"Urban Beekeeping":Honig vom Balkon

Urban Beekeeping On East London Rooftops

Urban Beekeeping in England: Auf einem wild bewachsenen Hausdach im Londoner Stadtteil Hackney pflegt ein Imker sein Volk.

(Foto: Getty Images)

Als ihr Mann mit dem ersten Volk vor der Wohnungstür stand, hatte sie erst einmal Angst. Nun summt es auf dem Balkon des Ehepaars Andrä. Imkerverbände begrüßen den Trend der Stadt-Imker. Aber reicht das, um die Lebensbedingungen für Bienen zu verbessern?

Von Ines Alwardt

Fünf Quadratmeter, größer ist der Balkon nicht. Ronny Andrä, Anfang 30, steht zwischen Frühstückstisch und blühenden Balkonpflanzen und schaut in den grün bewachsenen Innenhof. Es ist ein leiser, nasser Sonntagnachmittag im April. Wäre jetzt die Sonne da, Andrä würde sein Bänkchen schnappen, sich vor den Holzkasten mit dem angebauten Brett hocken und beobachten. "Die sind immer echt geschafft, wenn sie mit ihren vollen Pollenhöschen hier ankommen", sagt er. Wie das aussieht? Andrä schiebt seinen Brustkorb vor und fängt an durch den Mund zu schnaufen, ein, aus, ein, aus. Es klingt, als hätte er gerade einen Dauerlauf gemacht. "Wenn die Bienen dann da sitzen, siehst du das richtig: den ganzen kleinen Körper, wie er pumpt."

Ronny Andrä wohnt zusammen mit seiner Frau Eileen in einem Mietshaus in der Münchner Innenstadt. Zweiter Stock, Rückgebäude, ruhig ist es hier, zumindest, wenn es regnet. Wenn in der Zeit von März bis September die Sonne scheint, verwandelt sich der Balkon in eine kleine Honigfarm, das Summen der Bienen hört Andrä dann bis in sein Wohnzimmer.

Seit zwei Jahren pflegt Ronny Andrä das Volk auf seinem Balkon, es ist nicht sein einziges, fünf weitere stehen an unterschiedlichen Orten in München. Die Ausbeute ist gut: 50 Kilogramm Honig hat Andrä im vergangenen Jahr geerntet. Er sagt, in München gehöre er mit seinen Balkon-Bienen noch zu den Exoten. In Berlin wäre er längst nur einer unter vielen. Selbst Experten sprechen inzwischen von einem "Hype", wenn es um die Imkerei in der Stadt geht.

Petra Friedrich vom Deutschen Imkerbund spricht gerne über große Zahlen. "92.000", so viele Mitglieder hatte der Verein Ende des vergangenen Jahres. "Es ist das erste Mal seit 20 Jahren, dass wir wieder über der 90.000-Marke liegen", sagt Friedrich; es klingt, als hätte sie schon länger keinen guten Nachrichten mehr verkündet.

In den vergangenen Jahrzehnten sah es so aus, als stünde die Imkerei bald vor dem Aus. Die Mitgliederzahlen der Imkervereine schwanden, die sowieso schon überalterte Gruppe der Imker wurde noch älter, nur Nachwuchs gab es keinen.

Noch schlechter aber stand es um die Bienen: Varroa-Milben, Pestizidbelastung, zu wenig Nahrung - in drastischen Bildern berichteten die Medien über das große "Bienensterben". Und zitierten Albert Einstein, der sagte: "Wenn die Bienen aussterben, hat der Mensch nur noch vier Jahre zu leben."

Petra Friedrich sagt: "Die Biene stirbt nicht aus." Der Mensch, sagt sie, habe seine Verantwortung für die Biene erkannt.

Auf dem Abgeordnetenhaus in Berlin sind die Tiere inzwischen zu Hause, in Kopenhagen wurden sie auf Hochhäusern angesiedelt, in Paris fliegen Völker der Honigbiene schon seit Jahren auf dem Dach der Garnier-Oper ein und aus. Der Ertrag ist oft doppelt so hoch wie auf dem Land, wo es meist nur Monokulturen gibt. In der Stadt hingegen gibt es Hunderte verschiedene Bäume und Blumen - ein breites Angebot für die Tiere.

Urban beekeeping gehört für viele zu einer neuen städtischen Lebensweise

Immer mehr junge Menschen in den Metropolen der Welt schaffen sich Bienen an, weil es hip ist, etwas für die Umwelt zu tun. Weil es Spaß macht und nicht allzu teuer ist: Ein Kasten mit Volk kostet etwa 250 Euro. Allein im Berliner Stadtgebiet ist die Zahl der Imker von 2012 bis 2013 um zwölf Prozent gestiegen, in Hamburg um mehr als acht Prozent. Wer sich nicht gleich festlegen will, kann ein Volk für eine Saison leasen, zum Ausprobieren. "Urban beekeeping" - so der Name des internationalen Trends - ist längst keine saisonale Modeerscheinung mehr. Er gehört für eine immer größer werdende Zahl an Menschen zu einer neuen urbanen Lebensweise.

Auf dem Esszimmertisch der Andräs steht ein Teller mit selbstgebackenen Keksen, daneben vier weiß bemalte Dosen, in denen Blumen wachsen: Erbsenschoten, Kapuzinerkresse, Kräuterpflanzen. "Da stürzen sich die Bienen drauf", erklärt Eileen Andrä. Als ihr Mann vor zwei Jahren mit dem ersten Volk vor der Wohnungstür stand, hatte sie erst einmal Angst. Bienen auf dem Balkon? Die machen sich bestimmt über Marmeladenbrote und Schinken her, dachte sie. Nichts dergleichen passierte. Erst einmal wurde sie bisher gestochen. Heute sagt sie: "Ich kann mir unseren Balkon gar nicht mehr ohne Bienen vorstellen."

Die Imkerei war für das Paar erst der Anfang für eine bewusstere Ernährung. Inzwischen macht Ronny Andrä seinen Joghurt selbst, er braut Bier, backt eigenes Sauerteigbrot. "Wir achten schon darauf, dass wir uns nur von regionalen Produkten ernähren und kaufen saisonal ein."

Wenn das Paar in den Supermarkt geht, schaut es oft auf die Etiketten von Honiggläsern. Eileen Andrä sagt, ihr werde dann oft schlecht; wenn sie liest, woher der Honig kommt. Denn auch wenn die Imkerei in Deutschland wieder zunimmt - nur 20 Prozent des landesweiten Honigbedarfs werden hierzulande produziert. Der Rest muss importiert werden - meist aus China. "Am Ende weiß ich nicht, was da drin ist. Ich persönlich fühle mich von der Lebensmittelindustrie veräppelt", sagt Eileen Andrä.

Erst Bienen, dann Hühner

Honigbiene

In ihren Höschen sammeln die Bienen bei der Bestäubung die Pollen.

(Foto: dpa)

Schon ein Stück weiter ist Angela Schelling. Die 48-Jährige wohnt mit ihrem Mann und den beiden Kindern in einer ruhigen Siedlung im Osten der Münchner Innenstadt. Ein schöner großer Garten, hinter einer Reihe Johannisbeersträucher stehen sechs Holzkästen in der prallen Sonne, dunkle kleine Punkte schwirren durch die Luft. "Ist das nicht schön?", fragt Schelling, sie lächelt, dann öffnet sie die Tür zu einem Holzhaus im Garten: Bis unter die Decke stapeln sich hölzerne Bienenkästen, in der Ecke steht eine neue Honigschleuder, Imkeranzüge hängen an einem Türhaken. "Irgendwann sollen es mal 50 Völker werden", sagt die 48-Jährige. Im Moment hat Angela Schelling sieben Völker. 120 Kilo Honig erntete sie im vergangenen Jahr, ihre Mutter verkauft die Gläser in Köln, 500 Gramm für sechs Euro fünfzig.

Die Zahl der Völker stagniert

Angela Schelling und ihr Mann gehören zu den Anhängern der Slow-Food-Bewegung, sie tritt für genussvolles, bewusstes und regionales Essen ein und versteht sich als Gegensatz zum Fastfood. Auf einem Grundstück am Chiemsee produziert Schelling eigenen Most und Apfelsaft, demnächst will sie sich für den Garten in München eigene Hühner anschaffen, eine Bioland-Zertifizierung als Imkerin macht sie in diesem Jahr. Bienen und Hühner, "das passt so gut zusammen".

Die Biene ist wieder in das Bewusstsein der Menschen gerückt, Imker wie Angela Schelling übernehmen mit ihrem Hobby Verantwortung für sie. Also alles gut für die deutsche Biene? Nicht ganz. "Was die Imkerzahlen angeht zwar schon", sagt Petra Friedrich vom Imkerbund, "aber die Zahl der Bienenvölker stagniert." Gab es 1950 im Schnitt noch etwa zwei Millionen Bienenvölker, sind es heute nur 750 000. "Das liegt daran, dass die Imker zu wenig Völker halten."

Vor drei Jahren hat der Verein eine Umfrage zur Motivation von Imkern gemacht, das Ergebnis war eindeutig: "Fast alle haben gesagt, sie wollen etwas für die Natur tun, sie machen das nicht, weil sie Honig ernten wollen." Und genau das ist das Problem. Stadt- und Hobbyimker haben weder genug Platz noch genug Zeit, um Hunderte Völker zu halten. Hielt früher jeder Imker im Schnitt acht Völker, sind es heute nur noch sechs. Die Lösung ist für Friedrich deshalb klar: Es braucht wieder mehr Bienen auf dem Land. Nur: "Damit sich wirklich etwas ändert, müssten die Bedingungen für sie dort verbessert werden", sagt Friedrich. Weniger Pestizide, ein besseres Nahrungsangebot, ökologische Vorrangflächen - das sind nur einige Punkte. Aber da können auch die Stadt-Imker nicht helfen. Friedrich sieht die Politik gefragt.

Ronny Andrä sagt, neulich erst habe er für ein paar Gläser Honig ein ganzes Karnickel geschenkt bekommen, von den Schwiegereltern in Thüringen. Die Tante gab ihm noch Tomaten und Gurken dazu. "Wenn das nur wieder nur so funktionieren würde", sagt er, "das wäre doch toll."

Bienen-Experte erwartet schlechtes Jahr für Imker

NIcht der Honig ist der Grund: Die meisten Hobbyimker halten Bienen, weil sie etwas für die Natur tun wollen.

(Foto: dpa)
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: