In den USA ist ein immenser Anstieg beim Konsum von Kokain zu verzeichnen. Zugleich erlebt der Coca-Anbau in Kolumbien einen nie dagewesenen Boom. Zufall? Wohl eher nicht. Aus dem jährlichen Bericht des US-Außenministeriums geht hervor, dass die beiden Fakten miteinander in Zusammenhang stehen. Demzufolge haben getestete Proben amerikanischer Straßendealer ergeben: 90 Prozent des Kokains stammt aus Kolumbien.
Wenn am 18. Mai der kolumbianische Präsident Juan Manuel Santos nach Washington kommt, wird sein Amtskollege Donald Trump das Thema vermutlich ansprechen. Schließlich haben die USA mit einem massiven Drogenproblem in der Bevölkerung zu kämpfen. Der Konsum von Heroin und Fentanyl - jenes opiathaltige Schmerzmittel, das auch Prince das Leben kostete - nimmt geradezu epidemische Dimensionen an.
Drogensucht in den USA:Alle sieben Stunden eine Überdosis
In Huntington, West Virginia, sind 14 Prozent der Einwohner abhängig von Heroin und anderem Stoff. Die Feuerwehr löscht dort keine Brände mehr. Sie kämpft gegen eine Epidemie.
Nun sieht sich das Land mit der Tatsache konfrontiert, dass auch die Zahl der Kokain-Nutzer rapide angestiegen ist: von offiziell gemessenen 601 000 Personen im Jahr 2013 auf 968 000 im Jahr 2015. Immer mehr junge Amerikaner probieren die weiße Droge, heißt es in der jüngsten nationalen Studie zu Drogenkonsum und Gesundheit . 2015 starben laut dem Bericht 7400 Menschen an einer Überdosis Kokain, mehr als in den zehn Jahren zuvor.
Zugleich wachsen die Anbauflächen für Kokain in Kolumbien sprunghaft, Berechnungen der US-Regierung zufolge zuletzt um 18 Prozent. 2016 waren damit 188 000 Hektar Land mit Coca-Büschen bepflanzt. Nicht einmal zu Zeiten des kolumbianischen Drogenbosses Pablo Escobar, der den Handel in den 1970er Jahren industrialisierte, wurden derart viele Sträucher dieser Nutzpflanze angebaut. Entsprechen schnellte die Kokain-Produktion im Jahr 2016 in die Höhe - Schätzungen der US-Regierung zufolge um 37 Prozent auf 710 Tonnen.
Da zwischen Anbau und Verkauf schätzungsweise zwei bis drei Jahre vergehen, befürchten Experten, dass die große Lieferung noch kommt - die Kokain-Welle also gerade erst anrollt.
Das übergroße Angebot führt schon jetzt dazu, dass die Preise sinken und das weiße Pulver für immer mehr Menschen erschwinglich wird. Der Anbau läuft auf Hochtouren, so dass die Bauern kaum mit dem Ernten hinterherkommen. Die Pflanzen würden teilweise auf den Feldern verrotten, sagte Kolumbiens Verteidigungsminister Luis Carlos Villegas der Washington Post. "So etwas haben wir noch nie gesehen".
Präsident Santos wurde 2016 für seine Verhandlungen mit der Guerillabewegung FARC mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Er war sich sicher, damit auch das Coca-Problem in den Griff zu bekommen. Die Rebellen hatten den 52 Jahre dauernden Kampf gegen die Regierung hauptsächlich mit Kokain finanziert - oft als Zwischenhändler zwischen Bauern und mexikanischen Drogenkartellen, die die Ware in die USA bringen.
Nun haben mit dem Friedensvertrag zwar 7000 Guerilleros ihre Waffen niedergelegt und sind aus dem Drogengeschäft ausgestiegen. Doch wer dachte, dass sich damit die Drogenproduktion von alleine erledigt hätte, irrt. Um die durch den Rückzug der FARC entstandene Lücke wird seither unter Gangs und Kartellen erbittert gestritten. Auch die "nationale Befreiungsarmee" ELN, eine kleinere kommunistische Guerilla-Truppe, bringt sich offenbar zunehmend in den Drogenhandel ein, berichtet die kolumbianische Wochenzeitung Semana.
Die UN-Behörde für Drogen und Gesundheit in Kolumbien ist sich sicher, dass die Regierung nur ein winziges Zeitfenster hat, um zu verhindern, dass sich dort, wo sich die FARC-Rebellen zurückgezogen haben, neue bewaffnete Guerilleros niederlassen und die Geschäfte übernehmen. Doch um das zu verhindern, müsste der Staat selbst in den entlegensten Winkeln des Landes ständig mit Truppen präsent sein.
Seit 2000 haben die USA der Regierung in Bogotá mehr als zehn Milliarden Dollar für den "Plan Colombia" geschickt, um mit Kolumbiens Hilfe die Drogengeschäfte einzudämmen. Doch im Jahr 2017 scheint es, dass der "war on drugs", der Krieg gegen die Drogen, den die USA seit mehreren Jahrzehnten führen, ein Kampf ist, den man nicht gewinnen kann. "Die ganze Welt fragt sich, was eigentlich los ist", heißt es in einem Artikel der Semana.
Das Hauptproblem ist, dass viele kolumbianische Farmer äußerst arm sind und unter dem Existenzminimum leben. Allein mit dem Anbau von Kakao, Bananen oder Kaffee schaffen sie es nicht, ihre Familien zu ernähren. Mit dem illegalen Coca-Anbau hingegen verdienen sie genug, um ein einigermaßen normales Leben zu führen.
Die Ernte-"Erfolge" sind auch darauf zurückzuführen, dass die kolumbianische Regierung seit 2015 keine Pflanzenvernichtungsmittel mehr per Flugzeug über den Anbaugebieten versprüht. Als Begründung dafür wird die Sorge vor einem erhöhten Krebsrisiko durch das Herbizid Glyphosat genannt. Die USA haben diesen Schritt kritisiert. Selbst in Kolumbien gab es Stimmen, die wegen des rapide ansteigenden Coca-Anbaus die Rückkehr zur chemischen Pflanzenvernichtung als einzige Lösung sehen. Doch inzwischen hat Kolumbiens oberster Gerichtshof das Luftbesprühungs-Verbot bestätigt.
Mittlerweile ist das Land dazu übergegangen, die Coca-Pflanzen manuell auszurotten, doch der Zeitung Semana zufolge ist dieses Vorgehen wenig effektiv. Wenn Vernichtungstrupps vor Ort auftauchen, errichten Farmer Wegsperren, mitunter platzieren Landwirte sogar Sprengvorrichtungen in den Büschen, um die Soldaten aufzuhalten. Außerdem muss die Regierung sparen: Aus finanziellen Gründen wurden in den vergangenen Jahren 90 Prozent des Personals gestrichen.
Die Santos-Regierung hat erkannt, dass es neue Wege braucht, um Kolumbien vom Coca zu befreien. Neuerdings erhalten Bauern Geld dafür, wenn sie statt Coca-Pflanzen einfach Gemüse anbauen. Bis zu 32 Millionen kolumbianische Pesos (etwa 10 000 Euro) Förderung sollen Familien in einem Zeitraum von zwei Jahren erhalten, heißt es. Regierungsvertreter ziehen derzeit über die Dörfer und versuchen die Coca-Bauern von dem neuen Plan zu überzeugen.
Das Geld soll allerdings nur dann fließen, wenn das gesamte Dorf frei von Coca-Pflanzen ist. Experten glauben, dass die Drogenbanden sich sonst gar nicht erst aus einer betroffenen Gegend zurückziehen. Die Zahlungen erhalten übrigens auch Bauern, die ohnehin kein Coca anbauen. Das soll Streit unter den Landwirten verhindern.
Sollten wie erwartet 70 000 Familien in das Regierungsprogramm einsteigen, würde das Programm die Regierung pro Jahr etwa 450 Millionen Euro kosten. Noch ist völlig unklar, wie Kolumbien diese Summen aufbringen wird. Womöglich kann das Land im Rahmen des "war on drugs" wieder einmal auf finanzielle Hilfe aus den USA hoffen.
Die Santos-Regierung weiß, dass die alten Rezepte nicht funktionieren, das Land den florierenden Drogenhandel aber dringend stoppen muss. Die Erwartungen der internationalen Gemeinschaft sind groß. Die Gespräche mit US-Präsident Trump werden den Druck mit Sicherheit noch erhöhen.