Streng genommen besteht das Leben ja aus ziemlich viel Gerede. Morgens fragt die große Schwester: „Das willst du heute anziehen? Ernsthaft?“; im Bus erzählt dann Hannah ausschweifend vom Hockey gestern Abend und Leo von seiner neuen „Minecraft“-Burg. In der Schule fragen die Lehrer, was sieben mal neun ist, wie die Hauptstadt von Hessen heißt und wer Theo den Stuhl unter dem Hintern weggezogen hat. Mittags behauptet die Schulköchin: „Das ist Lasagne“, obwohl das auf dem Teller eindeutig Pampe mit Sauce ist. Am Nachmittag fragt Papa: „Wie war dein Tag?“ („Gut“), dann wird gestritten, welche Serienfolge auf welchem Tablet geguckt werden darf, und schon heißt es „Ab ins Bett“ und: „Liest du noch vor?“
Kurzum: Ständig sagt irgendjemand irgendwas, und oft ist es einfach nur normales Alltagszeug, nicht so wichtig eben. Manchmal aber geht es um mehr. Manchmal will man sich ganz sicher sein und verlangt: „Versprich es mir!“
So ein Versprechen ist eine große Sache. Es bezieht sich auf die Zukunft, darauf, dass jemand etwas tun wird. Und: Es ist eine einseitige Zusage, kein gegenseitiges Geschäft. Wer etwas verspricht, stellt etwas in Aussicht, ohne im Gegenzug zwingend etwas zu bekommen.
Versprechen kann man materielle Dinge, etwa: „Wenn du zehn wirst, bekommst du ein Smartphone.“ Wichtiger aber fühlen sich oft die anderen Versprechen an: „Ich verspreche dir, dich zu meinem Geburtstag einzuladen.“ „Wir fahren im Sommer ans Meer!“ Oder: „Ich verspreche dir, mich nächstes Schuljahr wieder neben dich zu setzen.“ Ein Versprechen ist immer etwas Besonderes. „Versprochen ist versprochen und wird auch nicht gebrochen.“
Wenn man größer wird, werden oft auch die Versprechen größer. Heiraten beispielsweise ist ein Mega-Versprechen, weil dahinter die Idee steht, für den Rest des Lebens zusammenzubleiben – was ja ziemlich lang ist. Leider sind Erwachsene oft nicht besonders talentiert darin, Versprechen einzuhalten. Vielleicht liegt es daran, dass ihre Versprechen zu groß für sie geworden sind? Vielleicht aber versprechen sie auch einfach leichtfertiger als Kinder das Blaue vom Himmel, weil sie sich schon daran gewöhnt haben, dass Versprechen nicht immer eingelöst werden.
Derzeit schwirren besonders viele Versprechen durch die Luft, denn es ist Wahlkampf. Am 23. Februar findet die nächste Bundestagswahl statt – und weil alle Parteien die Wähler von sich überzeugen wollen, werden große Dinge versprochen. Die einen versprechen niedrigere Steuern, die anderen sichere Renten, die nächsten mehr Klimaschutz und die übernächsten, dass es für Geflüchtete schwieriger werden soll, nach Deutschland zu kommen. Es ist ein bisschen wie beim Schaufensterbummel: Man kann sich umschauen und aussuchen, was einem am besten gefällt.
Die Erfahrung allerdings lehrt: Nach der Wahl werden nie alle Versprechen eingelöst. Das liegt zum einen daran, dass sich in Deutschland in aller Regel Parteien zusammentun müssen, um regieren zu können. Sie müssen also Kompromisse schließen. Zum anderen hat der Staat oft nicht genug Geld, um alle Versprechen aus dem Wahlkampf einzulösen.
Wenn man streng sein will, kann man den Wahlkampf deshalb als eine reichlich unehrliche Veranstaltung kritisieren. Andererseits: Anhand der vollmundigen Versprechen können die Wähler erkennen, wofür eine Partei steht. Was sie tun würde, wenn sie ganz allein und ohne aufs Geld zu achten bestimmen könnte. Versprechen im Wahlkampf sind also eine sehr spezielle Art Werbung. Aber auch in der Politik gilt: Gebrochene Versprechen verursachen Enttäuschungen. Da ist es dann doch wieder so wie zwischen Schulfreunden: Wer zu oft enttäuscht wurde, der wendet sich früher oder später anderen zu. In der Hoffnung, dass die ihre Versprechen halten.