USA:Was heißt es, Amerikaner zu sein?

Anti-Government Protestors Occupy National Wildlife Refuge In Oregon

Was ist 2017 noch typisch Amerikanisch? Darüber haben Republikaner und Demokraten unterschiedliche Ansichten.

(Foto: Justin Sullivan/AFP)
  • Republikaner und Demokraten haben völlig unterschiedliche Vorstellungen davon, was es bedeutet, Amerikaner zu sein.
  • Eine Studie zeigt, dass Konservative den typischen Amerikaner als weiß und christlich definieren.
  • Dabei zeigen demographische Zahlen, dass die Weißen 2044 in der Minderheit sein werden.

Von Beate Wild, New Orleans

Ohne Nostalgie wäre Donald Trump heute wohl nicht Präsident der USA. "Amerika wieder groß machen", "Arbeitsplätze zurückbringen", "wieder zu den Gewinnern gehören": Trumps Rhetorik ist gespickt mit Vokabular, das Sehnsucht nach der guten alten Zeit weckt. Bei seinen konservativen Wählern kommt das hervorragend an. Viele, gerade ältere Amerikaner sehnen sich zurück in die späten Fünfziger und frühen Sechziger, als Amerika noch "great" war.

Das Jahrzehnt des Wirtschaftsbooms nach dem Zweiten Weltkrieg gilt als Muster-Epoche des Konservatismus, des Konsums und des Kapitalismus. Es war das Amerika, das in der Serie "Mad Men" gefeiert wird: Starke weiße Männer dürfen ihre Macho-Allüren noch ungestört ausleben, die Frauen sind mit ihrer Hausfrauenrolle glücklich und nicht-weiße Migranten spielen, wenn überhaupt, eine unbedeutende Rolle.

Erstaunlich ist, wie sich dieses Bild über die Jahrzehnte gehalten hat: Für viele Ältere ist ein "typischer" Amerikaner nach wie vor weiß und christlich. Vor allem Republikaner (57 Prozent) haben dieses Bild im Kopf, bei den Demokraten denken nur 29 Prozent so, wie eine aktuelle Umfrage der Nachrichtenagentur AP zusammen mit dem NORC Center for Public Affairs Research zeigt.

Die Studie arbeitet erstmals seit Trumps Wahlsieg die große Diskrepanz heraus, die zwischen Konservativen und Liberalen über die Frage herrscht: "Was ist ein Amerikaner?" Republikaner (46 Prozent) glauben, die amerikanische Kultur sei vor allem eine, "die durch die frühen europäischen Migranten etabliert wurde". Dagegen finde zwei Drittel der Demokraten, dass "das Mischen der Kulturen und Werte von überall auf der Welt" fundamental amerikanisch sei.

Kluft zwischen Stadt und Land

Der multikulturelle Schmelztiegel ist allerdings seit Jahrzehnten Realität, vor allem an den Küsten der USA und in den Großstädten. In Kalifornien zum Beispiel. Der Bundesstaat ist nicht nur für seine Wirtschaftskraft bekannt, sondern auch für seine kulturelle Vielfalt. Die Bevölkerungsstatistiken zeigen: In San Francisco sind ein Drittel der Einwohner asiatischer Herkunft, in Los Angeles haben die Latinos die Weißen anteilsmäßig bereits 1990 überholt (laut Zensus von 2010: 48,5 Prozent Hispanics vs. 28,7 Prozent Weiße).

Die Kluft zwischen den beiden politischen Lagern darüber, was es heute bedeutet, Amerikaner zu sein, zeigt sich auch im Antagonismus von Stadt und Land. Wie schon seit Obamas Wahl 2008 zu beobachten ist, leben urbane Amerikaner, die eher demokratisch wählen, bereits inmitten einer multikulturellen Gesellschaft, während Landbewohner ihr Kreuz lieber bei den Konservativen machen und einem überkommenen Amerikabild anhängen.

Für Konservative ist der Mix von Kulturen und Hautfarben wie in Kalifornien ein Schreckensszenario, das es abzuwenden gilt. Viele denken offenbar wie die 60-jährige Caroline aus dem Bundesstaat New York: "Amerika gehört den Amerikanern", sagte sie am Rande von Trumps Amtseinführung. "Migranten verändern unser Land und unsere Kultur, sie verdrängen uns Amerikaner". Wie viele andere Konservative sieht Caroline ihre kulturelle Identität und den Mythos Amerika bedroht.

Eine multikulturelle Gesellschaft findet Caroline nicht erstrebenswert. Trumps Wahlkampfslogan "Make America Great Again" heißt für sie vor allem eines: "Lasst uns Amerika wieder so machen es wie früher war, als die weißen Christen noch in der Mehrheit waren.

Doch für ein Amerika, wie es Caroline sich wünscht, ist es längst zu spät. Das Census Bureau schätzt, dass 2044 die Weißen in den USA in der Minderheit sein werden. Die Zahl weißer Zuwanderer aus Europa und Kanada ist drastisch gesunken, von 84 Prozent (1960) auf 14 Prozent (2013). Dafür hat sich die Zahl der Migranten aus lateinamerikanischen Ländern mehr als verfünffacht, die aus asiatischen Ländern ist gar um das 6,5-fache gestiegen.

Dabei stellen Latinos nicht nur die größte Migrantengruppe, sie bekommen auch mehr Kinder als die Nachkommen europäischer Einwanderer. Der anteilige Rückgang der weißen Bevölkerung ist nicht mehr aufzuhalten.

Das weiße, christliche Amerika ist tot

Auch das Bild der Konservativen, dass ein (weißer) Amerikaner automatisch christlich ist, stimmt nicht mehr mit der Realität überein. 2016 betrug der Anteil weißer Christen an der amerikanischen Bevölkerung nur noch 43 Prozent. 2008 waren sie mit 54 Prozent noch in der Mehrheit.

Robert Jones vom Public Religion Research Institute schreibt in seinem 2016 erschienen Buch "The End of White Christian America": "Nach einer langen Zeitspanne von fast 240 Jahren ist das weiße, christliche Amerika - eine bedeutende kulturelle Kraft in der Geschichte der Nation - tot."

Das liegt nicht nur an der Zuwanderung, sondern daran, dass jüngere Weiße nicht mehr so gläubig sind wie ihre Eltern und Großeltern. Die zwischen 1980 und 1996 Geborenen sind nicht nur weniger religiös, sie haben auch - vielleicht gerade deswegen - weniger Nachwuchs und tragen so im doppelten Sinne zum Rückgang der christlichen weißen Bevölkerung bei. Oder wie es Mark Mather, ein Forscher des Population Reference Bureau, in der New York Times formulierte: "Kein anderes Land hat einen solchen rapiden ethnischen Wandel durchlebt."

Viele Amerikaner wie Caroline fühlen sich durch die modernen Zeiten marginalisiert und hängen deshalb dem Nachkriegs-Amerika nach. Damals war das Leben noch langsamer und unkomplizierter, neue Haushaltsgeräte machten auf einmal den Alltag leichter, ein Auto und ein Haus im Vorort war der Traum einer jeden Familie. Die Rollen zwischen den Geschlechtern und Rassen waren noch klar verteilt.

Es gab weder Globalisierung noch Internet, die das Leben heutzutage gerade für Ältere schnell und unübersichtlich machen. Auch illegale Einwanderer, die - unter anderem vom aktuellen Präsidenten selbst - beschuldigt werden, den amerikanischen Arbeitern die Jobs wegzunehmen, waren damals noch kein Problem.

Mit den Hippies war die kleinbürgerliche Idylle vorbei

Zu Ende ging dieses von den Trump-Wählern so gepriesene Zeitalter mit der Ermordung John F. Kennedys 1963 und der Beendigung der Rassentrennung 1964. Spätestens mit der Ära der Hippies, ihrer Auflehnung gegen die Konventionen und ihrem Protest gegen den Vietnamkrieg war die kleinbürgerliche Idylle vorbei.

Ausgelöst wurde der ethnische und kulturelle Wandel eben nicht nur durch die Zuwanderer, sondern auch durch die Gier nach Wohlstand. Den Gesetzen des Kapitalismus waren Hautfarbe oder Religion seit jeher egal. Wenn es den wirtschaftlichen Interessen diente, haben sich die USA schon immer Gastarbeiter ins Land geholt.

Das fing mit chinesischen Bauarbeitern an, die Ende des 19. Jahrhunderts Eisenbahnschienen verlegten. Es ging weiter mit mexikanischen Landarbeitern, die in den 1940er und 1950ern gebraucht wurden. Und es ist heute im Silicon Valley zu beobachten, wo die Tech-Konzerne auf ausländische Programmierer setzen.

Trump versucht, weiße Identitätspolitik zu betreiben, indem er einen Einreisebann für Menschen aus vorwiegend muslimischen Ländern verhängt und eine Mauer an der Grenze zu Mexiko plant, um die Zuwanderer aus lateinamerikanischen Ländern draußen zu halten.

Das ist angesichts der aktuellen Statistiken und der vorhersehbaren demographischen Entwicklung völlig aussichtslos. Selbst Abgrenzung und Massenabschiebung werden der USA nicht zurückbringen, was schon längst verloren ist: ein Amerika wie vor 60 Jahren.

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