Urteil in Rostock:Papa war schon immer tot

Das Kind der Rostockerin wird seinen Vater nie kennenlernen. Und wenn schon? Das aktuelle Urteil greift auf, was man heute unter Befruchtung versteht - und unter Familie.

Violetta Simon

Darf sich eine Frau nach dem plötzlichen Tod ihres Ehemannes die vorher künstlich befruchteten Eizellen in die Gebärmutter einsetzen lassen - und damit das Kind eines Gestorbenen austragen? Sie darf. Das Oberlandesgericht Rostock hat eine Klinik dazu verurteilt, einer Witwe neun konservierte Eizellen herauszugeben, die vor dem Tod ihres Mannes mit dessen Samen befruchtet worden waren.

Urteil Rostock; konservierte Eizellen;

Je mehr die Wissenschaft kann, desto einfacher wird es, schwanger zu werden - und desto komplizierter.

(Foto: Foto: iStockphotos)

Im März 2008 waren die Samenzellen des Ehemannes durch künstliche Befruchtung den Eizellen injiziert worden. Der Mann starb kurz darauf bei einem Motorradunfall.

Zwar ist es strafbar, eine Eizelle mit dem Samen eines Mannes nach dessen Tod künstlich zu befruchten - in diesem Fall sei der Samen aber schon vor dem Tod verwendet worden und untrennbar von der Eizelle eingeschlossen. Somit kann nicht mehr von der Verwendung des Samens eines toten Mannes gesprochen werden, wenn nun die konservierten Eizellen der Klägerin aufgetaut und die noch zu Lebzeiten des Mannes eingeleitete künstliche Befruchtung fortgesetzt wird. So die Richter in Rostock.

Klingt kompliziert und so gar nicht nach den üblichen Assoziationen wie Kindersegen, Mutterfreuden, guter Hoffnung.

Es ist kompliziert, weil es eben nicht mehr einfach so passiert. Weil aus Menschen nicht mehr einfach Eltern werden und aus Eizellen Kinder, sondern unter dem Einfluss der Wissenschaft Menschen zu Eltern gemacht werden, im wahrsten Sinne des Wortes.

Wir verhüten, um den perfekten Zeitpunkt selbst zu bestimmen und sprechen von "Familienplanung". Wir zaudern und zögern manchmal so lange, bis es zu spät ist. Wenn wir im Nachhinein nurmehr die roten Zuglichter sehen, werden wir mit dem ganzen Ausmaß unserer Verzagtheit konfrontiert und versuchen mit aller Kraft, die Zeit zurückzudrehen und uns über die biologischen Gegebenheiten hinwegzusetzen, indem wir die Medizin zu unserem Komplizen machen.

Wir nutzen diese Möglichkeiten, weil wir es können. Wir haben Möglichkeiten, die vor einigen Jahrzehnten noch undenkbar waren. Und je vielfältiger diese Möglichkeiten, desto komplizierter die Regeln.

Das Urteil der Rostocker Richter ist nichts anderes als eine Konsequenz aus diesen Regeln. Es hat eine Entscheidung gefällt, die auf der Interpretation dessen beruht, was man heutzutage unter Befruchtung versteht.

Im Fall der Witwe hat die Befruchtung außerhalb ihres Körpers bereits stattgefunden: Die Samen waren in die Eizellen injiziert worden, die nun tiefgefroren in einer Neubrandenburger Klinik lagern. Sie beginnen mit ihrer Aufgabe, sobald man sie auftaut und in die Gebärmutter einsetzt.

Einerseits ist die Situation vergleichbar mit der einer Witwe, die auf herkömmlichen Wege schwanger wurde: Wer würde von ihr verlangen, ihr Kind abzutreiben, weil ihr Mann während der Schwangerschaft ums Leben kam? Ist es nicht verständlich, dass sie sich umso mehr klammert an das, was ihr von ihm noch bleibt?

Andererseits: Der medizinische Fortschritt erlaubt uns, den Zeitpunkt unserer Reproduktion weitgehend selbst zu bestimmen. Sollte damit nicht auch ein Verantwortungsbewusstsein einhergehen, mit dieser Entscheidungsfreiheit sinnvoll und achtsam umzugehen?

Dieses Kind, könnte man sagen, wird seinen Vater nie kennenlernen. Mag ja sein, dass der Aspekt, ob ein Kind von Anfang an vaterlos aufwachsen soll, diskutabel ist. Die Frage, ob es das Kind dieser Witwe auch darf, ist es nicht.

Die Entscheidung des Gerichts ist aus einem Grund richtig: Weil sie konsequent ist. Sie ist ein Abbild unserer Gesellschaft.

Und die besteht nicht mehr nur aus Ehepaaren. Sie besteht aus Alleinerziehenden, die sich während der Schwangerschaft getrennt haben, aus lesbischen Paaren, die ein Kind adoptiert haben. Aus schwulen Paaren oder Patchworkfamilien, die dem Kind mehr als einen Vater bieten. Man kann darüber verschiedener Meinung sein, doch es gibt keine Rechtsgrundlage, dem zu widersprechen.

Eine spannende Frage erschließt sich aus diesem Gerichtsurteil: Was könnte die Entscheidung für andere bedeuten?

Noch immer haben lesbische Paare große Probleme, in Deutschland eine künstliche Befruchtung durchführen zu lassen, denn sie kommen laut Bundesärztekammer - ebenso wie alleinstehende Frauen - dafür nicht in Frage. So hat sich ein regelrechter "Fortpflanzungstourismus" in Länder wie Großbritannien, Dänemark oder Spanien entwickelt, deren Samenbanken auch lesbische Frauen behandeln. Höchste Zeit, daran etwas zu ändern.

Mit diesem Urteil wird einmal mehr ein Signal gesetzt, dass es offenbar nicht automatisch verwerflich ist, einem Kind seinen Vater zu verwehren - jedenfalls nicht vor dem Gesetz.

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