Süddeutsche Zeitung

Dem Geheimnis auf der Spur:Verschlungene Wege

Lange glaubten Forscher, dass die ersten Amerikaner über die Beringstraße auf den Kontinent gelangten. Doch jetzt behauptet eine Archäologin: Sie kamen aus Afrika.

Von Harald Eggebrecht

Dass nicht erst Christoph Columbus Amerika entdeckt hat oder davor die Wikinger als Erste amerikanischen Boden betraten, hat sich einigermaßen herumgesprochen. Auch war der gewaltige Doppelkontinent nicht menschenleer, wie manche späteren, frommen, weißen Einwanderer vermeinten und damit ihre aggressive, blutige Ausdehnung über ganz Amerika begründeten. Doch die Fragen, wer überhaupt die ersten Amerikaner waren, woher sie kamen und auf welchen Wegen sie dorthin gelangten, konnten bisher keineswegs endgültig beantwortet werden, auch wenn es einige archäologisch gut gestützte und durch überzeugende DNA-Analysen beglaubigte Hypothesen zur Besiedlung Nord- und Südamerikas gibt. Aber jeder neue Fund von Alaska bis nach Feuerland verändert die Vorstellungen, die sich die jeweiligen Forscher bis dahin von den Uramerikanern und ihren Wegen gemacht haben.

Am stabilsten hält sich die Theorie, die Uramerikaner seien während der letzten Eiszeit vor etwa 35 000 bis 11 500 Jahren aus Sibirien und Ostasien über die Beringstaße gekommen. Das war möglich, weil dort eine Landbrücke, Beringia genannt, entstanden war durch die Bindung des Wassers in mächtigen Eisschilden. Die Jäger und Sammler waren ihrer Beute, den Wildtierherden, gefolgt. Als die Eismassen am Ende der Eiszeit einen Korridor freigaben, zogen die Uramerikaner in den Kontinent ein. Tausend Jahre später sollen sie die Südspitze Südamerikas erreicht haben. Doch die Annahme eines eisfreien Korridors ist umstritten. Die Küstentheorie nimmt an, dass es schon vor 15000 bis 13500 Jahren ostasiatische Seefahrer gab, die entlang der Aleuten an der Westküste Amerikas hinunterfuhren und von dort aus den Kontinent besiedelten. Doch lässt sich das kaum mit möglichen Fundorten belegen, weil die heute jedenfalls unter Wasser liegen. Um alle archäologischen Erkenntnisse halbwegs plausibel zu verbinden, werden oft die beiden Theorien miteinander gemischt.

Es hat auf dem Kontinent wohl schon sehr früh mehrere Kulturen parallel gegeben

Seit man 1937 im Ort Clovis in New Mexico bearbeitete Pfeilspitzen aus Feuerstein ausgrub und in der Folge auch an vielen anderen Stellen solcherart Projektilspitzen fand, wird von der Clovis-Kultur gesprochen, der ersten weit verbreiteten Kultur der Uramerikaner, etwa zwischen 11 000 und 10 800 vor unserer Zeit. Doch entdeckte man zwischen Rocky Mountains und Westküste auch Spuren, die nicht Clovis entsprechen. Also hat es wohl mehrere Kulturen parallel gegeben. Immer wieder irritieren neue Funde, die darauf verweisen, dass es deutlich ältere menschliche Zeugnisse in Amerika gegeben haben könnte. Die eindrucksvollste solcher Stätten liegt im brasilianischen Bundesstaat Piaui im Nationalpark Serra da Capivara. Dort gibt es zahlreiche Felszeichnungen in überraschender Vielfalt und Qualität. Seit 1991 ist Serra da Capivara Unesco-Weltkulturerbe.

Dass es dazu kam, daran hat Niède Guidon größten Anteil. Die Tochter einer brasilianischen Mutter und eines französischen Vaters hatte zuerst in Sao Paulo Biologie und Naturwissenschaften studiert, später in Frankreich Vor- und Frühgeschichte. 1963 sah sie erstmals Fotos von rotfarbigen Felszeichnungen aus Serra da Capivara. Sie waren so eigentümlich und verschieden von anderen, dass Guidon in den Siebzigerjahren mit der Erforschung der Serra begann. Im Zuge ihrer und anschließender archäologischer Untersuchungen wurden über 400 Siedlungsplätze und mehr als 30 000 Felsbilder gefunden. Serra da Capivara ist der bedeutendste prähistorische Ort nicht nur Brasiliens sondern in ganz Südamerika. Zu jenen uralten Zeiten war, das hat der deutsche Altamerikanist und Archäologe Markus Reindel herausgefunden, die heute dürre Region eine fruchtbare, wasserreiche Gegend, in der Mastodons lebten, wie Knochenfunde beweisen.

Die Archäologin fand eine Feuerstelle, die 30000 Jahre alt war - viel älter als gedacht

Der Expertenstreit begann, als Guidon behauptete, die Holzreste einer prähistorischen Feuerstätte seien 30 000 Jahre alt aufgrund ihren Messungen nach der Radiocarbonmethode, also doppelt so alt wie die Clovis-Kultur. Damit konnten die Menschen von Serra da Capivara nicht über Beringia gekommen sein, sondern von ganz woanders her. Das erregte sofort Widerspruch nordamerikanischer Fachleute: Guidons Methoden seien veraltet, die Holzreste stammten wahrscheinlich von zufälligen Buschfeuern oder wurden gar von Affen entfacht. Die angeblich von Menschenhand bearbeiteten Steinartefakte seien Ergebnis von Abbrüchen, Steinschlägen und Ähnlichem. Guidon ging aber noch weiter, hier hätten wohl schon vor 100 000 Jahren Menschen gelebt. Das sei nun reine Spekulation, höhnten die Clovisianer der US-Archäologie, die Guidons Forschungen und Datierungen bis 2016 nicht ernst nehmen wollten.

Doch seitdem der französische Archäologe Eric Boëda, ein Spezialist in der Analyse von prähistorischen Steinwerkzeugen und anderen Relikten, über 6000 Holzpartikel vermaß und feststellte, dass immer an der gleichen Stelle Feuer auf Feuer gemacht worden war und nicht wie bei Buschbränden willkürlich verstreut auftrat, änderte sich das Blatt. Die Datierungen nach der Thermoluminiszenz-Methode (TL), die die französische Geophysikerin Christelle Lahaye vornahm, belegten dann, dass die steinernen Artefakte 20 000 Jahre alt waren, denn sie lagerten in einer Sedimentschicht, die damals das letzte Mal vom Tageslicht erfasst wurde, und dieses Licht lässt sich mittels TL genau messen.

Aber Niède Guidon hat auch noch eine revolutionäre Hypothese parat für die Herkunft der geheimnisvollen Felsenmaler, die irgendwann infolge der Verödung ihre einst fruchtbaren Region verließen und spurlos verschwanden: Sie könnten übers Meer aus Westafrika auf dem Südäquatorialstrom gekommen sein. Aber in welcher Art Booten? Immerhin gibt es auf den Felsen auch eine Bootszeichnung unter den vielen Darstellungen von Mensch und Tier auf der Jagd, beim Sex und beim Töten. Waren also Afrikaner die ersten Amerikaner? Noch wissen wir es nicht. Allerdings haben die Spezialisten auch prähistorische Exkremente, sogenannte Koprolithen, gefunden, in denen afrikanische Parasiten bestimmt werden konnten. Wie die wohl nach Brasilien gelangt sind?

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