Süddeutsche Zeitung

Überraschende Zahlen:Weniger Brustkrebs

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Die Fakten sind eindeutig, die Ursachen umstritten: 2003 sind in den USA erstmals seit 1945 deutlich weniger Brustkrebsfälle diagnostiziert worden als im Vorjahr. Womöglich sind die Rate, weil Frauen seltener Hormone nehmen.

Werner Bartens

Dies berichteten die Onkologen und Biostatistiker Donald Berry und Peter Ravdin vom Krebs-Zentrum der Universität Texas in Houston während der weltweit wichtigsten Brustkrebs-Tagung in San Antonio. Im Vergleich zu 2002 seien 14.000 Frauen weniger an dem Tumor erkrankt. Da in den USA jährlich bei 200.000 Frauen Brustkrebs diagnostiziert wird, entspreche dies einem Rückgang um sieben Prozent.

Berry und sein Team untersuchten die Häufigkeit von Brustkrebs von 1990 bis Ende 2003. Neuere Daten sind nicht verfügbar. Bis 1998 wurden jährlich 1,7 Prozent mehr Tumore beobachtet, von 1998 bis 2002 betrug der Zuwachs jedes Jahr ein Prozent.

Indirekter Schluss

"2003 haben wir dann den größten Rückgang innerhalb eines Jahres gesehen", sagt Ravdin. "Irgendetwas muss sich in die richtige Richtung bewegt haben. Wahrscheinlich war es der Rückgang der Hormontherapie, auch wenn wir anhand unserer Daten nur indirekt darauf schließen können."

Dafür, dass weniger Hormone zu weniger Brustkrebs geführt haben, sprechen mehrere Indizien. Im Juli 2002 wurde eine Studie der Women's Health Initiative (WHI) abgebrochen, da sich zeigte, dass Frauen, die Hormone gegen Wechseljahresbeschwerden nahmen, häufiger Brustkrebs, Herzinfarkt, Schlaganfall und Thrombose bekamen.

Weltweit haben daraufhin Millionen Frauen aufgehört, Hormone zu schlucken - in Ländern wie den USA und Deutschland beendeten ein Drittel bis die Hälfte der Frauen die Einnahme der Präparate. Kaum eine medizinische Untersuchung der vergangenen zehn Jahre hat öffentlich solche Folgen gehabt wie die WHI-Studie, galten Hormone zuvor doch als Allheilmittel gegen Altersbeschwerden aller Art.

Berry und Ravdin haben zudem festgestellt, dass die Zahl der Brustkrebsfälle besonders bei Frauen zwischen 50 und 69 Jahren gesunken ist - dem typischen Alter für die Hormontherapie -, sowie in der Gruppe der Tumore, die durch Hormone schneller wachsen. "Diese Form von Brustkrebs wird von Hormonen genährt", sagt Berry. "Die Tumore verlangsamen deshalb ihr Wachstum oder stellen es ein, wenn ihnen eine ihrer Nahrungsquellen entzogen wird."

Kein Beweis für Kausalität

Die Ärzte aus Houston wissen, dass ihre Beobachtung keine Ursache beweist. "Epidemiologie kann nie die Kausalität erklären", sagt Berry. Deshalb habe das Team andere Theorien für den Rückgang untersucht - etwa, dass weniger Tumore aufgefallen seien, weil weniger Frauen sich mammographieren ließen.

Auch dass bestimmte Medikamente häufiger verwendet werden und die Krebshäufigkeit gesenkt haben, scheidet nach statistischer Analyse als Ursache aus. "Nur der Rückgang in der Hormontherapie war stark genug, um den Effekt zu erklären", sagt Berry. Worauf soll er auch sonst zurückzuführen sein, fragen die Mediziner.

"Es passt einiges zusammen und es sieht stimmig aus", sagt Gerd Antes, Leiter des Cochrane-Zentrums in Freiburg, das die Qualität medizinischer Studien bewertet. "Ich sage nicht, dass das Fazit falsch sind.

Fehlende Kontrollgruppe

Aber methodisch ist die Behauptung weniger Hormone gleich weniger Krebs heikel, da es in der Studie keine Kontrollgruppe gab, die Hormone genommen hat." Wichtig sei es daher, in der Publikation, die auf den Vortrag in San Antonio folgt, nachprüfbare Hintergründe anzugeben. "Gerade auf den ersten Blick einleuchtende Plausibilitäten müssen überprüft werden", sagt Antes.

In England ist Brustkrebs seit 2003 ebenfalls seltener geworden. In Deutschland gibt es kein bundesweites Krebsregister, sondern bisher nur verschiedene regionale Erhebungsstellen. "Wir sehen auch den Trend zu weniger Brustkrebs", sagt Alexander Katalinic, Sprecher der Krebsregister in Deutschland (GEKID).

"Laut den Krebsregistern Saarland und Schleswig-Holstein, die eine Million und 2,8 Millionen Einwohner abdecken, sind von 2003 auf 2004 die Brustkrebsfälle um 9,2 Prozent in allen Altersklassen zurückgegangen." In der Gruppe der 50- bis 69-Jährigen liegt der Rückgang sogar bei 13 Prozent. Bundesbehörden haben erst 2003 angeordnet, die Verschreibungsempfehlungen für Hormone zu verschärfen.

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Quelle:
SZ vom 19.12.2006
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