US-Medien über deutsche Städte:Lasst die "New York Times" mal schreiben!

Wedding

Kommt der Wedding, weil die "New York Times" es schreibt?

(Foto: Hannah Beitzer)

Amerikanische Journalisten lobten München und Frankfurt, jetzt ist Berlin-Wedding dran - und alle sind ganz aufgeregt. Warum eigentlich?

Von Hannah Beitzer

Endlich, nach all den Jahren, hat der Wedding seinen großen Moment - jedenfalls in der New York Times, die dem Stadtteil unter der Überschrift "Wedding in Berlin Finally Has Its Moment" kürzlich eine Reportage widmete. Wobei derselben Zeitung zufolge Frankfurt am Main insgesamt viel geiler ist als Berlin, weil es nun "eine Dosis hippes Nachtleben" habe. Oder hatte? Der Artikel über Frankfurt erschien 2014. Die Münchner müssen so oder so stark sein, denn immerhin ist es schon sieben Jahre her, dass die New York Times ihre Bars und Kneipen für angesagter hielt als die in Berlin.

Was ist cooler - Berlin oder Hamburg, Köln oder Frankfurt, Leipzig oder Dresden? Lieber als über derartige Fragen diskutiert der lokalpatriotische deutsche Großstädter nur über steigende Mieten und Bürgeramtstermine. Und wenn sich dann noch die Amerikaner einmischen, dann gibt es kein Halten mehr. Siehste, sogar die New York Times sagt, dass München besser ist als Berlin!

Dabei sind die meisten dieser Artikel noch nicht einmal besonders kenntnisreich. Der über den Wedding zum Beispiel ist eher eine etwas ausgeschmückte Liste mit den besten Bars, Kneipen und Restaurants als kundiges Stadtteilporträt. Komisch auch, dass er gerade jetzt erscheint, wo das Kulturzentrum "Stattbad" schließen musste, das die New York Times trotzdem noch prominent als Motor der (positiven) Entwicklung einführt. Und in München war der New York Times-Journalist tatsächlich schon am frühen Abend in der inzwischen geschlossenen Kult-Kneipe Fraunhofer Schoppenstube. Dabei weiß jeder Münchner, dass man da frühestens um zwei Uhr nachts hinging!

Warum sind wir so aufgeregt?

Warum also sind wir dann so aufgeregt, wenn sich ein amerikanischer Journalist in unsere Stadt oder unser Viertel verirrt und ihm es da gut genug gefällt, dass er ein Textchen darüber schreibt? Das "wir" ist an dieser Stelle auch selbstkritisch gemeint, denn in der Süddeutschen Zeitung erschien 2008 der eine oder andere sehr stolze Artikel über die München-Lobeshymne des New Yorker Kollegen.

Klar, wer sich als zufriedener Münchner jahrelang von Besuchern aus Berlin Sachen anhören musste wie "Ach, das ist so unglaublich schön hier! Hier würde ich auch gern hinziehen ... Wenn ich mal älter bin", freut sich, wenn jemand seine Stadt ganz ohne derartige Einschränkungen cool findet. Das gilt erst recht, wenn dieser jemand aus der Superduper-Metropole New York das Nachtleben vor der eigenen Haustür lobt. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung freute sich wiederum 2014 unter der Überschrift "Und München ist nicht dabei" über das Urteil der amerikanischen Kollegen - ätsch-bätsch, eure Berge könnt ihr behalten!

Woher kommt das? Wer einige Jahre lang Freunde und Bekannte beim Hin- und Wegziehen begleitet oder selbst ein paar Mal den Wohnort wechselt, bekommt den Eindruck: Nach Berlin ziehen viele, weil sie in erster Linie nach Berlin wollen. In München spielt häufiger ein guter Job, eine große Liebe oder die Familie eine Rolle. Und bei Frankfurt-Zuzüglern finden sich zu Beginn fast ausschließlich derartige Motive. Das heißt natürlich nicht, dass es in München oder Frankfurt nicht ganz toll werden kann. Die stadtunabhängigen Motive haben dabei ohnehin einen großen Vorteil. Man hat es nämlich bis zu einem gewissen Grad selbst in der Hand, ob es mit Job oder Liebe klappt. Ob dagegen die Stadt, die man sich ausgesucht hat, weil sie hip und underground ist, so bleibt, kann man nicht beeinflussen. Das merken die Berliner, deren Stadt zurzeit in rasendem Tempo voller, teurer und schicker wird.

Die Weddinger finden den Artikel nicht so toll

Das erklärt auch, warum viele Berliner ganz anders auf amerikanische Lobeshymnen reagieren als die Münchner, nämlich mit Entsetzen. "Jetzt ist es offiziell, der nächste Reuter-Kiez entsteht im Wedding. Herzlichen Glückwunsch ihr kreativen, hippen und engagierten Menschen", schreibt einer auf der Facebook-Seite des Blogs "Weddingweiser". Der Reuter-Kiez liegt in Neukölln, das die Kür zum hippen Stadtviertel samt Gentrifizierung schon längst hinter sich hat. Auf Twitter denken Weddinger schon laut über Wegzug nach und auf Instagram schreibt einer "Komm lieber nicht in meine Hood!" unter ein Foto, auf dem ein paar einbetonierte Schuhe zu sehen sind.

Das ist ironisch gemeint, klar. Aber der Grundton zieht sich durch die Beiträge in sozialen Medien, wo solche Themen ja bevorzugt bequatscht werden: Oh Gott, die New York Times schreibt über den Wedding! Auch das noch! Jetzt kommen die Hipster, die Touristen, die Rollkoffer, die Ferienwohnungen und mein Lieblings-Dönerladen wird ein veganes Restaurant.

Dabei sind wohl eher die Mieten als die New York Times dafür verantwortlich, wenn plötzlich alle in den Wedding ziehen. Zeitungsartikel sind für diese Entwicklung nicht der Motor, sondern allenfalls Begleiterscheinungen. Sie beschreiben schließlich nur, was schon da ist. Im Alleingang machen sie überhaupt nichts hip - oder ist das Partyvolk vor ein paar Jahren tatsächlich weitergezogen nach München oder Frankfurt?

Also empfiehlt sich ein wenig Entspanntheit, wie sie zum Beispiel die Anwohner der Rüdesheimer Straße in Berlin-Wilmersdorf zeigen. Die war im vergangenen Jahr von der New York Times zu einer der zwölf schönsten Straßen Europas ernannt worden, was insofern erstaunt, als sie kaum einer kennt, der nicht in ihr wohnt. Der Berliner Tagesspiegel schickte eine Reporterin nach Wilmersdorf, um dem unverhofften Ruhm nachzuspüren. "Also, da fallen mir locker zwölf Straßen ein, die schöner sind", sagten ihr zwei von ihrem Viertel sichtlich angeödete Mädchen. "Es ist nicht unbedingt ein junges oder diverses Viertel", sagte ein Student. "Viel zu sehen gibt es hier nicht", befand eine Bäckereiverkäuferin.

Und die New York Times? Ach, lasst die doch einfach mal schreiben!

Die Autorin lebt selbst in Berlin-Wedding und hat den Artikel der "New York Times" auf ihrer Facebook-Seite geteilt. Alle Beteuerungen, das sei doch nur ironisch gemeint, halfen nichts: Die Kollegen verdonnerten sie zur Selbstreflexion. Herausgekommen ist dieser Artikel.

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