Süddeutsche Zeitung

Very British:Gentlemen in Nöten

Deutsche in England kleiden sich gerne englischer als die Engländer selbst. Carl von Siemens erzählt, warum das nicht gutgeht - und was sonst aber geht.

Heute scheint mir, dass sich der Beginn einer der peinlichsten Phasen meines an peinlichen Phasen nicht unbedingt armen Lebens auf die Phase datieren lässt, in der ich versuchte, englischer als die Engländer zu sein. Dieser Versuch begründete sich in dem für Immigranten typischen Wunsch, in der neuen Heimat zu reüssieren: durch Eroberung eines besonders wohl geratenen Exemplars ihrer Töchter.

Der Pfeil des Eros flog schließlich ein wenig weiter, nämlich nach Schottland. Er landete mit der Antwort auf die Frage, wie es gelingen könnte, sich gleichzeitig zur einen Hälfte richtig und zur anderen Hälfte falsch zu kleiden. Und das während einer dreitägigen "House Party" in Perthshire mit all ihren erotischen Verirrungen und Scharaden, nur wenige Meilen entfernt vom Bett des Flusses Tay.

Die Phase umfasste den Großteil meiner Studentenzeit in Oxford. Sie fiel in einen Ort, an dem auf vier männliche Studenten gefühlt gerade mal eine einzige Frau kam. Hatte man eines dieser seltenen Wesen auf einem der mehr oder minder obskuren Tanz- und Balzrituale gefunden und dazu noch für schön befunden, so stellte sich in den meisten Fällen heraus, dass es sich dabei um eine sogenannte höhere Tochter handelte.

Doch sobald mein deutscher Akzent durch den Raum schepperte, war es, als käme die Musik zu einem abrupten Halt. Mir schien, als würde hinter den Augen von Dornröschens Töchtern ein unsichtbarer Riegel einschnappen. Zu spüren war kaum mehr als eine unmerkliche Verschiebung der Tektonik des Gesichts, begleitet von einem enttäuschten "Aoh" und einem Blick, der mit wachsender Unruhe im Zimmer herumzuflattern begann; unweigerlich würde sich das Objekt der Begierde dann von mir als Verkörperung kontinentaleuropäischer Invasionsphobien lösen, um den Rest des Abends im Tiefschlaf mit irgend einem Rupert oder Henry zu verbringen.

In den kommenden Wochen begann ich daher, einen bestimmten Stil zu affektieren, der im Italienischen als "gentlemanismo" bezeichnet wird: Ich erwarb ein Tweedsakko, Norwegerpullis und gestreifte Hemden. Ich rasierte mich mit Geo F. Trumper's Rose Shaving Cream in a Bowl, die Spuren des allmorgentlichen Gemetzels verdeckte ein seidenes Foulard, an den Füßen trug ich Lederschuhe der Marke Church's, tagsüber braun, nach sechs Uhr abends prinzipiell schwarz. In anderen Worten: Ich wurde zum Snob.

Um das Ländliche zu imitieren, das in England nach wie vor als vornehm gilt, trug ich Gummistiefel und erwarb sogar, Schande über Schande, eine dunkelgrüne Wachstuchjacke der Marke "Barbour", die, Jahre später, in einen Berliner Keller entsorgt, zum Ausgangspunkt eines glücklicherweise glimpflich verlaufenden Schwelbrands werden sollte. Sie war damals so neu, dass mich ein schottischer Kommilitone mit entgeisterten Augen musterte und mir in einer Geste spontanen Mitleids anbot, über dieses Kleidungsstück mit seinem Traktor zu fahren, und zwar wiederholt, um ihm den Anschein des Authentischen zu verleihen.

Auf unmissverständliche Art hatte er mich auf den Kardinalfehler sämtlicher Ausländer hingewiesen, die versuchen, englischer als die Engländer zu sein: Sie schießen weit über das selbstgesteckte Ziel hinaus. Denn obgleich die einzelnen Versatzstücke meiner Kostümierung durchaus ihre Richtigkeit besessen haben mochten, wirkten sie in ihrer Gesamtheit absurd - ich hatte mich zwar korrekt gekleidet, doch auf die falsche Weise.

In vieler Hinsicht ähnelte ich dadurch einem besonders albernen Landsmann von mir, der sich für einen der Studentenbälle nicht nur in seinen Smoking warf, sondern dazu noch sein Haar mit einer Art Brillantine an den Kopf legte und den Hals mit einem weißen Seidenschal bedeckte, sodass sein Erscheinungsbild weniger dem eines englischen Lords glich, sondern dem eines spanischen Kellners.

Das Dilemma schien nicht auflösbar zu sein: Kleidete ich mich "à l'anglaise", so gab ich mich sofort als Ausländer zu erkennen. Kleidete ich mich jedoch nicht "à l'anglaise", so würde man in mir den Fremden doppelt ausmachen. Es war eine jener ausweglosen Situationen, denen der Schriftsteller Joseph Heller einen ganzen Roman gewidmet hat - ein klassischer "Catch 22".

Vielleicht nur, um seine Drohung mit dem Traktor wahrzumachen, lud mich ein schottischer Freund bald darauf ins Haus seiner Eltern ein; der Geburtstag einer Schwester sollte gefeiert werden, die, angeblich erfolgreich, in der Londoner Fashion-Industrie arbeitete. Ich wusste von keinem der Gäste und hatte daher auch nicht die leiseste Vorstellung von dem, was mich erwarten sollte, als ich an einem schönen Sommerabend in Paddington mein Abteil bestieg und mit dem Highland Express über Nacht hoch in den Norden der Britischen Inseln nach Edinburgh rollte.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, welche abstrusen Gestalten der Autor nun trifft ...

Von einem Dudelsackspieler begrüßt, das Gesicht von Whisky gerötet und gekleidet in Tweed und karierte Kilts, entpuppte sich die Reisegruppe aus dem Waggon nebenan als ein Verein wandernder Ornithologen aus Oestrich-Winkel, die gekommen waren, um Flora und Fauna zu studieren. So versuchte ich mein Glück mit der Manegerie dahinter, die mit einer gewissen Verzögerung ins Freie stolperte. Sie wurde angeführt von einem krötengesichtigen Discjockey aus dem Libanon, der aufgrund eines reinen Zufalls nur zwei Nächte früher in einem Nachtclub im Londoner Westend aufgelesen worden war.

Dahinter erkannte ich den dünnen Hooper, dem der Faden eines Teebeutels aus dem Mund hing, verfolgt von zwei schwulen Modedesignern in Röhrenjeans und einer persischen Visagistin auf Stöckelschuhen, deren Handtasche ungefähr den Wert des Bruttosozialprodukts von Burkina Faso hatte. Der Libanese war im Taxi auf dem Vordersitz bald in einen lallenden Schlaf gefallen, auf den Lippen eine Melodie von Amr Diab.

Der Duft von Jemima erfüllte den Wagen, einer zierlichen und intelligenten Frau, die für ein internationales Modemagazin schrieb. Die Augen von einer Schmetterlingssonnenbrille bedeckt, presste sie ihren Schenkel gegen mein Bein und richtete einige belanglose Worte an mich, doch bevor ich den Mund öffnen konnte, bogen wir um eine struppige Hecke und waren da. Die meisten Gäste waren "single" und verbrachten den Nachmittag mit Badminton im Park.

Dann hob der Abend an : "So h-how are you?" Die persische Visagistin trug ein eng anliegendes schwarzes Kleid und näherte sich mir, zwei Gin Tonics in der Hand. Im Hintergrund rochierten Jemima und Hooper vor der Gestalt des Hausherren, der sich auf zwei Krücken aus seinem Fauteuil erhob. Über siebzig Jahre alt, hatte er noch vor einer Woche seine enteignete Fabrik in Simbabwe besucht und dabei eine schwere Blessur davongetragen, als ihm einer der einheimischen Aufseher mit Bedacht auf den Fuß gestiegen war; von der Einfahrt her hörte ich das Röhren ankommender und startender Aston Martins.

Die Ahnengalerie an den Wänden war von einem "Resident Artist" ergänzt worden, einem blassen, schmalbrüstigen Osteuropäer, der einen Sommer lang gegen Kost und Logis die Porträts der noch lebenden Generation malen sollte. "I am so embarassed, I forgot my dinner jacket", stammelte ich, da mir in der Tat entfallen war, dass in Häusern dieser Art noch immer die Abendessen zu besonderen Anlässen im Smoking abgehalten werden. "Don't worry", sagte Jemima warm, die mir nun in einem zweiten Anlauf die Fingerspitzen auf den Arm legte, "you look lovely".

Tatsächlich befand ich mich in bester Gesellschaft; nur die Hälfte der anwesenden Männer hatte der Aufforderung zur "Black Tie" entsprochen. Die Frauen nutzen ohnehin die ihnen zustehenden Freiräume; bei den jüngeren Männern überwog das Bedürfnis, die seit Äonen bestehenden Regeln auf nicht minder stark kodifizierte Weise zu brechen. Die gesellschaftliche Position des Betreffenden befand sich negativ proportional zu der Formalität seiner Kleidung.

So trug der Erbe des Hauses, in dessen Garten sich der Krönungsstein der schottischen Könige befand, Birkenstocksandalen über dicken Strümpfen, die schmale Brust von einem kragenlosen Leibchen und den Kopf von einem afghanischen Käppi bedeckt, dabei zitierte er mit femininen Gesten Quentin Crisp und Wyndham Lewis. Ich sah Silberschmuck, brockatbestickte Westen und feingewebte Tücher aus den Basaren der ehemaligen Kolonien, die in dem Jahr zwischen Internat und Universität als zeitgemäße Form der Grand Tour bereist worden waren. Niemand sah irgendwie englisch aus, und schottisch erst recht nicht, jedenfalls nicht so wie die Ornithologen aus Oestrich-Winkel. Vielmehr hatten sich alle falsch gekleidet, doch, in einer Verschwörung zum kollektiven Tabubruch, scheinbar auf die richtige Weise.

In Netzstrumpfhosen auf allen vieren

Kaum begonnen, endete der Abend in allgemeiner Anarchie. Der gute Hooper verschluckte seinen Teebeutel und musste mit Hilfe des Inhalts einer halben Flasche Wodka reanimiert werden; der osteuropäische Maler und die persische Visagistin verschwanden auf dem Klo, während Jemima in Netzstrumpfhosen auf allen vieren über den Flokatiteppich vor dem Kamin kroch, der zur Geburt der vier Cockerspaniels der Hausherrin gekauft und seitdem nicht mehr gewaschen worden war.

Schließlich fasste ich mir ein Herz, packte sie am Gelenk des linken Arms und und zerrte sie in einem Stück mit dumpfem Getöse über die Treppenstufen hinauf in den ersten Stock, wo sich, in einem Taubenschlag von Zimmern, irgendwo ihr Bett befinden musste. In dem Korridor wankte sie einige Schritte zurück, prallte gegen zwei Neuzugänge in der Ahnengalerie, die wie Porträts der Addams-Familie im Zwielicht auf uns herabfluoreszierten, wies mit dem Finger auf mich und schrie aus vollem Hals: "I think you are gay!" Für einen kurzen Augenblick sahen wir uns an. Dann ließ sie sich nach vorn direkt in meine Arme fallen und flüsterte mir ins Ohr: "I actually do feel quite horny now."

Wie an ein Amulett, griff ich ans Revers meines Anzugs. Er stammte von einem englischen Schneider, der es sich auf die Fahnen schreibt, die Traditon der Savile Row mit der Attitüde schwarzer Musik und des Cool Jazz zu verbinden. Wie bei jedem Objekt, das seinen Laden verlässt, war das Etikett auf der Innenseite der Brusttasche mit dem Wunsch des Produzenten bedruckt, sein Kunde würde in dem Kleidungsstück flachgelegt werden: "Spencer Hart sincerely hopes you get laid in this product."

That evening, I did. Doch wie ich an dem kommenden Morgen herausfinden sollte, als sich die Festgemeinschaft in einem eigens für diese Zwecke vor dem Haus errichteten Indianerzelt versammelte, um die erotischen Eskapaden der vergangenen Nacht zu diskutieren, war alles von langer Hand geplant gewesen; die Wochenenden hatten im ganzen Land den Ruf erworben, die Konventionen der Gesellschaft auf allgemein akzeptierte Weise zu sprengen.

Vor diesem Hintergrund war Sex mit einem Deutschen die ultimative Form der Exzentrizität, ähnlich wie Sex mit dem Schaffner oder mit einem Zwerg. Doch an dem Morgen, an dem sich der warme Körper einer englischen Rose endlich unter mir öffnete, hatte ich tatsächlich geglaubt, ich würde diesen Umstand nur dem Vergesessen meines Smokings verdanken, der Tatsache, dass ich mich dieses einzige Mal nicht auf die falsche Weise richtig, sondern auf die richtige Weise falsch gekleidet hätte; ich hielt es für meinen ultimativen Sieg über das Establishment.

Carl von Siemens ist Schriftsteller, Journalist und Mitinhaber der Hamburger Multimedia-Agentur Generation Digitale.

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SZ vom 20./21.10.2007
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