Ultra-Trailrunning am Mont Blanc:Die Lust am Limit

166 km und 9400 Höhenmeter in 46 Stunden - 2300 Bergläufer starten beim Ultra-Trail du Mont Blanc zu einem harten Weg der Selbsterfahrung. Die Bergdramen der letzten Wochen laufen unterbewusst mit.

Christian Penning

Es ist der Everest unter den Bergläufen. Der Ultra-Trail du Mont Blanc führt 166 km, 9400 Höhenmeter, über zehn Pässe, durch drei Länder. Frankreich, Schweiz, Italien. 2300 Läufer machen sich am Freitag um 18.30 Uhr im Ortszentrum von Chamonix auf zu einem alpinen Grenzgang. Voraussichtlich nur jeder zweite wird ihn bis zum Ende durchstehen.

Ultra-Trail am Mont Blanc; C. Penning

So weit die Füße tragen: Läufer vergessen im Höhenrausch die Schmerzen.

(Foto: Foto: C. Penning)

Die Tour um den Mont Blanc zählt zu den landschaftlich beeindruckendsten und bekanntesten Wanderungen der Alpen. 25.000 Hiker aus aller Welt schnüren jedes Jahr die Stiefel, um das Bergpanorama auf dieser Runde zu bestaunen. Sechs bis zehn Tage nehmen sie sich dafür in der Regel Zeit.

Auch der Ultra-Trail du Mont Blanc orientiert sich an diesem Wanderklassiker. Mit einem feinen Unterschied: Das Zeitlimit liegt bei 46 Stunden. Dennoch - oder vielleicht gerade deswegen - sind regelmäßig nur wenige Stunden nach Beginn des Anmeldetermins alle 2300 Startplätze vergeben. Die Lust des Laufens am Limit ist ungebrochen.

Dabei scheinen die Schlagzeilen der letzten Tage und Wochen die These von Extremsport-Kritikern zu bestätigen: "Sport ist Mord". Zwei Tote im Schneesturm beim Zugspitz Extremberglauf am 13. Juli, kurz danach zwölf Tote in einer Eislawine am K2, vergangenes Wochenende acht tote Bergsteiger in einer Lawine am Mont Blanc.

"Du musst laufen!" Oben im ewigen Eis, am Mont Blanc du Tacul, drohen noch immer Lawinen. Doch die werden die Läufer nicht gefährden. Die schmalen Bergpfade winden sich mehrmals bis an die 2500-Meter-Grenze, führen aber nie in Gletscherregionen. Trotzdem verlangt die Mont-Blanc-Umrundung den Ultra-Läufern alles ab: nicht enden wollende Anstiege, steile Bergab-Passagen, die Knie und Muskeln bis zum Äußersten fordern. Dazu Wurzeln, Geröll und Abschnitte, auf denen der Routenverlauf kaum zu erkennen ist.

Jens Vieler aus Hagen brach sich im vergangenen Jahr beim Ultra-Trail den Arm. Er lief trotzdem weiter. Am Ende wurde er sogar von Halluzinationen geplagt: "Auf dem Boden sah ich Brötchentüten unseres Bäckers, die sich beim Pieksen mit meinen Stöcken als Steine entpuppten. Beängstigend, was Schlafmangel und Erschöpfung mit einem anstellen."

Sein deutscher Namensvetter Jens Lukas erreichte rund 24 Stunden vor ihm als Zweiter das Ziel. Er zählt nun neben dem Italiener Marco Olmo zu den Favoriten. Olmo, bereits zweifacher Sieger, ist 60 Jahre alt. Auf die Frage nach seinem Erfolgsgeheimnis sagt er bescheiden: "Ich habe irgendwann mal auf einen Zettel geschrieben: 'Du musst laufen'. Inzwischen bin ich ziemlich alt. Ich hatte viel Zeit zum Laufen."

Olmo absolvierte die Mont-Blanc-Runde letzten Sommer in 21 Stunden und 31 Minuten. Bis sein Körper für diese Leistung bereit war, hat er ihm Jahrzehnte Zeit gegeben. Diese Geduld haben nicht alle Runner. Bei einigen ist der Ehrgeiz größer als die Vorbereitung. Laufen am Limit wird für viele Hobbysportler zur schnellen Droge.

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Die Lust am Limit

"Alte Hasen" aus der Läuferszene sehen diese Entwicklung durchaus mit gemischten Gefühlen. Nach dem Unglück beim Zugspitz-Extremberglauf kommentierte der ehemalige Weltklasse Langstreckenläufer Herbert Steffny auf seiner Webseite: "Wie ein Bergsteiger trägt auch der Läufer selbst die Verantwortung für seine Gesundheit in den Bergen."

Und dazu gehört eben auch, zurückstecken zu können, wenn es die Witterungsverhältnisse oder die eigene Leistungsfähigkeit erfordern. "Der gesunde Menschenverstand wäre, soweit vorhanden, ein guter Ratgeber gewesen. Mancher Flachlandtiroler verfügt allerdings nicht über die einschlägigen Erfahrungen im Hochgebirge", kritisiert Steffny.

Mehr Sinn für Realismus könne Läuferdramen wie auf der Zugspitze verhindern. "Als früherer Spitzensportler, bin ich der Letzte, der persönliche Grenzgänge verneinen würde. Aber wenn, dann bitte ohne den gesunden Menschenverstand und das Hirn auszuknipsen", meint Steffny. Schließlich sei es nicht Sinn des Sports, seine Gesundheit dem Endorphin- oder Höhenrausch zu opfern.

Ohne Regenjacke läuft keiner los

Um ernsthafte Zwischenfälle möglichst zu vermeiden, haben die Veranstalter des Ultra-Trail am Mont Blanc klare Regeln aufgestellt. Jeder, der auf die Extremdistanz gehen will, muss ein ärztliches Attest vorweisen und über Qualifikationsläufe seine Fitness schon vor dem Start beweisen.

Dass Teilnehmer wie beim Zugspitzlauf mit ärmellosem Läufer-Shirt und kurzer Hose im Schneesturm stehen, sollte in Chamonix nicht vorkommen. Jeder Teilnehmer muss einen Rucksack mit einer wasserundurchlässigen Jacke, eine mindestens knielange Hose, Schirmmütze oder Stirnband, Verpflegung, Wasser, zwei Stirnlampen, eine Signalpfeife und eine Überlebensdecke mit sich führen.

Zusätzlich empfehlen die Organisatoren vom Laufclub "Trailers du Mont Blanc" Handschuhe und warme Kleidung für den Fall eines Kälteeinbruchs. Aber wenigstens der sollte den Läufern bei ihrer Tour der Leiden am Wochenende erspart bleiben. Der Bergwetterbericht verspricht Sonne und eine Nullgradgrenze um die 4000 Meter.

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