Verhütungs-Mittel:Die Plärrer-Probe

Welchen Stress ein Baby bedeutet, sollen Jugendliche mit Hilfe von schreienden Säuglingsattrappen lernen. Ein Ziel ist auch, Teenagerschwangerschaften zu verhüten. Doch es gibt Kritik an der Methode.

Elke Brüser

"Baby, denk nochmal drüber nach." Und zwar übers Babykriegen, meint die US-Firma Realityworks, wenn sie ihr gleichnamiges Programm mit diesem Satz bewirbt.

Verhütungs-Mittel: Kann man mit einer Baby-Puppe üben, Mutter zu sein?

Kann man mit einer Baby-Puppe üben, Mutter zu sein?

(Foto: Foto: ddp)

Wenn Teenager schwanger werden, ist das in den Industrienationen meist kein Grund zur Freude, und so will Realityworks Kinder mit einem überraschenden Programm vorm Kinderkriegen bewahren: Die Spezialpuppe RealCare Baby soll träumerischen Mädchen die harte Realität des Mutterseins nahebringen.

Über 200 Anbieter an Schulen und in der Jugendfreizeit arbeiten mittlerweile auch in Deutschland mit den programmierbaren Babyattrappen. Dabei werden die Puppen vornehmlich gegen Teenagerschwangerschaften eingesetzt.

Manche Kursanbieter nutzen sie aber auch, um der Misshandlung und Vernachlässigung von Kindern vorzubeugen. Aber taugt die je nach Programmwahl unterschiedlich stark und häufig plärrende Puppe - die nachts am laufenden Band schreien kann und erst Ruhe gibt, wenn sie richtig versorgt worden ist - überhaupt dazu, dass Mädchen noch einmal nachdenken?

Das wollte die Erziehungswissenschaftlerin Anke Spies von der Universität Oldenburg wissen, die vor kurzem die Ergebnisse ihrer Untersuchung zur Wirkung der Babypuppen präsentiert hat. Ihr Fazit: So wie die Puppen eingesetzt werden, nützen sie wenig. Im Gegenteil, sie haben bisweilen sogar erschreckende Nebenwirkungen.

Bisher ist keinesfalls erwiesen, dass die Puppe frühe Schwangerschaften oder Kindesmisshandlungen zu verhindern hilft, wenn sie, wie vorgesehen, Jugendlichen für zwei oder drei Tage zur ständigen Betreuung überlassen wird. Aus der Latte von Publikationen, mit denen auch der Hersteller für seinen Babysimulator wirbt, geht nur hervor, dass sich bei einem Teil der Kursteilnehmer die Einstellung zur Elternschaft verändert. Wenn das Begleitprogramm gut ist, geben manche Mädchen zudem an, weniger früh ein Kind zu wollen.

"Es gibt aber keine Evidenz, die die Hypothese stützt, dass der Gebrauch elektronischer Babysimulatoren die Schwangerschaften von unter 18-Jährigen tatsächlich senkt", sagt Nicole Chavaundra, eine britische Expertin für Teenagerschwangerschaften (Journal of Family Planning and Reproductive Health Care, Bd.33, S.35, 2007). Dafür kann das Ergebnis des Puppentrainings "sogar ein stärkerer Wunsch sein, schwanger zu werden".

Auch wenn sich der Hersteller noch so viel Mühe gibt: Nur eines von drei Mädchen ist der Ansicht, ein richtiges Baby zu versorgen, sei so ähnlich, wie sich um diese Puppen zu kümmern (Pediatrics, Bd.105, S.30, 2000). Daran ändert auch nichts, dass die Babysimulatoren männlich ebenso wie weiblich und in den verschiedensten Hautfarben zu bekommen sind.

Schließlich duftet die Attrappe nicht, sie schmiegt sich nicht an und reagiert nicht differenziert. Da ist es kein Wunder, dass "die Mädchen eher selten eine emotionale Bindung zu der Babypuppe eingehen", wie Anke Spies in Interviews und Gruppendiskussionen erfuhr.

Scheitern ist das Ziel

Im Rumpf der rund 1000 Euro teuren Puppe, die der Hersteller keinesfalls einfach als solche bezeichnet wissen will, verbergen sich Batterien oder ein Akku, dazu ein Chip, über den unterschiedliche Schreiprogramme aktiviert werden können.

Der Chip speichert auch, wie und wann die jeweiligen Betreuer mit Wickeln oder Fläschchengeben reagiert haben. Wer sich in einem Kurs für den Elternjob meldet (unter sieben Interessierten ist ein Junge), wird durch ein Armband an das Kind "gekettet"; so ist er identifizierbar und kontrollierbar. Am Ende wird ausgedruckt und analysiert, wie "Mutter" oder "Vater" sich verhalten haben.

Die Plärrer-Probe

Doch diese Art der Leistungskontrolle kann zum Dilemma werden: Jugendliche, die sich für den Versorgertest entscheiden, sind in aller Regel ehrlich bemüht, ihr Bestes zu geben. Sie wollen sich als gute Eltern beweisen und bei der Auswertung der Computerausdrucke nicht schlecht dastehen.

Wer das Ziel "gute Elternschaft" erreicht, erfüllt aber gerade nicht die Erwartungen jener Kursleiter, die die Babyattrappen zur Verhinderung von Teenagerschwangerschaften einsetzen. Scheitern und Einsicht in die Überforderung, das ist das Ziel. Es geht um Abschreckung.

Selbstwertgefühl der Jugendlichen wird untergraben

Aber auch wer das Gruppenziel erreicht, wird damit meist nicht glücklich. Denn die Mädchen und Jungen, die als Puppen-Versorger versagen, quälen Selbstzweifel. Sie stellen ihre Kompetenzen als zukünftige Eltern, als die sich viele von ihnen bereits sehen, in Frage.

Dieses Dilemma solle endlich wahrgenommen und diskutiert werden, wünscht sich Anke Spies. "Babysimulatoren sind kein unkompliziertes Medium der Verhütungsdidaktik", formuliert sie diplomatisch. Genaugenommen ist das Konzept der Abschreckung selbst schrecklich, weil das Selbstwertgefühl der Jugendlichen untergraben wird.

Das lässt sich durch die Auswahl eines besonders nervigen Schreiprogramms sogar forcieren. "Wenn Kursleiter zu diesem Trick greifen, hilft das der Hauptzielgruppe, nämlich Mädchen in niedrigqualifizierenden Bildungsgängen, bei ihrer Lebensplanung nicht", sagt Spies. Deren Selbstwertgefühl sei bekanntermaßen sowieso gering.

Ob das Puppentraining angesichts dieser Gefahren überhaupt nötig ist, ist ohnehin fraglich. Laut Spies ist es nämlich eine Mär, dass Teenagerschwangerschaften in Deutschland zunehmen. Der Anteil der unter 18-jährigen Mütter liege seit zehn Jahren bei einem Prozent, betonte die Erziehungswissenschaftlerin während einer Tagung in Oldenburg.

Wer anderes behauptet, habe nicht berücksichtigt, dass erst seit 1996 eine 17-jährige Mutter noch als 17-jährig gilt, auch wenn sie im selben Jahr noch 18 wird.

Schwangerschaftsabbrüche haben bei den unter 18-Jährigen ebenfalls nicht zugenommen. Wer berücksichtigt, dass sich auch hier nur das Erfassungssystem geändert hat, findet seit dem Jahr 2001 sogar eine kontinuierliche Abnahme.

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