Süddeutsche Zeitung

Umwelt:Kunst-Stoff

Stabil, leicht, wandelbar: Plastik macht nicht nur Probleme - es kann auch wahnsinnig viel. Fünf Sachen zum Staunen.

Von Georg Cadeggianini und Nina Himmer

Alleskönner

Brotboxen, Zahnbürsten, Regenjacken, Handyhüllen, Abfalltüten, Bildschirme, Autoteile, Kontaktlinsen, Pullover, Zahnfüllungen, kugelsicheren Westen, Flugzeugsitze oder künstlichen Herzklappen: Plastik kann so ziemlich alles sein, ist ein echter Gestaltenwandler. Je nach Mischung ist es hart wie Stahl, formbar wie Wachs oder hitzestabil wie Keramik - und dabei fast immer leicht, haltbar und billig. Das ist der Grund, warum die Industrie Plastik liebt und es aus unserem Alltag kaum noch wegzudenken ist. So problematisch das für die Umwelt auch ist, die Vielfalt ist doch bemerkenswert. Schau dich einfach mal um: Wie viele Dinge aus Plastik findest du in deiner Umgebung innerhalb einer Minute?

Blasenplastik

Es gibt so viele tolle Kinderdinge, die sich ohne Plastik sofort in Luft auflösen: Kaugummis, Luftballons, Strohhalme. Stimmt natürlich nicht! Also ja, es stimmt, dass fast alle Kaugummis Kunststoff enthalten und plastikfreie selten sind und teuer. Was man sonst so kauen kann? Lakritzwurzeln zum Beispiel. Die schmecken genauso, wie sie heißen, und die Zähne knirschen danach nicht. Oder man pflückt sich Kräuter, Basilikum oder Minze etwa: schmecken grün und frisch, nach Garten. Statt Luftballons kann man Butterbrottüten bemalen, statt Plastikhalme echtes Stroh benutzen.

Plastikplage

Vor etwa 70 Jahren hat man angefangen, immer mehr Alltagsdinge aus Kunststoff zu machen. Die allermeisten davon sind heute Müll. Als vor zwei Jahren eine Expedition im Mariannengraben mit 10 928 Metern den absoluten Tieftauchrekord aufgestellt hat, fanden sie dort: eine Plastiktüte und Süßigkeitenverpackungen. Forscherinnen und Forscher schätzen, dass sich heute etwa sechs Milliarden Tonnen Kunststoff in der Natur angesammelt haben. Das heißt: Jeder Mensch auf der Erde hat etwa zehn Menschen im Schlepptau: genauso schwer, bloß zu zehnt und aus Plastikmüll. In den reicheren Ländern wird besonders viel Plastik verbraucht. In Deutschland etwa 176 Kilogramm pro Jahr und Nase. Viele versuchen, das Problem einzuschränken: In der Stadt San Francisco zum Beispiel sind Plastikflaschen verboten, in Ruanda Plastiktüten. In Frankreich dürfen von Januar an rund 30 Obst- und Gemüsesorten nur noch ohne Plastikverpackung verkauft werden.

Misthaufenplastik

Plastik verrottet nicht. Das ist der Grund, warum unsere Müllberge immer größer werden. Forschende tüfteln deshalb an einer Art Bioplastik, das man wie eine Bananenschale entsorgen kann - und sind schon ziemlich nah dran: An der Universität Tübingen haben Wissenschaftler herausgefunden, dass manche Bakterien Stoffe produzieren, die Plastik ähnlich sind. Mit ein paar Tricks konnten sie aus einem Kilogramm Bakterien satte 800 Gramm Bioplastik gewinnen und daraus Strohhalme, Tüten und Verpackung für Lebensmittel machen. Die halten nicht so lange wie das Original - aber dafür kann man sie in den Biomüll werfen.

Superbaustoff

Plastik verrottet nicht? Wunderbar, dann können wir doch damit bauen, oder? In Kopenhagen fahren sie auf einem riesigen Müllberg Ski. Statt Schnee liegen dort grüne Plastikmatten mit Silikonborsten. Auf einer Insel vor Panama bauen sie aus alten Getränkeflaschen Häuser. Bis zu 20 000 Plastikflaschen werden in einem Haus verbaut, es soll ein ganzes Plastikflaschendorf entstehen. Vergangene Woche hat in Indonesien die abfallkritische Ausstellung "Terowongan 4444" eröffnet. Terowongan ist indonesisch und heißt Tunnel: ein Tunnel aus 4444 Plastikflaschen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5440126
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 16.10.2021
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.