Veränderungen der Modebranche:Weiß ist das neue Schwarz

Die 60er Jahre waren die Zeit der farbigen Supermodels. Heute sind sie in der Modebranche weniger gefragt.

Jonathan Fischer

"Wir sind wieder unsichtbar geworden", sagt Norma Jean Darden und nippt an der hausgemachten Limonade. Ein mädchenhaftes Lächeln huscht über die weichen Gesichtszüge des einstigen Supermodels.

Veränderungen der Modebranche

Naomi Campbell marschiert vor Eva Herzigova. Noch.

(Foto: Foto: rtr)

"Wir", das bezieht sich auf die schwarze Hautfarbe. Als Chefin des "Miss Mamie's", eines Restaurants am Morningside Park in Harlem, scheint die hochgewachsene Frau in dem Blümchenkleid Lichtjahre von ihrem ehemaligen Lebensmittelpunkt, der Welt der Laufstege, entfernt zu sein. Es duftet nach Brathühnchen, Maisbrot und süßem Yams.

An den roten Kunststofftischen klappern Krawattenträger und Frauen im Businessdress mit ihrem Besteck - Bedienstete der nahen Columbia University, die das Landhaus-Ambiente des Ladens schätzen. Oder die Gelegenheit, Stammgästen wie Bill Clinton über den Weg zu laufen. Eigentlich, so meint man, kann die Inhaberin, die ihre grauen, geglätteten Haare zu einem Dutt zusammengesteckt hat, zufrieden sein.

Das afroamerikanische Menü ihres Ladens steht hoch im Kurs. Und die Magazine im Zeitungsständer zieren schwarze Gesichter: Barack Obama, der erste Afroamerikaner mit realen Chancen auf das Präsidentenamt der Vereinigten Staaten, oder Crystle Stewart, ein dunkelhäutiges Model, das gerade zur Miss USA gewählt wurde.

Und doch kommen der gepflegten 61-Jährigen harsche Worte über die Lippen: "Die Modewelt hat sich wieder dorthin zurückentwickelt, wo wir schon einmal Ende der sechziger Jahre waren. Überall nur weiß besetzte Laufstege: Da frage ich mich natürlich, was von unserem Kampf übriggeblieben ist..."

Ihr Kampf: Das war für Norma Jean Darden nicht nur die übliche Casting-Konkurrenz, das Ringen mit den von einer Modelkarriere ganz und gar nicht begeisterten Eltern, der Terror der Idealmaße und normierten Brustumfänge. Nein, es war vor allem das Gefühl, Neuland zu erobern. Als eines der ersten schwarzen Models in die blütenweiße Welt der großen Modezeitschriften einzudringen. Und sich dieses Recht notfalls auch mit Hilfe von Straßen-Aktionen zu erstreiten - schließlich saßen die Widerstände tief, ging es nicht nur um Ästhetik, sondern vor allem um Politik.

"Du musst Model werden!"

Norma Jean Darden sah sich im polyglotten Modegeschäft von New York mit Vorurteilen konfrontiert, die schon ihre Großmutter, eine ehemalige Sklavin aus North Carolina, kannte.

Letztlich aber, so erzählt Darden, hätten sie gerade die Widerstände in ihrer Berufswahl bestärkt. Dank ihres Vaters, eines Arztes, der regelmäßig Modeschauen als Wohltätigkeitsveranstaltung für die Bürgerrechtsvereinigung NAACP ausrichtete, war sie bereits als junges Mädchen in Kontakt mit der Modewelt gekommen: "Mein Dad stellte mich den Models vor. Und weil ich ungewöhnlich schlank und hochgewachsen war, redeten sie stets auf mich ein: 'Schau dir deine Figur an! Du musst Model werden!'"

Ein Wunsch, dem sie damals nicht nachgeben durfte. Schon wegen ihres Vaters , der seine Tochter lieber auf der Universität studieren sah, als "sich ihr Geld mit Kleiderausziehen zu verdienen". Also drückte Norma Jean die Schulbank, nahm nebenbei Schauspielunterricht, und verdiente sich mit ein paar kleineren Rollen auf dem Broadway und als Modeverkäuferin bei Bloomingdale's ihren Lebensunterhalt.

Einmal im Jahr veranstaltete ihr College eine Modenschau. Dabei repräsentierte jedes Model ein bekanntes Modemagazin. "Ich folgte einer Einladung von Mademoiselle, lief dort mit roten hochhackigen Schuhen und meinem besten Abendkleid ein - und wurde von der Empfangssekretärin angeraunzt: 'Dienstboten bitte durch den Hintereingang.'" Norma Jean machte wortlos kehrt. Zu verletzt, um etwas entgegnen zu können. Und gleichzeitig wild entschlossen, die Schmach zu rächen.

Das war 1966. Zwei Jahre später wurde Norma Jean Darden von der Agentur Wilhelmina in New York unter Vertrag genommen: "Wilhelmina, ein deutsches Model, war damals mein großes Vorbild. Was sie trug, wollte ich auch tragen. Weil sie rauchte, fing ich auch das Rauchen an."

Darden assimilierte sich an ihre weiße Umwelt. Und hoffte, so die gleichen Chancen wie ihre hellhäutigen Kolleginnen zu haben. Immerhin seien damals überall Slogans wie "Black Power" oder "Black Is Beautiful" zu lesen gewesen. "Vorher gab es für uns nur die Agentur von Ophelia DeVore, die uns an Jet und Ebony, Magazine für schwarze Leser, vermittelte. Oder ab und zu an eine Bier- und Zigarettenreklame."

Auf der nächsten Seite: Wieso in der Modewelt die Uhren langsamer ticken...

Weiß ist das neue Schwarz

Sobald die großen weißen Agenturen aber begriffen, was ihnen entging, hatten Ophelia DeVore & Co. ausgedient. Den schwarzen Konkurrenten wurden der Reihe nach die besten Mädchen ausgespannt. Und Ophelia DeVore musste, um zu überleben, schließlich auf eine "Charm School" ausweichen, wo sie unterrichtete, wie man sich anzog und bei Tisch benahm.

1969 hatte das Life-Magazin eine ganze Ausgabe dem Motto "Black Models Are In" gewidmet. Mit Naomi Sims auf dem Cover - und einer Fotostrecke mit Norma Jean Darden im Heft. "Das bedeutete den Durchbruch. Vorher gab es gemäß der One-Drop-Regel - die besagt, dass ein Tropfen Blut ausreicht, um Afroamerikaner zu sein - zwar schon schwarze Models. Die aber waren so hellhäutig, dass sie als Weiße durchgingen. Und nun ein Life-Heft nur mit Schwarzen!"

Damals, so dachte Norma Jean, hätte sie die rassistischen Mechanismen der Modeindustrie für alle Zeiten ausgehebelt: Im Jahr davor hatte sie Streikposten organisiert. "Wir stellten uns mit unseren Plakaten vor die Büros von Harper's Bazaar auf der 5th Avenue, weil sie sich weigerten, schwarze Models zu engagieren. Aber nur fünf meiner Kolleginnen hatten den Mut, mitzumachen. Jeder wusste: Hätte die Mahnwache Erfolg, dann wären wir die letzten Kandidaten, die dieses Magazin engagieren würde."

Schließlich kamen einige der verantwortlichen Redakteure, um mit den Models zu reden: Sie selbst hätten keine Vorurteile, nur ihre Kunden in den Südstaaten. Und die dürfe man doch nicht vergraulen ... Es war die Sorte Antwort, die Darden noch heute ein verächtliches Schnauben entlockt. "Ihre Kunden im Süden. Überall hatten sie diese Ausrede parat."

Alibi-Schwarze in der Modewelt

Damals hatten Tausende todesmutige Marschierer im Süden bereits die Aufhebung der Segregation in Bussen, Schulen und Restaurants erwirkt, Malcolm X und Martin Luther King Jr. waren als Wortführer der schwarzen Emanzipation ermordet worden, und die Präsidenten Kennedy und nach ihm Johnson hatten sich öffentlich hinter die Bürgerrechtsbewegung gestellt. James Brown sang "Say It Loud I'm Black And I'm Proud", der Afro wurde Mode, und schwarze Leichtathleten zeigten bei den Olympischen Spielen in Mexiko den "Black Power"-Gruß.

Nur in der Modewelt tickten die Uhren langsamer: "Wegen der Rassisten in Mississippi oder Alabama bekamen wir immer noch keinen Job." Selbst im eigenen Lager fanden sie kaum Unterstützung: "Typen wie die Black Panther nahmen uns nicht ernst: Modeling? Wie kann man mit so etwas Frivolem eine Revolution gewinnen? Wir standen auf ihrer Prioritätenliste ganz unten."

Dennoch, sagt Darden, hätte sie sich damals als Teil einer großen Bewegung verstanden. Schwarze Mädchen sollten sehen, dass auch sie Models werden konnten.

Bevor Norma Jean Darden selbst Anfang der siebziger Jahre die Seiten von Harper's Bazaar, Vogue und Mademoiselle beherrschte, habe die afroamerikanische Präsenz in der Modewelt aus einer Handvoll durchsetzungsstarker Alibi-Schwarzer bestanden, wie etwa Dardens Mentorin Ann Lowe: Sie hatte sich in den vierziger Jahren mit einem Sitzstreik die Zulassung zur Designschule in New York erkämpft, musste allerdings im Gang sitzen und den Unterricht durch die geöffnete Tür verfolgen. 1953 sollte sie das Brautkleid für Jacqueline Kennedy entwerfen und später als Chefdesignerin für die Hochzeitsmode von Saks zur Mode-Ikone heranwachsen.

Oder auch Iman: Das somalischstämmige Supermodel wurde bei ihrer Ankunft in New York 1975 gegen ihre afroamerikanische Kollegin Beverly Johnson ausgespielt: "Ich merkte, dass die Magazine nur ein schwarzes Mädchen auf einmal verkrafteten - und deshalb eine Konkurrenz zwischen uns inszenierten."

Letztlich verließ sich Iman nicht auf die Schlagzeilen, die sie als "Traumfrau" von Yves Saint Laurent und spätere Gattin von David Bowie machte, sondern weitete ihr Berufsfeld aus. So schauspielerte sie unter anderem bei "Star Trek VI" und lancierte 1994 ihre eigene Kosmetiklinie speziell für schwarze Frauen.

Nicht lange danach aber, sagt Norma Jean Darden, sei die Illusion einer dauerhaften Emanzipation geplatzt. Schwarze Models entpuppten sich als bloße Modewelle: In der nächsten Saison seien sie von Asiatinnen abgelöst worden. Und diese wiederum von indianischen Mädchen.

"Wir wurden immer noch als exotische Außenseiter betrachtet. Wenn wir bei den Magazinen nachfragten, warum sie uns nicht mehr haben wollten, kamen alle möglichen Rassismen zum Vorschein: Unsere krausen Haare wären zu kompliziert, unsere Hintern und Brüste zu groß für die Couture. Wir brachten dann jedes Mal ein schwarzes Model mit schmalem Hintern und superflachen Brüsten - nur um sie zu widerlegen."

Der In-Look: wandelnde Gespenster

Die letzte Saison für schwarze Models liege nun schon über ein Jahrzehnt zurück: 1997 hat Elle Modegeschichte geschrieben, als sie das tiefschwarze somalische Model Alek Wek auf ihr Cover nahm. Im selben Jahr lief Naomi Campbell für Prada über den Laufsteg. Seitdem könne man die schwarzen Gesichter an einer Hand abzählen: Jourdan Dunn, Liya Kebede, Tyra Banks, Chanel Iman. Forbes' 2007er Liste der 15bestverdienenden Models enthielt nur eine Schwarze: Liya Kebede.

"Der In-Look", erklärt Holly Alford, Modehistorikerin an der Virginia Commonwealth University, "ist alles andere als dunkelhäutig. Viel mehr propagieren die Magazin-Cover gerade einen weißen europäischen Mädchenlook." Guy Trebay hat es in der New York Times noch drastischer auf den Punkt gebracht: "2007 suggerierten die einflussreichsten Shows - von Prada über Jil Sander und Balenciaga bis Chloé und Chanel -, dass irgendjemand ein Schild ausgehängt hatte: Schwarze Bewerber unerwünscht".

Norma Jean Darden hat ihre eigene Erklärung für die Krise: Manche Designer glaubten nun mal an bleiche Persönlichkeiten - in jedem Sinne. "Du kannst kein schwarzes Model neben eines der gerade so modischen magersüchtigen osteuropäischen Mädchen auf den Laufsteg schicken - außer du willst Letztere als wandelnde Gespenster herausstreichen." Walking ghosts.

Die grauhaarige Frau schüttelt amüsiert den Kopf und reibt sich die Hüften. "Vielleicht ist da ja noch eine Hürde, die wir Models endlich bekämpfen müssten: die Schlankheitshürde". Lautes Gelächter. Norma Jean Darden schnippt nach der Bedienung. Und bestellt noch eine Runde Cornbread und süße Zitronenlimonade.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: