Alzheimer:"Wenn ich es ausspreche, wird es wahr"

Alzheimer

Herd einer Alzheimer-Patientin in Berlin

(Foto: dpa)

Angehörige von Alzheimer-Patienten scheuen sich oft, die Krankheit früh genug zu thematisieren. Bärbel Schönhof, Vizepräsidentin der Deutschen Alzheimer Gesellschaft, spricht im Interview über ihre früh erkrankte Mutter, den Wert eines klärenden Gesprächs - und über Momente, in denen Schweigen sinnvoller ist.

Von Felicitas Kock

Bärbel Schönhof ist 48 Jahre alt - und damit im gleichen Alter wie ihre Mutter, als sie die ersten Anzeichen des Vergessens zeigte. Ungewöhnlich früh, normalerweise erkranken Menschen erst jenseits der 65 an Alzheimer. 2002 stirbt die Mutter. Die Tochter, die hauptberuflich als Anwältin arbeitet, engagiert sich weiter für Alzheimer-Patienten und deren Angehörige. Seit fünf Jahren ist Schönhof Vizepräsidentin der Deutschen Alzheimer Gesellschaft (DAlzG).

Süddeutsche.de: Frau Schönhof, Sie sind genauso alt wie Ihre Mutter, als sie an Alzheimer erkrankte. Was geht ihnen dabei durch den Kopf?

Bärbel Schönhof: Meine beiden Brüder und ich haben natürlich viel darüber nachgedacht, ob es uns auch treffen könnte, da es bei der präsenilen Form der Demenz durchaus ein erhöhtes Vererbungsrisiko geben kann. Die Ärzte haben uns damals angeboten, einen Gentest machen zu lassen. Aber wir haben uns bewusst dagegen entschieden, denn selbst wenn eine genetische Disposition bestünde, ist es nicht sicher, dass die Krankheit ausbricht. Und selbst wenn sie ausbrechen würde - was hätten wir davon, wenn wir es wüssten? Die Erkrankung meiner Mutter sehe ich nicht anders als früher: Es ist eine beschissene Krankheit! Dennoch bin ich dankbar, dass ich eine so intensive Zeit mit meiner Mutter erleben durfte.

Wie machte sich die Erkrankung Ihrer Mutter bemerkbar?

Sie hat immer wieder Dinge vergessen, war fahrig, hatte das Gefühl, sich selbst zu verlieren. Sie ist deshalb zum Arzt gegangen, aber die Mediziner sind wegen ihres Alters einfach nicht darauf gekommen, dass es Alzheimer sein könnte. Auch wir, ihre Familienangehörigen, haben eher eine Schilddrüsenerkrankung vermutet, eine Auswirkung der Wechseljahre oder ein Stresssymptom. An Alzheimer haben wir zum damaligen Zeitpunkt keine Sekunde lang gedacht.

Wann wurde die Krankheit diagnostiziert?

Die Diagnose kam Jahre später mit einem Paukenschlag. Im Jahr 1996, meine Mutter war 56, ist sie nach einem Besuch beim Neurologen nicht nach Hause gekommen. Zwei Tage lang haben wir sie gesucht. Es war Februar, draußen lag Schnee und wir haben uns riesige Sorgen gemacht. Als sie schließlich vor der früheren Wohnung meiner Eltern gefunden wurde, war sie nicht nur vollkommen orientierungslos - sie konnte sich auch nicht mehr an ihren Namen erinnern. Der Neurologe sagte ganz kühl: 'Dann müssen wir davon ausgehen, dass es doch Alzheimer ist.'

Ein Schock.

Für die ganze Familie. Obwohl wir die Krankheit zu diesem Zeitpunkt unterbewusst wohl auf dem Schirm hatten. Das ist bei den meisten Alzheimer-Erkrankten so. Sie nehmen selbst wahr, dass etwas mit ihnen nicht stimmt. Wenn sie immer wieder Dinge vergessen, wenn sie desorientiert sind, sich nicht mehr zurechtfinden. Auch Familie, Freunde, Kollegen bemerken oft schon sehr früh, wenn etwas nicht in Ordnung ist.

Dennoch dauert es in der Regel einige Zeit, bis die Krankheit diagnostiziert wird. Woran liegt das?

Daran, dass sie noch immer stigmatisierend ist. In den vergangenen Jahren wurde in der Öffentlichkeit viel über Alzheimer gesprochen. Prominente Menschen haben sich zu ihrer Erkrankung bekannt. Die Gesellschaft ist dadurch viel stärker sensibilisiert als in den späten Achtzigern, als meine Mutter erkrankte. Aber sich selbst eingestehen, dass man betroffen ist? Das ist heute immer noch schwierig. Alzheimer ist kein Schnupfen. Bei der Beratungs-Hotline der DAlzG rufen oft Menschen an, die sich anonym informieren wollen, ob ihre Symptome möglicherweise auf Alzheimer hindeuten könnten.

Was raten Sie ihnen?

Dass sie zum Arzt gehen und eine gute Diagnostik einfordern sollen. Wer befürchtet, er könnte betroffen sein, muss sich untersuchen lassen. Schon allein, um Alzheimer eventuell auszuschließen. Vielleicht handelt es sich doch um eine heilbare Schilddrüsenerkrankung, die dann aus Angst vor Alzheimer nicht behandelt und dadurch womöglich schlimmer wird. Außerdem sollten Betroffene mit ihrer Familie reden, die in den allermeisten Fällen schon etwas ahnt. Ich erfahre allerdings immer wieder, dass Angehörige sich weigern, über die Krankheit zu reden. Oft, weil sie sich die bittere Realität nicht eingestehen wollen. Nach dem Motto: "Wenn ich es ausspreche, wird es wahr." Diese Reaktion ist nachvollziehbar, aber die Erkrankung eines Familienangehörigen totzuschweigen, ist keine Lösung.

Sollte ein Angehöriger denn das Gespräch suchen, wenn er bei einem geliebten Menschen mögliche Symptome einer Alzheimer-Erkrankung bemerkt?

Ja, auch wenn es dann wahrscheinlich zum Konflikt kommt. Wenn Sie jemanden darauf hinweisen, dass er in letzter Zeit sehr vergesslich wirkt, kann das schnell als Angriff gewertet werden. Auch wenn die Person sich selbst schon Gedanken gemacht hat, wird sie doch zunächst versuchen, die Fassade zu wahren.

Eine Konfrontation, auf die man sich einlassen muss?

Unbedingt. Für den Betroffenen und seine Familie ist ein klärendes, sensibles Gespräch mit dem behandelnden Arzt zu einem möglichst frühen Zeitpunkt wichtig. Die Beteiligten sollten wissen, was auf sie zukommt. Sie sollten wissen, wie Symptome und Krankheitsverläufe aussehen können. Der Arzt sollte sich mit seiner Diagnose Mühe geben, sie nicht herunterspielen. Es ist nicht damit getan, zu sagen, dass die alten Leute nun eben etwas tüddelig werden. Alzheimer ist mehr, als ein bisschen tüddelig zu werden.

Eine Lösung: Fingerfood

Wie hat Ihre Familie die Diagnose aufgenommen?

Meine Mutter war erschüttert. Sie hatte Angst, sich selbst zu verlieren, sich nicht mehr kontrollieren zu können. Sie hatte Angst, dass wir sie alleinlassen. Wir waren - obwohl wir es wohl geahnt hatten - ebenfalls erschüttert. Dann fragten wir uns, was das eigentlich ist, Alzheimer. Und wie wir damit umgehen sollen. Mein Vater hat dann aufgehört zu arbeiten, meine beiden Brüder und ich sind zurück nach Bochum gezogen. Für uns war klar, dass wir uns selbst um meine Mutter kümmern wollen.

Haben Sie mit Ihr über die Krankheit gesprochen?

Am Anfang ja. Aber es ist schwierig. Die Situation ist für alle Betroffenen schrecklich und niemand hat gelernt, über eine so schwere Erkrankung zu reden, ohne den anderen zu verletzen. Es entwickelt sich ja eine ganz neue Familienkonstellation. Plötzlich benötigt ein Elternteil Hilfe und Pflege, ein Mensch, an den man sich sonst selbst immer mit seinen Sorgen und Nöten wenden konnte. Man muss erst einmal einen Modus finden, wie man mit dieser neuen Rollenverteilung umgeht.

Dann haben Sie die Krankheit gegenüber Ihrer Mutter später nicht mehr thematisiert?

Nein, das hat ihr zu weh getan. Es bringt nichts, den Erkrankten immer wieder darauf zu stoßen, ihn mit seiner Krankheit, seinen Unzulänglichkeiten und Ängsten zu konfrontieren. Wir erleben das auch in der Zusammenarbeit mit anderen Alzheimerpatienten und ihren Angehörigen. Es gibt nicht den einen richtigen Weg, und nicht jede Kommunikation muss verbal ablaufen. Jede Familie muss ihren eigenen Weg finden, mit dem Thema umzugehen.

Sie haben diesen neuen Modus des miteinander Umgehens gefunden?

Ja, das haben wir nach einiger Zeit. Und das geschah ohne viele Worte. Wenn man merkt, dass es dem Erkrankten nicht guttut, über die Krankheit zu sprechen, muss man sich eben auf der nonverbalen Ebene bewegen. Man muss auf Stimmungen und Gefühle hören, dann lernt man schnell, was funktioniert und was nicht. Wir haben vor allem viel gelacht. Nicht über meine Mutter, sondern mit ihr. Das war für alle sehr befreiend. Insgesamt muss man sich tatsächlich immer wieder neu einstellen.

Inwiefern?

Na ja, es wird eben immer schlimmer. Gerade hat man sich eingerichtet, hat einen Weg gefunden, wie alles so funktioniert, dass die kranke Mutter und die pflegende Familie zurechtkommen. Alles ist durchgeplant, alles klappt. Und dann weiß sie plötzlich nichts mehr mit ihrem Essbesteck anzufangen. Und es muss ein neuer Weg gefunden werden, wie man auch dieses Problem lösen kann. Mit Fingerfood zum Beispiel.

Im Fall Ihrer Mutter hat die ganze Familie bei der Pflege zusammengeholfen. Haben Sie sich immer auch viel mit Ihrem Vater und Ihren Brüdern über die Situation ausgetauscht?

Natürlich. Aber noch wichtiger ist, dass man auch mit Menschen spricht, die nicht zur Familie gehören. Wenn man innerhalb der Familie nur noch ein Thema - die Krankheit - hat, ist das für alle eine Belastung. Mir haben die Berater der Alzheimer Gesellschaft sehr geholfen, aber auch die Gruppengespräche mit anderen Angehörigen. Es ist schon viel wert, wenn man erkennt, dass andere Familien das gleiche Schicksal teilen - und dass man eben nicht allein ist, mit dieser Krankheit.

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