Wer sich dieser Tage ordentlich fremdschämen will, sollte sich im Internet ein Video ansehen, das eine Rede von Günther Oettinger zeigt. Es offenbart, dass der Politiker nicht nur kein Hochdeutsch, sondern auch nicht besonders gut Englisch kann. Aufgenommen wurde es bei einer Konferenz der New Yorker Columbia-Universität im Dezember in Berlin.
Das Video, das im Netz bislang 900.00 Mal aufgerufen wurde, zeigt den designierten EU-Energiekommissar dabei, wie er sich in der ihm eigenen stakkatohaften Rhetorik von Wort zu Wort hangelt, und man fragt sich unwillkürlich, ob er überhaupt weiß, was er da vorliest. Der Zuschauer jedenfalls weiß es es nicht immer - er darf raten, was sich hinter Ausdrücken wie "se päschend häs surwaift" und "se lävel häs bin lauert" verbirgt. Und das, obwohl er, wie Weggefährten bezeugen, im Gymnasium Englisch-Unterricht genoss. Das Abitur bestand er 1971.
Man würde Günther Oettinger gerne bemitleiden. Aber erstens spricht er sich immer wieder dafür aus, dass Englisch in Deutschland die Arbeitssprache werden soll. Also selber schuld. Und zweitens sieht der CDU-Politiker selbst das mit dem Video gar nicht so eng: "Ich habe damit kein Problem. Es sollen alle machen, was sie wollen." Er sei auch bislang noch von keinem Kollegen darauf angesprochen worden.
Trotzdem hat der aus Ditzingen bei Stuttgart stammende Schwabe nun angekündigt, dass er an seinen Englisch-Kenntnissen arbeiten wolle. "Ich habe vor, wenn ich in Brüssel bin, die dortigen Möglichkeiten, Fachbegriffe vertieft zu lernen, wahrzunehmen."
Das sollte er auch dringlichst tun - denn die Kommentare über seinen Auftritt, die im Netz kursieren, sind nicht besonders liebevoll. Viele User empfinden es offenbar als blamabel, von Oettinger als EU-Kommissar vertreten zu werden.
Die Häme hat ihren Weg nun auch in die USA gefunden. Wie das Online-Portal DerWesten.de berichtet, diskutieren Sprachlehrer dort bereits über die sprachliche Blamage Oettingers. Im Newsletter der amerikanischen Vereinigung von Deutschlehrern AATG sei die Berliner Rede Thema Nummer eins. "Oettingers Auftritt ist ein ungewöhnlich extremes Beispiel für etwas, das ich gerne 'Flugbegleiter-Syndrom' nenne", heiße es im Newsletter. Oettinger habe zwar seine Übersetzer, die garantierten, dass Wortwahl und Grammatik korrekt sind - doch seine Aussprache sei auf einem anderen Niveau.
In einer Antwort auf den Newsletter schreibe eine Lehrerin begeistert: "Ich werde einen Ausschnitt daraus vor Referaten verwenden, um den Schülern beizubringen, sich in einfachen Worten auszudrücken."
So viel Gemeinheit - und das, obwohl der Mann es wirklich schwer hat. Daheim, in der Amtsvilla Reitzenstein, über den Dächern Stuttgarts, war es doch gemütlich. Dort kam der scheidende baden-württembergische Ministerpräsident bei Amt- und Würdenträgern deshalb so gut an, weil sie nicht nur das gleiche Parteibuch haben, sondern auch noch genauso schwätzen wie er: in dieser befremdlichen Lautung, der Mischung aus breitem Schwäbisch und bemühtem Hochdeutsch, das als Honoratiorenschwäbisch bezeichnet wird. In Berlin sieht das schon anders aus - und in Brüssel erst recht.
Das dürfte Oettinger schon selbst bemerkt haben. Und offenbar hat er aus seinem Fehler gelernt. Schadenfreude ist also Fehl am Platz. Leider - das Wort hätte der 56-Jährige sicher gut aussprechen können. Denn Schadenfreude ist eines der wenigen Wörter, die andere Sprachen aus dem Deutschen übernommen haben. Und Oettinger wäre gar nicht aufgefallen.