Die letzte Silvesterrakete war abgeschossen, das allerletzte Gläschen Sekt geschlürft, als man am Morgen des 1. Januar 2025 vorsichtig, achtsam geradezu in sich hineinfühlte und erschrocken zurückfuhr, denn: Da waren sie ja – immer noch. Mit der Stimme von Jürgen von der Lippe geträllert: „Guten Morgen, liebe Sorgen, seid ihr auch schon alle da!“ Ungeachtet des soeben bewerkstelligten Jahreswechsels wollte man immer noch ein gesünderer, erfolgreicherer, glücklicherer, beliebterer, schönerer, dünnerer, nachsichtigerer Mensch werden, empfand den Ist-Zustand des eigenen Ichs folglich als genauso defizitär wie ein paar Stunden zuvor, was ja schon mal hieß, dass es mit dem Vorsatz, frei von Selbstoptimierungsvorsätzen durchs neue Jahr zu kommen, nicht geklappt hatte. Es war ein Schlag.
Glücklicherweise waren Kollegen in aller Welt darauf schon vorbereitet. Die New York Times offerierte „7 Strategien, wie Sie Ihre persönlichen Beziehungen 2025 stärken können“, dazu „10 Wege, um Ihren Geist 2025 gesund zu halten“. Die Times of India überraschte mit „10 essenziellen Arbeitsweisen, die Sie sich angewöhnen sollten, um 2025 garantiert Erfolg zu haben“, die Washington Post präsentierte „Fünf Gesundheitsmaßnahmen, die Sie Experten zufolge im neuen Jahr ausprobieren sollten“. Außerdem waren da noch „10 Schritte zum Beziehungs-Glück“ (Bild), „In neun Schritten zu sortierten Finanzen“ (Zeit), „7 Schritte, um Ihre Mediationsreise zu starten“ (Hindustan Times) sowie „In 99 Schritten zu weniger Fußschweiß“. Okay, das Letzte war gelogen, aber auch so waren es deutlich mehr Schritte, als man im neuen Jahr machen wollte.
Mit der „Drei-Sekunden-Gehirn-Reset-Technik“ zu einer kürzeren To-do-Liste
Die Lösung fand sich schließlich im Guardian, gleich neben „66 Tage, um bessere Schlafgewohnheiten zu entwickeln“, und sie klang vielversprechend: „Wie Sie eine viel kürzere To-do-Liste machen: 15 schnelle, einfache Maßnahmen, um Überwältigung zu vermeiden.“ Der Psychotherapeut Nick Hatter empfahl, täglich zehn bis 15 Minuten für „konstruktives Sorgenmachen“ einzuplanen, die sich im Selbstversuch leider auf horrende zwei Stunden auswuchsen. Die Studentin Callie Leone aus Chicago riet, sich mit dem Kopf nach unten auf den Boden zu legen, was lediglich Niesanfälle (muss im neuen Jahr öfter staubsaugen) und Nackenschmerzen (muss öfter Übungen für die Halswirbelsäule machen) nach sich zog. Dann aber: Aditi Nerurkar, Harvard-Dozentin und Autorin von „Die 5 Resets: Justieren Sie Gehirn und Körper neu für weniger Stress und mehr Resilienz“. Ihre Methode: die „Drei-Sekunden-Gehirn-Reset-Technik“, was ein wenig an die „Fünf-Punkte-Pressur-Herzexplosionstechnik“ aus „Kill Bill“ erinnerte – unmittelbar tödlich, aber immerhin effektiv.
Die To-do-Liste ist seither kürzer geworden, sie besteht jetzt aus exakt drei Schritten. Erstens: pausieren. Zweitens: tief ein- und ausatmen. Drittens: auf den Moment fokussieren. Zu sehr viel mehr, zugegeben, ist man im neuen Jahr noch nicht gekommen. Aber die Marschrichtung stimmt.