Umgang mit Demenz in der Gesellschaft:"Ich bitte um Verständnis"

JUBEL VON MÜLLER UND SCHÖN NACH WM-SIEG 1974

Siegertyp: 1974 jubelt Gerd Müller nach dem Schlußpfiff im Finale gegen die Niederlande. Wie bekannt wurde, ist die Fußball-Legende an Alzheimer erkrankt.

(Foto: DPA)

Gerd Müllers Familie will dem Demenzkranken zu seinem 70. Geburtstag eine öffentliche Feier ersparen. Doch wie viel Demenz dürfen wir der Öffentlichkeit zumuten? Ein Gespräch mit einem Angehörigenberater über Respekt und Normalität.

Von Violetta Simon

Gerd Müller, "Bomber der Nation", war einer der größten Fußballer aller Zeiten. Am 3. November wird der ehemalige Mittelstürmer des FC Bayern 70 Jahre alt. Doch zu seinem Geburtstag wird es keine offiziellen Termine und Feierlichkeiten geben. Wie der Verein bekannt gab, leidet Gerd Müller seit längerer Zeit an einer Alzheimer-Erkrankung und wird seit Februar in einem Pflegeheim betreut.

Hans-Dieter Mückschel findet es wichtig, dass demenzkranke Menschen am Leben teilnehmen. Denn mit dem Gedächtnis, so der Geschäftsführer der Fachstelle für pflegende Angehörige und Demenzberatung, verschwinde nicht automatisch die Persönlichkeit. Wie viel Öffentlichkeit man demenzkranken Menschen abverlangen kann, müssten die betreuenden Angehörigen entscheiden, sagt er. Doch wie viel Demenz dürfen wir der Öffentlichkeit zumuten? Ein Gespräch über gegenseitigen Respekt und den richtigen Umgang mit einer Volkskrankheit.

Süddeutsche.de: Rudi Assauer ging mit seiner Alzheimer-Erkrankung damals relativ früh an die Öffentlichkeit. Sollten alle Betroffenen so offensiv mit ihrer Erkrankung umgehen?

Hans-Dieter Mückschel: Egal, ob man damit an die Öffentlichkeit geht oder nicht: Ein offener Umgang mit der Krankheit ist ganz klar der beste Weg. Und zwar so früh wie möglich. Nur wenn ich die Demenz anerkenne, habe ich die Chance, das Fortschreiten zu verhindern und die nötigen Maßnahmen zu ergreifen, um den Alltag für den Betroffenen besser zu gestalten. Die Mehrheit stellt sich der Situation leider erst, wenn der Krankheitsprozess fortgeschritten ist.

Gerd Müllers Familie machte seine Alzheimer-Krankheit erst bekannt, als er es selbst nicht mehr konnte. Zu seinem 70. Geburtstag wird es keine offiziellen Besuche oder Termine geben. Eine angemessene Schutzmaßnahme?

Ein Mensch wie Gerd Müller hat eine Biografie, er ist noch immer der berühmte Fußballer - auch wenn er selbst es nicht mehr weiß. Ich glaube nicht, dass man den Betroffenen um jeden Preis vor seinem Umfeld schützen muss. Wann immer es möglich ist, sollte man ihm die Chance geben, weiterhin als wertvoller Mensch wahrgenommen zu werden - und sich zum Beispiel bei offiziellen Anlässen feiern zu lassen. Hier müssen die Angehörigen einschätzen, welche Art von Öffentlichkeit wünschenswert ist und was man dem Erkrankten besser erspart.

Wenn der Betroffene es selbst nicht mehr weiß - warum ist das wichtig?

Man ist nur überlebensfähig, wenn man noch einen Sinn in seinem Leben sieht. Wenn das wegfällt, kommt das einem sozialen Todesurteil gleich, das gilt auch für Demenzerkrankte. Mit dem Gedächtnis verlieren die Betroffenen ihre Persönlichkeit, heißt es in der Medizin. Wir von der Angehörigenberatung sehen das eher vom ethischen Aspekt her: Das, was wir als Seele bezeichnen, bleibt. Die Persönlichkeit ist noch da, der Kranke kann sie nur nicht nach außen tragen. Die eigentliche Kunst besteht darin, den Kranken zu schützen - und seine Persönlichkeit weiterhin zu respektieren. Das ist natürlich nicht immer leicht, doch wäre Entmündigung der falsche Weg. Entscheidend ist ein sensibler und wertschätzender Umgang, das verändert die Kommunikation total.

Doch wie kann der Betroffene artikulieren, ob er weiterhin in der Öffentlichkeit stehen möchte - beispielsweise eine Ehrung entgegennehmen oder an einer Feierlichkeit teilnehmen?

Der Ehepartner oder die Familie kann nur durch empathische Beobachtung spüren, ob dieser Mensch noch teilnehmen will am Alltag. Entscheidend ist auch der sensible Umgang mit der konkreten Situation. Menschen mit Demenz leben in der Regel im Hier und Jetzt. Es kann also durchaus sein, dass ein Betroffener eine Veranstaltung mittendrin verlassen muss. Das ist möglicherweise unangenehm für die Beteiligten, doch für den Kranken ist es das Beste.

Teilnahme am Leben - inwiefern ist das für Alzheimer-Patienten möglich?

Theoretisch überall, wo Menschen zusammenkommen. Wir haben zum Beispiel einen Chor, an dem auch Demenzerkrankte teilnehmen. Da fällt es gar nicht auf, dass viele von ihnen nicht mehr lesen können, sie singen teilweise noch besser als manche Angehörige. Hier wird deutlich, welche Kompetenzen noch vorhanden sind. Menschen mit Demenz sind nicht unglücklich, sie haben Freude an vielen Dingen. Sich einfach glücklich fühlen - das können sie oft besser als andere.

Demenz-Patienten sieht man ihre Krankheit nicht an. Wie kann ich andere dafür sensibilisieren, warum meine Begleitung sich gerade weigert, die U-Bahn zu betreten oder im Restaurant mit den Fingern isst?

Man kann es offen ansprechen und erklären. Es gibt aber auch die Möglichkeit, vorgedruckte Karten auszuteilen, die man bei Alheimer-Organisationen erhält. Auf denen steht eine entsprechende Erklärung wie zum Beispiel: "Ich bitte um Verständnis! Mein Angehöriger ist an einer Demenz erkrankt und verhält sich deshalb ungewöhnlich." Wenn sie Bescheid wissen, sind Menschen eher dazu bereit, dem Kranken mit Geduld zu begegnen.

Wie können Außenstehende mit Betroffenen richtig umgehen?

Im Grunde sollten wir nach Normalisierung streben. Menschen im Rollstuhl werden auch nicht als Fremdkörper angesehen, man nimmt Rücksicht und passt die Umwelt zunehmend an ihre Bedürfnisse an. Dasselbe wünschen wir uns für Demenz-Patienten: dass sie ein Recht haben auf Teilhabe, dass sie mitgehen können auf ein Fest oder ins Cafe. Und wenn die Tasse umfällt, ist es kein Drama, man sieht darüber hinweg, genau wie bei Kindern. Es sollte selbstverständlich werden, dass Angehörige auf Solidarität zählen oder um Hilfe bitten können, ohne schief angeschaut zu werden. Zum Beispiel wenn ein Mann einen weiblichen Gast im Lokal darum bittet, seine demenzkranke Frau auf die Damentoilette zu begleiten.

Es muss sich also auch gesellschaftlich etwas tun im Umgang mit Demenzkranken?

Im Vergleich zu anderen Regionen wie etwa dem angelsächsischen Raum oder Skandinavien herrscht in Deutschland noch immer eine starke Tabuisierung. In der Regel werden erste Anzeichen heruntergespielt, oder der Betroffene versucht, sie zu verbergen. Doch die Zahl der Betroffenen wird weiter ansteigen. Neben dem Aspekt der Versorgung ist daher die Frage, wie wir mit Demenz umgehen, die wichtigste. Andernfalls werden die Angehörigen ausbrennen - deren Zahl im Übrigen kontinuierlich zurückgeht. Wir werden aus demografischen Gründen immer mehr alleinstehende Demente haben. Umso wichtiger ist es, dass nicht nur Angehörige bereit sind, einem Erkrankten ohne Vorbehalte zu begegnen. Sondern jeder Einzelne.

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