Süddeutsche Zeitung

Veggie Day:Die Grünen, das Fressen und die Moral

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Bei Fleisch hört der Spaß auf: Viele reagieren empört auf den Vorschlag der Grünen, einen vegetarischen Kantinentag einzuführen. Doch das kurze Leben der meisten Nutztiere ist qualvoll und würdelos. Ab und an auf Fleisch zu verzichten sollte angesichts der Zustände in der Massentierhaltung das Mindeste sein.

Ein Kommentar von Marlene Weiß

Die beiden Sätze im Wahlprogramm der Grünen sind recht friedfertig: "Öffentliche Kantinen sollen Vorreiterfunktionen übernehmen. Angebote von vegetarischen und veganen Gerichten und ein Veggie Day sollen zum Standard werden." Aber wenn es ums Fleisch geht, mitten in der Grillsaison, da hört bei vielen der Spaß auf. Vorgeschriebener Vegetarismus? So weit kommt's noch, ist die reflexhafte Reaktion. Und zwar mitunter sogar in Kreisen, in denen man besorgt um den Klimawandel ist, die Energiewende unterstützt und das Brathähnchen für 2,99 Euro im Jutebeutel nach Hause trägt.

Die Empörung zeigt, zu welchen erstaunlichen Verrenkungen das menschliche Moralempfinden fähig ist. Denn was ist schon der harmlose Appell der Grünen gegen das, was täglich in der Tierhaltung und auf Schlachthöfen geschieht? Vom ersten bis zum letzten Tag ist das kurze Leben der meisten Nutztiere qualvoll und würdelos.

Männliche Ferkel werden ohne Narkose kastriert, auf engem Raum großgezogen und schließlich über Stunden mit panischen Artgenossen zum Schlachthof gekarrt, wo sie oft nur halb betäubt im Brühkessel landen. Kälbern wird unter Schmerzen der Hornansatz verbrannt. Auch sie sterben oft halb bei Bewusstsein aufgehängt an der Schlachtstraße, nach einem Leben voller Sojafutter und Antibiotika.

Nicht einmal Vegetarier sind moralisch fein raus, so sie Milchprodukte und Eier essen: Auch Milchkühe bringen männliche Kälber zur Welt, und für ein Huhn wäre die Suppe allemal ein angemesseneres Ende als das Tierfutter, zu dem es nach kaum mehr als einem Lebensjahr oft verarbeitet wird.

Überhaupt, Legehennen: Da auf Eierlegen getrimmte Hühnerzüchtungen wenig Fleisch ansetzen, werden die männlichen Küken entsorgt, übrigens auch in der Bio-Branche - wer wirtschaftlich arbeiten muss, hat kaum eine andere Wahl. Hennen landen dicht gedrängt in riesigen Hallen oder in Käfigen, die für drei Tiere die Fläche dieser Zeitungsseite vorsehen, und das ist eine Verbesserung, die erst seit 2010 gilt.

Der Klimaschaden wird auf dem Etikett nicht deklariert

All das ist bekannt, fast jeder sorglose "Mir schmeckt's halt"-Konsument dürfte schon einmal eine einschlägige Dokumentation gesehen haben. Auch wer sich diese Bilder nie antun wollte, erfährt bei jedem Lebensmittelskandal aufs Neue, wie es in der Tierhaltung zugeht. Manch einer wurde darüber sogar angewidert zum Veganer, allerdings oft nur bis zum nächsten Einkauf. Denn dem eingeschweißten Hackfleisch und dem tiefgekühlten Cordon bleu sieht man ja nicht einmal an, dass sie tierischen Ursprungs sind - geschweige denn, unter welchen Bedingungen sie entstanden sind.

Auch der Klimaschaden steht nicht auf dem Etikett: Die Produktion von einem Kilogramm Rindfleisch belastet das Klima in etwa so sehr wie 100 Kilometer Fahrt in einem Mittelklassewagen - wenn man eine Schätzung der Fleischindustrie zugrunde legt.

Trotzdem isst der Deutsche im Durchschnitt etwa 60 Kilogramm Fleisch im Jahr. Das ist etwas mehr als der Durchschnitt der Industrienationen und fast dreimal so viel wie der Pro-Kopf-Fleischkonsum in Entwicklungsländern. Es ist viermal so viel, wie hierzulande vor 150 Jahren gegessen wurde. Und es ist mehr, als auf eine Weise erzeugt werden kann, für die man sich nicht schämen müsste. Denn bei solchen Mengen und den Preisen, die dafür bezahlt werden, geht es nicht ohne Massentierhaltung.

Nicht der Fleischkonsum an sich ist das Problem. Es ist das tägliche Stück Fleisch, das bedenkenlose Verzehren von Lebensmitteln, die diesen Namen nicht verdienen, weil ihre Herstellung Lebewesen missachtet. Ein fleischloser Tag in der Woche? Das sollte eigentlich das Mindeste sein - wenn die Moral vor dem Fressen käme.

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Quelle:
SZ vom 06.08.2013
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