gewerbesteuer. Die Anwohner könnten vergünstigten Strom bekommen oder als Kleinst-Anleger über Windgenossenschaften beteiligt sein. Die Wertschöpfung oder wenigstens ein Teil davon bleibt in der Region, die ein Stück Landschaft opfert. Neue Bürgerwindräder gibt es aber immer weniger, seitdem aus ein paar Dutzend Vorschriften Tausende von Auflagen geworden sind, die nur noch Großkonzerne, Monopolisten und Windmühlenkapitalisten erfüllen können. Dabei ist es nachweislich überall dort, wo sich Bürger bei der Planung und beim Gewinn wirklich beteiligen durften, alles viel leichter gegangen, die Akzeptanz ist gestiegen: Das dahinten sind unsere Windkrafträder, damit sind wir reich geworden.

Vielleicht gefährden die bösen Nimbys und Bürgerinitiativen das Jahrhundertprojekt gar nicht. Vielleicht halten sie die Energiewende zwar ein bisschen auf, verhindern aber auch, dass große Fehler gemacht werden in der Wende-Eile. Möglicherweise werden wir den wackeren Windmühlenkämpfern eines Tages noch einmal dankbar sein.

Das achte Kapitel in Cervantes' Bestseller, aus dem wir oben zitiert haben, trägt jedenfalls schon mal die Überschrift: "Von dem glücklichen Erfolg, den der mannhafte Don Quijote bei dem erschrecklichen und nie erhörten Kampf mit den Windmühlen davontrug ..."

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Quelle:
SZ vom 19.09.2017
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