Vicky Koulianou:Das schönste Gesicht der Krise

"Sie haben aber seeehr lange Arme": Vicky Koulianou war früher Supermodel und ist heute Designerin. Den Abstieg ihrer Heimat Griechenland erlebt sie täglich - und zwar hautnah.

Kai Strittmatter, Athen

Es ist immer so eine Sache mit der Schönheit. Etwa, wenn man die Schöne liebt, die Liebe aber nicht erwidert wird. Vielen Griechen geht es so mit ihrem Land. Einem der überwältigendsten auf diesem Kontinent. "Griechenland ist eine natürliche Schönheit", sagt Vicky Koulianou. "Jeder begehrt diesen Flecken Erde." Und doch macht dieses Land seine Menschen heute traurig und zornig. Vicky Koulianou ist hier geboren und aufgewachsen, in Athen. Sie ging weg, sah die Welt, kam zurück. Heute sagt sie, das sei ein Fehler gewesen. "Es ist nicht nett, das zu sagen. Aber ich bereue es, nach Griechenland zurückgekehrt zu sein."

Vicky Koulianou: "Griechenland ist eine natürliche Schönheit", sagt Vicky Koulianou.

"Griechenland ist eine natürliche Schönheit", sagt Vicky Koulianou.

(Foto: Vicky Koulianou)

Natürliche Schönheit, Vicky Koulianou selbst ist so eine. Heute, mit 41 Jahren, ungeschminkt und empört, in Jeans, T-Shirt und Hemd, erst recht. Eine Zeit lang galt sie als die schönste Griechin. Als Griechenlands erstes Topmodel lebte sie in Mailand, war bei derselben Agentur unter Vertrag wie Cindy Crawford, arbeitete für Dior, Fendi, Versace, Valentino, zierte viele Cover. Vasiliki, wie sie mit vollem Namen heißt, wurde an einer Athener Bushaltestelle entdeckt, da war sie 14 Jahre alt.

Aber sie musste Griechenland erst verlassen, damit die Griechen entdeckten, wie gut sie war. "Davor sagten sie zu mir immer: Ach, du bist zu groß. Und deine Nase, also mit deiner Nase müsstest du wirklich mal etwas tun." Vicky Koulianou tat den Teufel, sie hat noch dieselbe Nase wie damals, eine mit Charakter. In Italien, in Frankreich, in Deutschland hat das keinen gestört. Mit 19 hat sie einfach ihre Sachen gepackt und ist weg. Sprach bei Armani vor - "Vasiliki, Sie haben aber seeeehr lange Arme" - , wurde unter 1000 Mädchen ausgewählt. Das war's, es folgten die besten Jahre ihres Lebens.

Zurück in ihr Heimatland kam sie erstmals 1993, man hatte ihr eine Live-Show im Fernsehen ("Fantastiko") angeboten. Sie arbeitete noch ein paar Jahre als Model, entschloss sich dann, mit 26, ganz zurückzukehren. Sie nahm Schauspielunterricht, spielte auf der Bühne und im Fernsehen, aber an den großen Erfolg, den sie als Model hatte, konnte sie als Schauspielerin nicht anknüpfen.

Als junges Mädchen hatte sie davon geträumt, an der Kunstakademie zu studieren und Malerin zu werden, 2006 beschloss sie, Kunst und Mode zu verbinden. "Ich hatte meinen Start als Designerin gerade, als die Krise sich ankündigte." Griechenland war am 1. Januar 2001 der Euro-Zone beigetreten, in den Jahren danach schien die Wirtschaft einen ungeahnten Aufschwung zu nehmen. Die Jahre bis 2004, dem Jahr, als Griechenland die Olympischen Spiele ausrichtete, waren in den Worten des Autors Takis Theodoropoulos "eine einzige Party". Nach den Spielen begann die Wirklichkeit die Griechen einzuholen.

"Ich warte nie"

2007 stellte Vicky Koulianou ihre erste Kollektion vor, das Jahr, in dem die tödlichen Waldbrände den Griechen das komplette Versagen ihres Staates vorführten. Im vergangenen Jahr dann eröffnete sie ihren ersten Laden. Ausgerechnet 2010. Das Jahr, in dem ihre Kunden durch Lohnkürzungen und Steuererhöhungen auf einen Schlag fast ein Drittel ihres Einkommens verloren. Ja, sagt sie, Angst habe sie schon gehabt. Hätte sie nicht besser auf bessere Zeiten gewartet? "Nein, nein, nein", sagt sie entschieden: "Ich warte nie." Koulianou hat noch Glück. Die Leute schauen schon deshalb in ihren Laden in der Venizelou-Straße, weil sie hoffen, einen Blick auf sie zu erhaschen.

Und Vicky Koulianou hat heute Zeit, zu erzählen. Wenig los im Laden. Es ist die Woche, da die Regierung die neue Grundsteuer beschlossen hat. Wenn Leute hereinkommen, dann oft, um am Ende zu erzählen, dass sie nicht mehr wissen, woher sie das Geld für die Steuer nehmen sollen. "Es ist nicht fair", findet sie. "Die Griechen erkennen sich selbst nicht wieder. Sie fühlen sich wie im Gefängnis. Wir waren immer freie Geister. Einem Griechen erzählt keiner, was er zu tun hat. Er muss es schon selber wollen."

Zornig ist auch sie. Auf eine Regierung, die den Menschen Opfer abverlangt, ohne ihnen Hoffnung zu geben. "Keiner weiß, was morgen passiert." Auf ein Land, das seine Besten ins Ausland treibt. "Es gibt so viele Talente hier, so viele Leute mit Ideen. Aber sie haben nicht die geringste Chance. Junge griechische Designer müssen in die USA oder nach London gehen, um Anerkennung zu finden. Wer hier studiert, der findet keinen Job, wenn er nicht zur richtigen Familie gehört, zur Clique." 40 Prozent aller unter 24-Jährigen sind arbeitslos. Fast jeder zweite sagt in Umfragen, er wolle ins Ausland. "Ich verstehe sie", sagt Vicky Koulianou. "Ich wünschte, die Dinge würden sich ändern. Ich hoffe in jedem Jahr aufs Neue. Und jedes Jahr wird es schlimmer." Es macht sie traurig, über diese Dinge zu sprechen, sagt sie. "Ich kann ja doch nichts ändern."

Fast. Sie plant jetzt zwei neue Läden. Fürs nächste Jahr. In den Zeitungen steht, Griechenland sei dann längst pleite.

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