Süddeutsche Zeitung

Christoph Kolumbus:Held oder Schurke?

  • Am Montag wird in den USA wie jedes Jahr die Entdeckung von Amerika durch Christoph Kolumbus gefeiert.
  • Allerdings wächst die Zahl derer, die die Rolle des Entdeckers kritisch sehen; vor allem, weil er die Unterdrückung der Ureinwohner befohlen hat.
  • Die Bundesstaaten South Dakota, Alaska, Hawaii, Oregon und Vermont haben die Bezeichnung Columbus Day bereits abgeschafft und stattdessen einen "Tag der Urbevölkerung" eingeführt.

Von Claus Hulverscheidt

Tja, was war er nun? Mutiger Entdecker oder grausamer Besatzer? Selbst Carl muss da einen Moment nachdenken, und Carl kennt sich wahrlich aus: Seit er zur Schule geht, interessiert sich der heute zwölfjährige Blondschopf aus New York für alles, was mit US-Geschichte zu tun hat. Er hat Gettysburg und andere Stätten großer Bürgerkriegsschlachten besucht, und manchmal sinniert er darüber, ob nun Ulysses Grant oder Robert Lee der fähigere Oberbefehlshaber war. Aber Christoph Kolumbus? Held oder Schurke? Das ist auch für einen Experten schwer zu sagen, der schon in der Grundschule erstmals mit der Frage konfrontiert wurde.

Im ganzen Land kocht die Debatte derzeit wieder hoch, denn am kommenden Montag ist Columbus Day. Die Kinder haben schulfrei, manche Geschäfte bleiben geschlossen, überall in den Vereinigten Staaten gibt es Volksfeste und Paraden. Allein in New York, wo der Umzug wie jedes Jahr über die berühmte Fifth Avenue führen wird, werden bis zu eine Million Zuschauer erwartet. Dabei soll der farbenfrohe Aufmarsch nicht nur dem Seefahrer und Namensgeber des nationalen Feiertags huldigen, der nach allgemeiner Lesart 1492 Amerika entdeckte. Vielmehr wollen die Organisatoren ganz allgemein daran erinnern, welchen Beitrag Menschen mit italienischen Wurzeln zum Aufbau der USA leisteten - und welche Entbehrungen sie dabei oft hinnehmen mussten. Kolumbus, man erinnere sich, segelte zwar im Auftrag der spanischen Krone, stammte aber wohl aus Genua.

Manche sagen, Kolumbus sei der erste "echte" Amerikaner gewesen

Gerade für viele italienischstämmige US-Bürger ist der Seefahrer deshalb bis heute nicht nur ein furchtloser Pionier, sondern auch der erste "echte" Amerikaner. Zugleich jedoch wächst die Zahl derer, die das ganz anders sehen: Sie erinnern daran, dass die Spanier auf Kolumbus' Befehl hin umgehend damit begannen, die Urbevölkerung zu unterdrücken und zu versklaven. Sie mordeten, vergewaltigten und verstümmelten und machten dabei nicht einmal vor Kindern halt. Ähnlich schlimm waren die Krankheiten, welche die Europäer einschleppten und die vor allem in der Karibik Hunderttausende Ureinwohner das Leben kosteten.

Die Bundesstaaten South Dakota, Alaska, Hawaii, Oregon und Vermont haben die Bezeichnung Columbus Day bereits abgeschafft und stattdessen einen "Tag der Urbevölkerung" eingeführt. Dutzende Städte, darunter Los Angeles, Seattle, Denver und Nashville, handhaben es ähnlich. Sie alle verweisen nicht nur auf das Leid, das mit Kolumbus über die Menschen kam, sondern auch darauf, dass er ja mitnichten Amerika "entdeckte": Er habe nur die Kolonialisierung des Kontinents eingeleitet, die eigentlichen Entdecker seien jene Jäger und Sammler gewesen, die vor mehr als 10 000 Jahren von Sibirien her einwanderten und die der Genuese später im anhaltenden Zustand der Orientierungslosigkeit "Indianer" taufte.

"Ist schon komisch, dass wir Columbus Day feiern", sagt Carl, der geschichtsinteressierte Schüler aus Brooklyn, der aber auch dazu rät, dass der Staat keine offizielle Lesart der Historie vorgibt: "Jeder Mensch sollte selbst entscheiden, was Kolumbus ihm bedeutet." Manch angehender Teenager macht es sich da einfacher, etwa Carls Freund Max: "Hauptsache schulfrei!"

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SZ vom 05.10.2018/eca
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