Tumor-Auslöser:Krebs durch Würmer und Viren

Zigarettenrauch, Umweltchemikalien oder Strahlung erhöhen das Krebsrisiko - das ist längst bekannt. Doch auch Viren, Bakterien und sogar Parasiten können offenbar Tumore wuchern lassen.

Wiebke Rögener

"Ostzonensuppenwürfel machen Krebs" - das war erst eine Schlagzeile in der Bild, später der Name einer Punkband. Es blieb eine unbewiesene Behauptung. Aber dass manch Krebserregendes im Essen steckt, gilt als sicher, ebenso die Krebsgefahr durch Zigarettenrauch oder Umweltchemikalien. Strahlung, vom Sonnenlicht bis hin zur Radioaktivität, ist eine weitere bekannte Krebsursache.

Gefahr am Nil

Am Nil gibt es Pärchenegel, die Bilharziose auslösen. Die Krankheit erhöht das Risiko für Blasenkrebs.

(Foto: Foto: AP)

Dass Krebs auch durch Viren und Bakterien ausgelöst werden kann, ist weit weniger bekannt. Noch exotischer erscheinen krebserregende Parasiten.

Doch weltweit geht etwa jeder fünfte Krebsfall auf das Konto von Krankheitserregern, schätzt Harald zur Hausen, ehemaliger Direktor des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg (DKFZ), der jetzt ein Buch zum Thema geschrieben hat (Infections Causing Human Cancer, Wiley-VCH, Weinheim 2006). "Die Rolle von Infektionen für die Krebsentstehung wird unterbewertet", sagt zur Hausen.

Ein hundert Jahre alter Verdacht

Der Verdacht ist gut hundert Jahre alt. So berichtete der Arzt Carl Göbel bereits 1905 "Über die bei Bilharziakrankheit vorkommenden Blasentumoren". Inzwischen bestätigte sich: Der Wurm Schistosoma - Pärchenegel genannt, weil das Weibchen in einer Bauchfalte des Männchens lebt - ruft nicht nur die gefürchtete Bilharziose hervor.

Die Art Schistosoma haematobium, die nur in Afrika vorkommt, erhöht auch das Risiko für Blasenkrebs. Oft finden sich Wurmeier im Tumorgewebe. Offenbar spielen Entzündungsprozesse eine Rolle, die sie in den Blutgefäßen rings um die Harnblase auslösen. Im Nildelta, wo Männer die Feldarbeit leisten, kommt Blasenkrebs gehäuft bei ihnen vor; wo überwiegend Frauen auf den Feldern arbeiten, ist es umgekehrt.

Denn die Schistosoma-Larven leben in stehenden Gewässern und infizieren Menschen, die auf bewässerten Feldern arbeiten. Doch noch immer ist der genaue Weg vom Wurm zum Tumor unbekannt. "Da diese Krebsursache nur in Afrika bedeutsam ist, ist die internationale Forschung daran wenig interessiert", bedauert zur Hausen.

Vom Magengeschwür zum Magenkrebs

Größerer Aufmerksamkeit erfreut sich das Bakterium Helicobacter pylori. Es verursacht nicht nur Magengeschwüre, wie australische Mediziner in den achtziger Jahren bewiesen, sondern kann auch zu Magenkrebs führen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) listet das spiralförmige Bakterium als Karzinogen der höchsten Gefahrenklasse auf.

"Zwar lässt sich die Helicobacter-Infektion mit Antibiotika bekämpfen", sagt Thomas Meyer vom Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin. Doch eine Strategie zur Krebsvorbeugung stehe damit nicht bereit. Müsste man dafür doch die halbe Menschheit mit Antibiotika behandeln - etwa jeder zweite Mensch ist mit dem Magenkeim infiziert.

Meyers Gruppe setzt stattdessen auf vorbeugende Impfung. Kürzlich testeten die Forscher an der Berliner Charité eine experimentelle Schluckimpfung an 50 Freiwilligen. Die Ergebnisse liegen noch nicht vor. "Bis zu einem wirksamen Impfstoff wird es noch etwas dauern", dämpft Meyer die Erwartungen.

Doch lohne die Mühe: "Wenn es gelänge, durch Impfungen, Medikamente und bessere Hygiene Helicobacter auszurotten, könnten wir 70 Prozent aller Fälle von Magenkrebs verhindern", schätzt er.

Kein geringer Effekt, denn nur an Lungentumoren sterben weltweit noch mehr Krebspatienten als an Magenkrebs. Warum nur wenige Prozent der Infizierten ein Magenkarzinom entwickeln, wissen die Forscher nicht. "Offenbar kommen genetische Faktoren und Umwelteinflüsse hinzu", sagt Meyer.

Auch die Ernährung spiele eine Rolle. So fanden die Berliner Forscher in Tierversuchen, dass ein hoher Cholesterinspiegel Entzündungen im Magen fördert, die das Bakterium dezimieren (Nature Medicine, Bd. 12, S. 1030, 2006).

Verdacht auf Ansteckung durch Menschen

Uralt ist der Verdacht, dass Viren Krebs verursachen. Peyton Rous vom Rockefeller Institute entdeckte 1911 ein Hühnervirus, das Tumore bei Geflügel auslöst.

Krebs durch Würmer und Viren

Den Nobelpreis für diese Entdeckung erhielt er erst 55 Jahre später, nachdem auch andere Forscher über Tierversuche mit krebserregenden Viren berichtet hatten. "Doch noch wurde kein Virus gefunden, das zweifelsfrei beim Menschen Krebs hervorruft", sagte Rous in seiner Nobelpreisrede 1966.

Erst in den 70er-Jahren häuften sich Berichte über Viren bei Patienten mit Leukämie, Lymphomen oder Brustkrebs. Sogar eine direkte Ansteckung von Mensch zu Mensch wurde postuliert.

Doch viele Befunde ließen sich nicht bestätigen. Vermutlich sei ein Teil der Ergebnisse durch Verunreinigungen zustande gekommen, vermutet zur Hausen im Rückblick. Jedenfalls führten die zweifelhaften Daten dazu, dass die Forschungsrichtung in Misskredit geriet. "Wer vor dreißig Jahren über einen Zusammenhang von Infektionen und Krebs sprach, wurde belächelt", sagt zur Hausen.

Dabei hatten die britischen Virologen Michael Epstein und Yvonne Barr schon in den sechziger Jahren Viruspartikel in Tumorzellen afrikanischer Kinder entdeckt, die an einem Lymphom litten.

Der später Epstein-Barr-Virus (EBV) getaufte Erreger gehört zu den Herpesviren. Für sich allein führt er zwar noch nicht zum Krebs. Wird aber das Immunsystem geschwächt - etwa durch Malaria - veranlasst das Virus die B-Zellen des Immunsystems dazu, sich rasant zu vermehren.

Die T-Zellen, die das Wachstum begrenzen, verlieren die Kontrolle. Erbgutveränderungen kommen hinzu, es entwickelt sich ein rasch fortschreitendes Lymphom. Inzwischen weiß man, dass EBV bei mehreren Krebsarten eine Rolle spielt, etwa bei Morbus Hodgkin.

Das Vertrackte an dem Erreger: Fast jeder hat ihn, 95 Prozent aller Erwachsenen sind infiziert, doch nur wenige bekommen Krebs. "Daher ist es schwer, der Öffentlichkeit und vielen Ärzten klar zu machen, dass es notwendig ist, etwas gegen das Virus zu unternehmen", beklagt Henri-Jacques Delecluse, der am DKFZ an Impfstoffen gegen EBV forscht.

Neben geschwächten Abwehrkräften spielten auch Umweltfaktoren eine Rolle, wenn EBV zu Krebs führt. "So ist in China der EBV-assoziierte Krebs des Nasenrachenraums der häufigste Tumor junger Erwachsener. Wenn Chinesen nach Amerika auswandern, sinkt das Risiko", sagt Delecluse. Die US-Firma MedImmune erprobt zur Zeit eine EBV-Impfung mit Molekülen aus der Virushülle.

Bislang nur ein Impfstoff auf dem Markt

Auf dem Markt ist bisher nur eine einzige Impfung, die gezielt der Krebsvorbeugung dient: In diesem Sommer wurde Gardasil zugelassen, das vor vier verschiedenen Papillomviren schützt. Diese sollen für etwa 70 Prozent aller Fälle von Gebärmutterhalskrebs verantwortlich sein (SZ 10.6.2006).

Allerdings ist Gardasil nicht die erste Krebsimpfung. Denn schon seit den 80er-Jahren gibt es Impfstoffe gegen Hepatitis-B-Viren, die nicht nur Leberentzündungen verursachen, sondern auch das Risiko für Leberkrebs um das Hundertfache steigern.

"Es ist anzunehmen, dass künftig noch mehr Viren entdeckt werden, die zur Entwicklung von Krebs beitragen", sagt zur Hausen. "So verdienen TT-Viren mehr Aufmerksamkeit, die erst seit zehn Jahren bekannt sind. Fast jeder hat sie im Blut, keiner weiß, was sie machen."

Eine Rolle bei der Entartung von Zellen sei nicht auszuschließen. Zur Hausen warnt aber vor zu weit gehenden Schlussfolgerungen: "Krebs als ansteckende Krankheit zu bezeichnen, wäre allzu verwegen. Durch eine Infektion allein entsteht noch kein Tumor."

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