Historie:Zu Asche, zu Staub

Historie: Der "schwarze Sonntag": Am 14. April 1935 fegt ein den Himmel verdunkelnder Sturm aus Staub über die Great Plains der USA hinweg.

Der "schwarze Sonntag": Am 14. April 1935 fegt ein den Himmel verdunkelnder Sturm aus Staub über die Great Plains der USA hinweg.

(Foto: mauritius images / Science Source / Omikron)

Brände, Hitzerekorde, Wassermangel: Der heiße Sommer 2022 weckt Erinnerungen an die Dürrekatastrophe im "Dust Bowl" der USA vor fast 90 Jahren. Damals wie heute trägt der Mensch die Hauptschuld daran.

Von Joachim Käppner

Back in Nineteen Twenty-Seven,

I had a little farm and I called that heaven.

Well, the prices up and the rain come down,

And I hauled my crops all into town.

I got the money, bought clothes and groceries,

Fed the kids, and raised a family.

Rain quit and the wind got high,

And the black ol' dust storm filled the sky.

And I swapped my farm for a Ford machine,

And I poured it full of this gas-i-line ...

(Woody Guthrie, Talking Dust Bowl Blues, 1940)

Damals, im Jahr 1927, hatte ich eine kleine Farm; und sie war der Himmel für mich. Die Preise waren gut und genug Regen kam, ich verkaufte all meine Ernte in der Stadt, hatte Geld, kaufte Kleider und Lebensmittel, Essen für die Kinder und sorgte für die Familie.

Aber dann hörte der Regen einfach auf, und der Wind blies hart. Und ein Sturm aus schwarzem Staub füllte den Himmel. Und ich tauschte meine Farm für einen Ford ein und füllte den Tank mit Benzin ..."

Historie: Als die Sonne verschwand: Ein Sandsturm hat eine Hütte in Cimarron County, Oklahoma, fast unter sich begraben (1937).

Als die Sonne verschwand: Ein Sandsturm hat eine Hütte in Cimarron County, Oklahoma, fast unter sich begraben (1937).

(Foto: mauritius images / Science Source / New York Public Library)

Die Dürre, die Hitze, die Brände, die Wasserknappheit dieses Sommers 2022 bringen den Klimawandel näher denn je ins Bewusstsein vieler Menschen. Viele spüren ein Gefühl wie: Das ist nichts, was irgendwann einmal vielleicht kommen wird, seine Vorboten sind bereits hier. Und dieser Sommer weckt Erinnerungen an eine vergleichbare Katastrophe, the dust bowl, die große Staubschüssel der Dreißigerjahre. Zu Staub verwandelten sich riesige Flächen des besten US-amerikanischen Ackerlandes binnen weniger Jahre, und wie heute war es menschlicher Raubbau an der Natur, der Wetterschwankungen erst zur Apokalypse werden ließ.

The Great Plains, die Großen Ebenen, die amerikanische Prärie. Bevor die weißen Eroberer kamen, hatten hier Ureinwohner auf nomadische Weise gelebt und dem Land nicht mehr abverlangt, als es zu geben bereit war. Für Nahrung und Kleidung sorgten die gewaltigen Bisonherden, die durch die Weite des Landes streiften. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aber vertrieben weiße Siedler die Menschen, auf die sie hier stießen und die sie Indianer nannten, sie töteten binnen weniger Jahre fast alle Bisons und nahmen das Land in Besitz. Der 1862 erlassene Homestead Act erlaubte es jedem, sich ein Stück Land abzustecken und zu bewirtschaften, deshalb gab es bald sehr viele kleinere Farmen. Und als die USA während des Ersten Weltkrieges ihre Farmer mit dem Schlachtruf "Wheat will win the war" (Weizen wird den Krieg gewinnen) mobilisierten, stiegen die Preise und der Wohlstand.

Riesige bewässerte Landwirtschaftsflächen erstreckten sich in den 1920ern bis an den Horizont, bequem mit Maschinen und Traktoren zu beackern. Die großen Ebenen erschienen wie endlose Felder, die sich durch die Mitte der USA zogen: Oklahoma, Kansas, Texas, New Mexico, Colorado. Ein amerikanischer Pioniertraum und ebenso ein von vielen wörtlich genommener Auftrag des Alten Testaments schien wahr geworden zu sein: "Macht euch die Erde untertan."

Kaum jemand sah das nahende Verhängnis. Bald nach den Büffeln war auch das Büffelgras, das die Prärie bedeckt hatte, den Äckern und Viehweiden gewichen. Die Wurzeln dieser Pflanzen aber hatten den Boden gefestigt und Wasser gebunden, was niemanden kümmerte, solange es genug Regen gab. Doch ab 1930 geschah mehr und mehr, was der Folksänger Woody Guthrie (1912 - 1967), der das Elend selbst erlebte hatte, in seinen "Dust Bowl"-Balladen beschrieb: Rain quit and the wind got high.

Plötzlich blieb der Regen fort, Stürme fegten über das Land. Eine Klimaveränderung führte zu einer Dürre, die Jahre dauerte und gegen die sich das von den Menschen überformte Land nicht mehr wehren konnte. Die Hitze erreichte Rekordtemperaturen, sie machte die Menschen krank und apathisch.

Historie: Geflüchtete aus einer Welt aus Dreck und Hunger: Eine Wanderarbeiterin aus Oklahoma mit ihren Kindern 1937 auf einer Farm in Kalifornien.

Geflüchtete aus einer Welt aus Dreck und Hunger: Eine Wanderarbeiterin aus Oklahoma mit ihren Kindern 1937 auf einer Farm in Kalifornien.

(Foto: AP)

Die Bewässerungssysteme versagten, ohne Regen und die tiefen Wurzeln des Büffelgrases nahm die Feuchtigkeit rasch ab. Der fruchtbare Boden vertrocknete, endlose Winde bliesen ihn einfach davon und verwandelten ihn in Staub. Die Weiden, die es noch gab, standen voller Rinder, die das letzte Grün abfraßen. Und "schwarze Blizzards" trieben dunklen Staub über die Ebenen und deckten sie zu wie mit Asche. Jedes Frühjahr hofften die Landwirte, der Regen möge zurückkommen und die guten Zeiten wiederbringen.

Am Palmsonntag 1935 war der Morgenhimmel klar. Doch bald verdunkelte sich der Horizont. Ströme kalter Luft aus Kanada lösten Staubstürme aus, wie man sie noch nie gesehen hatten. Die Sonne verschwand binnen Minuten. Es wurde finster am helllichten Tag, Häuser und Ställe wurden zugedeckt, Autos blieben in den Staubwehen stecken. Manche suchten, von der Hunderte Meter hohen Staubfront überrascht, auf Händen und Knien einen Unterschlupf. In Panik riefen Menschen den nationalen Wetterdienst an: "Was ist mit der Sonne passiert?" Der 14. April 1935 ging als "schwarzer Sonntag" in die Geschichte der USA ein.

Schon bald verließen Hunderttausende ihre Heimat, die ein trostloser Ort geworden war. Zu Asche, zu Staub. Der Schriftsteller John Steinbeck setzte ihnen 1939 mit "Früchte des Zorns" ein literarisches Denkmal, für das er später den Literaturnobelpreis bekam. In dem bewegenden Roman beschreibt er das System der Schuldner und der Banken, die den mittellosen Farmern Haus und Hof wegnehmen, als "das Ungeheuer": "Das Ungeheuer ist kein Mensch, aber es kann den Menschen das zu tun befehlen, was es will."

Noch dazu hielt zur selben Zeit die Weltwirtschaftskrise, die dem Börsencrash von 1929 gefolgt war, auch die USA im Würgegriff. Unter dem republikanischen Präsidenten Herbert Hoover, der bis Anfang 1933 im Amt war, hatten staatliche Hilfsleistungen als erster Schritt zum Bolschewismus gegolten und waren weitgehend unterblieben. Die Elendssiedlungen aus Arbeitslosen und Verarmten, die an den Stadträndern entstanden, nannte man sarkastisch "Hoovervilles".

Historie: Der leere Horizont: im Dust Bowl.

Der leere Horizont: im Dust Bowl.

(Foto: AP)

Die Große Depression, verbunden mit der Trockenheit, war mehr als eine Wirtschaftskrise - viele Amerikaner befürchteten nicht weniger als den Kollaps ihres demokratischen Experiments. In der alten Welt, in Europa, hatte der Siegeszug des Faschismus und autoritärer Bewegungen begonnen. "Zu keiner Zeit seit dem Aufstieg des demokratischen Systems", schrieb düster die Zeitschrift New Republic, "wurden ihre Grundlagen derart ernsthaft herausgefordert wie heute."

"Es gibt nur Verfall. Jede Familie verkommt für sich in ihrem eigenen elenden Heim ..."

Ein Staat, der seine Menschen nicht vor solchem Unheil zu bewahren verstand, verlor seine Legitimität. Die Fotografin Dorothea Lange verewigte das Leid in der Dust Bowl mit ihren Bildern von schmutzigen Kindern, verzweifelten Müttern und vertrockneten Feldern. Auch die junge Reporterin Martha Gellhorn bereiste das Katastrophengebiet. Sie schrieb: "Ich kann nur berichten: Es gibt keinen organisierten Protest. Es gibt nur Verfall. Jede Familie verkommt für sich in ihrem eigenen elenden Heim. ... Es bricht einem das Herz und es macht wirklich Angst."

In ihrer großartigen Geschichte der USA, "These Truths", beschreibt die Harvard-Historikerin Jill Lepore das Schicksal zweier Familien. Das Ehepaar Magby aus Beaton, Arkansas, packte seine sieben Kinder in seinen höchst betagten Ford Model T und floh nach Süden. Sie schliefen am Straßenrand, verkauften ihre letzten Habseligkeiten für Essen und Benzin, sie hungerten. Hunderttausende Farmerfamilien machten es ähnlich.

Der anderen Familie erging es noch übler, denn wie oft in Krisenjahren zahlen die ohnehin Ausgegrenzten den höchsten Preis, in diesem Fall die Afroamerikaner. Der christliche Reverend Earl Little und seine Familie wurden vom Ku-Klux-Klan, der weißen Rassistenterrorbewegung des Südens, aus ihrem Haus vertrieben, die Klansmen nutzen die tiefe Krise der Nation für ihre diabolischen Zwecke. Earl Little wurde kurze Zeit später wahrscheinlich Opfer eines rassistischen Mordes. Seine Frau Louise Little trieb hilflos durch das Land, sie endete in der Psychiatrie, die Kinder wurden in Heime gesteckt. Einer von ihnen vergaß dies nie: Als Malcolm X wurde er in den Fünfzigern und Sechzigern ein radikaler schwarzer Bürgerrechtler.

In "Früchte des Zorns" heißt es über die Menschen, die Besitz und Heimat verloren, dass "sie allein waren und verwirrt und alle aus einem Land der Sorgen, der Traurigkeit und Enttäuschung kamen ... Am Tage hasteten sie gleich Käfern westwärts, und wenn die Dunkelheit kam, versammelten sie sich gleich Käfern in Schwärmen nahe bei Schutz und Wasser."

Die große Dürre war vor allem eine ökologische, von Menschen verursachte Katastrophe. Damals aber war die amerikanische Demokratie noch stark genug, große Fehler zu korrigieren. 1932 gewann der Demokrat Franklin D. Roosevelt die Präsidentschaftswahlen haushoch gegen den verhassten Hoover. In seiner berühmten Rede zum Amtsantritt rief er den Amerikanern zu, sie hätten "nichts zu fürchten außer der Furcht selbst - einen namenlosen, vernunftlosen, ungerechtfertigten Schrecken, der alle Bemühungen lähmt, Rückschritt in Fortschritt zu verwandeln".

Historie: Masken 1935: Junge Frauen versuchen, sich vor dem allgegenwärtigen Staub zu schützen, der Lunge und Atemwege angreift.

Masken 1935: Junge Frauen versuchen, sich vor dem allgegenwärtigen Staub zu schützen, der Lunge und Atemwege angreift.

(Foto: Bert Garai/Getty Images)

Seine gewaltigen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen - der New Deal rettete unter Millionen anderen die Familie Magby -, stießen auf erbitterten Widerstand der Wirtschaft und der Opposition, doch er setzte sie mit Hilfe seines Beauftragten Harry Hopkins eisern durch. Dazu gehörte der "Great Plains Shelterbelt" ("Schutzgürtelprojekt"): Im Dust Bowl ließ die Regierung mehr als 200 Millionen Bäume anpflanzen, zum Schutz gegen Wind, Stürme und Erosion, und das Bewässerungssystem verbessern. Die große Dürre kam nie zurück. Das war damals schon möglich und zeigt im Vergleich nur das Ausmaß der Narrheit Donald Trumps, das Klima-Abkommen zu verlassen und den Umweltschutz einzuschränken, wo immer möglich. Glücklicherweise hat sein Nachfolger Joe Biden das meiste davon rückgängig gemacht. Man wird sehen, für wie lange.

Die große Dürre kam nie zurück. Bislang nicht. Der Klimawandel unserer Zeit könnte das dramatisch ändern. Nach einer Studie der Universität Oxford wären erstickende Hitzewellen wie jene der Dreißigerjahre in der Region kein Jahrhundertereignis mehr. Sie würden alle 40 Jahre eintreten. Um zu sehen, was eine Klimakatastrophe in der Zukunft bedeutet, genügt manchmal ein Blick in die Vergangenheit.

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