Vorschlag zur Umschulung von Schleckerfrauen:"Schlag in die Magengrube"

Kann man Schlecker-Mitarbeiterinnen einfach umschulen und in Kitas einsetzen? Bei einer erfahrenen Erzieherin sorgt der Vorschlag von Arbeitsministerin von der Leyen für Unmut. Ursula Günster-Schöning wirft der Politik vor, sie wolle den Fachkräftemangel "auf die Schnelle irgendwie zukleistern." Und fürchtet eine weitere Entwertung des Erzieher-Berufs.

Tanja Rest

Es klingt zunächst so unkonventionell wie einleuchtend: Da sind, auf der einen Seite, mehr als 20.000 gekündigte Schlecker-Mitarbeiterinnen. Und da sind, auf der anderen Seite, mindestens 14.000 nicht besetzte Erzieher-Stellen. Warum nicht aus der Not eine Tugend machen und die Schlecker-Frauen zu Erzieherinnen oder auch Altenpflegerinnen umbilden? So jedenfalls lautet ein gemeinsamer Vorschlag von Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU), Verdi-Chef Frank Bsirske und dem Chef der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise. Was davon zu halten ist, darüber sprach die SZ mit Ursula Günster-Schöning, 45. Sie hat mehr als 20 Jahre lang als Erzieherin und Kita-Leiterin gearbeitet und bietet heute unter anderem Coaching für pädagogische Einrichtungen an.

Kindergarten in NRW

Reicht eine kurze Umschulung, um aus Verkäuferinnen Erzieherinnen zu machen? Nein, sagt Ursula Günster-Schöning: Die "Light-Version des Erziehers", so die Expertin, sei "genau der falsche Ansatz".

(Foto: dpa)

SZ: Frau Günster-Schöning, welche Ausbildung muss man durchlaufen haben, bevor man sich staatlich anerkannte Erzieherin nennen darf?

Ursula Günster-Schöning: Zuerst einmal braucht man mindestens den Realschulabschluss, die Ausbildung dauert dann je nach Bundesland vier bis fünf Jahre. Nach zwei Jahren und bestandener Prüfung hat man den Status einer Sozialassistentin - das heißt, man darf in Kitas arbeiten, allerdings nicht in der Gruppenleitung, sondern eher unterstützend. Es folgt eine zwei- bis dreijährige Ausbildung an der Fachhochschule für Sozialpädagogik, darin integriert auch drei Berufspraktika. Den Abschluss bildet eine schriftliche, eine praktische und unter Umständen noch eine mündliche Prüfung.

SZ: Nun gibt es den Vorschlag, entlassene Schlecker-Frauen innerhalb von etwa zwei Jahren zu Erzieherinnen umzuschulen - was halten Sie davon?

Günster-Schöning: Das ist ein Schlag in die Magengrube. Seit Jahren setzen wir uns dafür ein, Qualität und Professionalisierung in die Kitas zu tragen, den Erzieherberuf aufzuwerten. Wer sich für diesen Beruf entscheidet, der muss ja eine innere Haltung mitbringen, neben der Liebe zu Kindern auch Empathie und Neugierde, die Fähigkeit zur Selbstreflexion und die Bereitschaft, sich weiterzuentwickeln. Wenn ich dann höre, wir haben hier ein paar tausend Frauen, die haben im Einzelhandel einen engagierten Job gemacht und sind deshalb auch bestimmt fähig, mit Kindern zu arbeiten - das finde ich sehr fragwürdig und den Erzieherinnen gegenüber auch unfair.

SZ: Weil es so rüberkommt, als könnesen Beruf eigentlich jeder machen?

Günster-Schöning: Genau das ist die Botschaft. Wir wollen ja genau in die andere Richtung gehen, in den akademischen Bereich: Unsere staatliche Anerkennung wird in den meisten anderen europäischen Ländern gar nicht akzeptiert, die Erzieherinnen dort haben längst einen akademischen Grad. Wenn wir jetzt auch noch die Tür aufmachen für die Light-Version des Erziehers, ist das genau der falsche Ansatz.

SZ: Nach zweijähriger Umschulung wären die Schlecker-Frauen etwa auf dem Stand einer Sozialassistentin, also der Vorstufe zur Erzieherin. Könnten sie so nicht nützlich sein?

Günster-Schöning: Über eine Assistenzrolle könnte man nachdenken, wenn die Personen gut ausgewählt, geschult und begleitet werden. Aber zu sagen: Die kriegen eine zweijährige Umschulung und sind dann staatlich anerkannte Erzieherinnen - da geht's mir schlecht mit.

"Was uns wirklich fehlt, sind Fachkräfte"

SZ: Möglicherweise haben sich die Herrschaften, von denen der Vorschlag stammt, über die Begrifflichkeit nicht ausreichend Gedanken gemacht.

Günster-Schöning: Das Ganze kommt mir jedenfalls ein bisschen vor wie mit heißer Nadel gestrickt. Man kann eine klaffende Lücke nicht auf die Schnelle irgendwie zukleistern. Was uns wirklich fehlt, sind Fachkräfte. Ich habe 17 Jahre lang eine sehr große Kita geleitet, mit 170 Kindern und 25 Mitarbeitern. Da begegnet man vielen jungen Frauen, die selbst nach fünf Jahren Ausbildung noch unsicher sind, wenn sie etwa mit verhaltensauffälligen Kindern zu tun haben. Auch der Bereich der Elternberatung wird immer wichtiger: Wie spreche ich schwierige Themen gegenüber den Eltern an? Wie kann ich auch psychologisch Hilfe leisten? Dafür braucht man ein sehr profundes Wissen. Fremdeinsteiger mögen viele andere Kompetenzen mitbringen, das kann ein gutes Team auch bereichern. Trotzdem müssen wir zuerst auf das schauen, was die Kinder am dringendsten brauchen. Es ist schließlich die Zukunft, die da herangezogen wird.

SZ: In Westdeutschland fehlen derzeit etwa 14 000 Erzieher. Könnte man da nicht sagen: Besser eine umgeschulte Verkäuferin als gar niemand?

Günster-Schöning: Gegenfrage: Stellen Sie sich vor, wir hätten 14.000 unbesetzte Erzieherstellen und 20.000 arbeitslose Bürokaufmänner oder Automechaniker. Würde man die dann auch zum Kita-Personal umschulen wollen? Niederschwellig ist das nämlich immer noch in den Köpfen drin: Kinder zu erziehen, ist die natürliche Berufung der Frau, jede Frau kann das. Das ist genau die Schublade, in der unsere Erzieherinnen stecken - jahrelange Ausbildung hin oder her, die Professionalität hinter diesem Beruf nehmen viele gar nicht wahr. Denn natürlich hätte man diesen 20.000 Frauen auch eine handwerkliche Ausbildung anbieten können, da es in diesem Bereich ebenfalls einen Mangel gibt. Aber nein, Erziehung und Pflege muss es sein. In Hamburg läuft gerade eine Riesenkampagne: Mehr Männer in den Erzieherberuf. Nahezu 100 Prozent der Erzieher sind weiblich, das muss man sich mal vorstellen.

SZ: Warum ändert sich daran nichts?

Günster-Schöning: Weil ein Erzieher trotz vier- oder fünfjähriger Ausbildung nicht davon ausgehen kann, dass er eine Vollzeitstelle bekommen wird. Weil Fortbildungen zwar verlangt werden, sich aber auf die Karriere kaum auswirken. Weil es ganz unabhängig vom eigenen Engagement kaum Aufstiegsmöglichkeiten gibt, denn über dem Erzieher steht ja nur noch der Leiter der Einrichtung. Und weil nicht angemessen bezahlt wird, das Gehalt schwankt je nach Träger und Anzahl der Berufsjahre etwa zwischen 1300 Euro und 2300 Euro netto.

SZ: Auf so etwas lassen sich Männer nach wie vor nicht ein.

Günster-Schöning: Richtig. Deshalb Hut ab vor den engagierten Erzieherinnen in den Kindergärten: Trotz der teilweise schlechten Rahmenbedingungen sind sie mit heißem Herz dabei. Und da schließt sich auch wieder der Kreis, denn dieses heiße Herz muss ich bei Leuten, die ich von extern hole, erst einmal wecken. Wie viele von den 20 000 Schlecker-Frauen haben denn wirklich Lust, Kinder zu erziehen? Und haben diese Frauen dann auch den langen Atem für zig Fort- und Weiterbildungen, die immer wieder auf sie zukommen werden, damit sie jederzeit auf dem neuesten Stand sind? Diese große Anzahl von Frauen, die da scheinbar einen großen Bedarf decken könnte, scheint mir trügerisch.

SZ: Wie kommen Sie denn nun an qualifiziertes Personal?

Günster-Schöning: Letztlich ist es doch eine Frage der Priorität. Wenn die Politik gute Kitas will, muss sie auch bereit sein zu investieren. Momentan ist der Markt für Erzieher wie leergefegt, gute Leute sind nicht zu kriegen, beziehungsweise: Sie werden heutzutage schon abgeworben. Etwas positiver ist die Personalsituation in den betrieblichen Kitas - weil die Rahmenbedingungen dort oft besser sind und allein schon das Gehalt eine andere Wertigkeit ausdrückt. Auch die Ausstattung ist in Betriebs-Kitas meist besser, was aber natürlich noch nichts heißen muss. Ich habe auch schon Einrichtungen erlebt, die pfiffen auf dem letzten Loch, aber die Mannschaft da drin war super. Wenn Sie nämlich eine Erzieherin haben, die ihren Job mit Herzblut macht, dann können Sie auch unter schlechten Rahmenbedingungen eine super Bildungsarbeit und eine tolle Begleitung von Kindern hinbekommen.

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