Süddeutsche Zeitung

Thanksgiving:Jux und Völlerei

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46 Millionen Truthähne werden zu Thanksgiving vertilgt. Ein Abendessen hat schnell mal 3500 Kalorien - pro Kopf. Das Wichtigste ist dabei das Geflügel, klar. Und das Zweitwichtigste? Eine Saugglocke.

Von Claus Hulverscheidt, New York

Die gute Nachricht gleich zu Beginn, auch wenn die Hauptbetroffenen wohl ihre Zweifel haben werden, ob die Nachricht tatsächlich eine so gute ist: Ein Sieben-Kilo-Truthahn, gerupft, gefroren und verschweißt, kostet zu Beginn des langen Thanksgiving-Wochenendes an diesem Donnerstag im Schnitt zwölf Dollar und damit vier Prozent weniger als im Vorjahr. Der für viele Amerikaner wichtigste Feiertag des Jahres kann also kommen.

Die Tradition, Ende November mit der Familie zu prassen, geht auf das Jahr 1621 zurück, als weiße Siedler in Plymouth im heutigen Massachusetts ihr erstes Getreide geerntet hatten und ein großes Dankesfest zelebrierten. Selbst die benachbarten Ureinwohner des Wampanoag-Stammes waren eingeladen. Wie man weiß, gingen spätere Begegnungen mit dem weißen Mann für die indigenen Völker weit weniger gut aus, weshalb sich manche Amerikaner bis heute der Völlerei verweigern und stattdessen einen "Nationalen Tag der Trauer" begehen.

Das Gros ihrer Landsleute aber drückt beide Augen zu. 55 Millionen Menschen machen sich derzeit auf den Weg zur buckeligen Verwandtschaft, obwohl viele noch die Zerwürfnisse des Vorjahres im Kopf haben dürften. 46 Millionen Truthähne und 50 Millionen Kürbiskuchen werden in den nächsten Stunden vertilgt werden, allein das Abendessen an diesem Donnerstag schlägt mit 3500 Kilokalorien zu Buche - pro Kopf. Bei der Truthahn-Hotline des Geflügelkonzerns Butterball, einst als Marketing-Gag gestartet, rechnet man wie jedes Jahr mit Zehntausenden Anrufen verzweifelter Hobby-Röster. Auch die Feuerwehr erwartet Hochbetrieb, denn die Zahl der kochbedingten Wohnungsbrände ist zu Thanksgiving dreimal so hoch wie an normalen Tagen.

Ob schon beim ersten Erntedankfest vor bald 400 Jahren Federvieh gegessen wurde, ist umstritten. Dafür weiß man heute, warum der Truthahn und die Türkei im Englischen gleich heißen. Vermutlich gehen viele Amerikaner davon aus, dass der Staat am Bosporus nach ihrem Vogel, dem turkey, benannt wurde - so wie mancher US-Patriot glaubt, die Pariser und die Berliner hätten ihnen den Triumphbogen und die Quadriga nachgebaut, die in New York auf der Grand Army Plaza stehen. Kenner wissen, dass es anders herum war: Der Name turkey war in Europa schon vor Jahrhunderten für das Perlhuhn reserviert, das türkische Händler aus Afrika importierten. Als die Siedler ihrerseits begannen, den ähnlich aussehenden amerikanischen Truthahn zu exportieren, nannten ihn die Europäer der Einfachheit halber genauso: turkey.

Autostaus und Menschenmassen am Black Friday

Für die US-Wirtschaft ist das Thanksgiving-Wochenende traditionell das umsatzstärkste des Jahres, das ganze Land verfällt am sogenannten Black Friday in eine Art Shopping-Wahn. 2018 gingen zwischen Donnerstag und Montag etwa165 Millionen Menschen auf Einkaufstour, jeder gab im Schnitt 313 Dollar aus.

Doch noch eine Berufsgruppe profitiert kräftig vom Black Friday, der seinen Namen einst wegen der gewaltigen Autostaus und Menschenmassen in den großen Städten erhielt: Amerikas Klempner. Sie sprechen allerdings lieber vom Brown Friday - aus einem recht unappetitlichen Grund: In vielen Familien landen die fettigen Reste des Festmahls im Ausguss, der fortan den Dienst verweigert - von den Folgen der Völlerei für den Magen-Darm-Trakt und damit das Badezimmer ganz zu schweigen. Wer etwa schon einmal in einer "charmanten", das heißt: ziemlich verlebten New Yorker Altbauwohnung auf dem Klo war, der weiß, dass oft nicht einmal die ganze Verwandtschaft zu Besuch sein muss, um in den Abflussrohren eine äußerst unschöne Bescherung anzurichten. Experten raten deshalb allen Gastgebern: "Stellen Sie eine Saugglocke neben die Toilette. Das erspart Ihren Gästen die Peinlichkeit, nach einer fragen zu müssen."

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Quelle:
SZ vom 28.11.2019
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